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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Sonntagspresse"

[04.Kalenderwoche] Ich habe schon früher einmal darauf hingewiesen, dass es in der deutschsprachigen Schweiz drei ausgewachsene Sonntagszeitungen gibt, die allesamt tüchtig gekauft werden. Unter anderem hat man sich daran ...

... gewöhnt, kleinere Indiskretionen über die Sonntagspresse in die Öffentlichkeit zu bringen, Erhöhung des Rentenalters, Betrugsversuche bei Bankengeschäften, Geheimpapiere zu CIA-Gefangenenflügen und dergleichen; daneben leben diese Zeitungen von den Nachrichten und von vielerlei Gesellschaft, Wissen, Kultur, Stil und so weiter. Manchmal sind die Ausgaben auch wirklich süß. So hat vorgestern der SonntagsBlick seine Titelseite mit der Schlagzeile versehen, dass Erich von Däniken vor 20 Jahren einen Monat lang mit einem Außerirdischen zusammen verbracht hätte. Dass diese sensationsgeile Plaudertasche so lange mit dieser Geschichte zurückgehalten hat, überrascht gewisse Bereiche des Zentralnervensystems, aber daneben lassen wirs uns ja doch gerne gefallen: Warum auch nicht, seine Bücher werden ja ohnehin gekauft, im Gegensatz zum Mystery Park, einen Themenpark für Außerirdische im Berner Oberland, der leider letztes Jahr Konkurs gegangen ist. Allerdings ist das vielleicht auch der tiefere Grund für diesen zauberhaften Artikel: Erich von Däniken hat in diesem Mystery Park wohl sein gesamtes Vermögen verloren, einschließlich die Rentenversicherung, und wenn er jetzt noch irgendwie ein bisschen Geld machen will, muss er sich einem Sensationsblatt andienen, welches ihm für, sagen wir mal 1000 Euro irgend einen Scheiß an den Hintern dichten kann. Erich von Däniken – seine «Erinnerungen an die Zukunft» haben diesen Irrweg des Schicksals wohl nicht mit berücksichtigt. Na – Im gleichen Sonntagsblick gibt Frau Gerda Spillmann Lebenstipps, und zwar unter dem Titel: «Ich lebe im Einklang mit den Naturgesetzen.» Auch hier wissen einige Hirnregionen nicht genau, was sie mit dieser Information anfangen sollen, denn im Gegensatz zu dem, was entweder Frau Spillmann oder aber die verantwortliche Journalistin möglicherweise aussagen wollte, heißt dies nur, dass Frau Spillmann nicht fliegen kann; und dafür kaufe ich nun mal nicht die Sonntagspresse. Journalismus ist schon eine eigenartige Tätigkeit geworden, mindestens in der Schweiz. Es gibt zwar noch, was weiß ich, ungefähr 10-15 regionale und überregionale Blätter, aber die veröffentlichen alle in etwa die gleichen Agenturnachrichten; die Redaktionen werden eingekocht, freie Kräfte schreiben für Hungerlöhne irgendwelche Dutzendmeldungen, ein Korrespondentennetz leistet sich eh praktisch niemand mehr. Die größten Zeitungen sind sowieso längst die Hausblätter unserer zwei dominierenden Einzelhandelsunternehmen, Coop und Migros, die einmal pro Woche in einem Umfang von 100 Seiten und mehr erscheinen. Im Migros Magazin der letzten Woche gab es zum Beispiel einen knorke Artikel über die Ablösung der alten Schulschrift, die bei uns putzig Schnürchenschrift genannt wird, weil man nämlich damit schreiben kann wie am Schnürchen, durch eine modernere Variante, die eher einem OCR-Code angepasst wurde, also überhaupt nicht mehr zusammen hängt, und was steht dann im entsprechenden Artikel: die alte Schrift eigne sich weder zum schnell noch zum schön Schreiben. Angesichts des Vergleichs mit dem neuen Typ ein klar auf der Hand liegender Stumpfsinn, belegt durch Beispiele auf der gleichen Seite; aber die oder der JournalistIn schreibts einfach der Werbebroschüre der zuständigen Kommission ab, und die Redaktion hat den Artikel eh schon bestellt und rückt ihn rein. Logik und Wahrheit sind Güter, welche im Journalismus praktisch ausgestorben sind, was eigentlich nicht so dramatisch wäre, wenn nicht alle angehenden JournalistInnen sich nicht im Grunde genommen als kleine Egon Erwin Kischs fühlen würden oder, was die Schweiz angeht, als kleine Niklaus Meienbergs. Oder aber sie fühlen sich insgeheim vom Mantel der Weltgeschichte gestreift, wenn in Moskau oder in Istanbul mal wieder JournalistInnen umgebracht werden, welche halt eben tatsächlich noch einen Beitrag zur Weltgeschichte leisteten. Das ist abartig. Da ist man dann für Artikel wie jene über dem Erich von Däniken sein Alien geradezu dankbar: Es ist zum Vornherein klar identifizierbarer Stuss, analog zu den Auftritten zum Beispiel von Dieter von Bohlen und Halbschwach oder Stefan Raab. Die verzichten auch zum Vornherein auf alles, was an Kommunikation Inhalt sein könnte, und schlagen einfach auf die hohle Hülse der Kommunikation, und wenn dann ein nicht näher identifizierbarer Hase verschreckt heraus hüpft, ist die Mediengesellschaft zufrieden. Und die Mediengesellschaft, meine Damen und Herren, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, das sind wir! – Das ist nämlich schon der Trick dabei: Noch wenn wir uns aufregen über den Arschdieter oder über den Raabstefan, haben sie ihre Funktion bereits erfüllt. Es gibt in der Mediengesellschaft keine Inhalte mehr, wie man sie früher unterstellt hat, es gibt nur noch Reaktionen des adressierten und ansonsten inerten Publikums. Dies gilt im übrigen, nur damit man mich nicht etwa falsch versteht, auch oder gerade recht für die wundersam ernsten Foren der ernsthaften und tiefenpolitischen Meinungsbildung, etwa Sabine Christiansen; von dem Moment an, da der eitle Fatzke Helmuth Markwort, der auf seine Haare wohl ähnlich stolz ist wie der durchaus unlustige Kabarettist Priol, seine Visage in die Medienlandschaft gestemmt hat, war es auch auf dieser Ebene nur schon mit dem Schein zu Ende.

Auf diese Art stellt die Mediengesellschaft ein echtes Problem dar, welches bei Gelegenheit mal zur Auflösung getrieben werden sollte; ich bin dazu momentan leider nicht in der Lage, weil ich dringend andere Probleme zu verdauen habe. So besitzt zum Beispiel meine Lebensgefährtin seit mehreren Tagen ein Mobiltelefoniegerät, welches neben anderen interessanten Optionen auch ihre Schritte zählt. Am Samstag warens zum Beispiel etwas über 9000 Stück; gesund sollen angeblich rund 10'000 pro Tag sein, wobei niemandem klar ist, wie dies in einem normalen Büroalltag zu bewerkstelligen sein sollte, wenn man nicht gerade aus Existenzangst immer ums Pult herum tigert. Ich habe Frau Berchtold zunächst ausgelacht und gesagt, demnächst leitet Dein Mobiltelefongerät diese Informationen an die Krankenkasse weiter, und je nach Schrittzahl bezahlst Du dann mehr oder weniger Prämien. Aber das geht ja noch viel weiter. Warum sollte das Handy denn nicht überhaupt die medizinische Steuerung unseres Körpers übernehmen? Die Medikamentenabgabe von Depotpillen auslösen, beispielsweise. Blutalkoholwerte erkennen. Herzflimmern. Cholesterin. Sauerstoff. All das kommt auf uns zu in einem Gerät, das uns nach wie vor als Kommunikationsmittel verkauft wird. Kommunikation, hat sich was! Der Mensch ist ja eh schon ziemlich stark transparent, sei es über seine Kreditkarten oder über seinen E-Mail- und Telefonverkehr; aber mit diesen Handies wird der moderne Mensch nun definitiv und ganz und gar in die große Menschenherde eingebunden, überwacht und beschützt als eines von 7 oder bald 8 Milliarden Menschenschafen. Daneben quieken wir je nachdem glücklich oder entsetzt über die gegenwärtigen und zukünftigen Naddels, Arschdieter, Raabstefans, zu denen sich zu meinem Verdruss seit mehreren Jahren auch die Nina Hagen gesellt hat, der man eigentlich eine andere Zukunft bzw. Gegenwart gegönnt hätte.

Jawohl, so siehts aus, aber gemach, man braucht sich deswegen noch nicht in die Hosen zu machen, denn ich glaube, dass daneben noch ganz fein weiterhin ein Leben möglich ist, bei dem der Mensch auch seinen Verstand benutzt, bloß ist nicht so sicher, wie viele dazu dann noch in der Lage sein werden. Man könnte meinen, dass sich damit eine neue Klassengesellschaft abzeichnet, bei der der Gegensatz zwischen den unterbelichteten Stefan-Raab- und Arschdieter- und DSDS-KonsumentInnen einerseits und den anderen, welche dann trotz allem noch den Durchblick haben, anderseits bestehen wird. Aber das glaube ich nicht. Denn allein den Durchblick zu haben reicht eben nicht aus, einmal abgesehen davon, dass noch längere Zeit fraglich bleiben wird, wer denn diesen Durchblick letztlich wirklich hat. So oder so reicht das nicht aus; wichtig ist, dass sich die Flut an täglichem Blöd- und Stumpfsinn unentwirrbar vermischt hat mit Gedanken, Formulierungen, Überlegungen, welche ihren Namen noch verdienen. Diese treten der modernen Kommunikationsgesellschaft eben entgegen wie die anderen auch. Deshalb ist Einsicht noch auf längere Sicht hinaus nicht zwingend mit Macht verbunden.

Ich habe keine Ahnung, wie sich so was am Schluss dann entwickelt, aber umgekehrt muss ich auch sagen, dass ich überhaupt keinen Bammel davor habe, denn ich vermag beim besten Willen keine böse Absicht hinter dieser Entwicklung zu erkennen; es handelt sich einfach um eine neue Entwicklungsstufe, die man erst mal erklimmen muss, die dann zur Reife gebracht wird und anschließend ebenso überwunden wird wie all jene zuvor. Ärgerlich ist dabei bloß, dass dabei Kriterien wie Wahrheit oder Vernunft stark angeschlagen werden. Aber gerade die Vernunft wird letztlich dafür sorgen, dass auch diese Episode in der Menschheitsgeschichte überwunden wird.

Vor allem aber sind wir gesund.


Daneben habe ich gesehen, dass Eure Frau Bundeskanzler anläßlich der Pressekonferenz mit ihrem Gastgebern, einem gewissen Herrn Putin in Sotschi, vom Hund des Gastgebers beschnüffelt wurde, nach meinen Beobachtungen wars ein schwarzer Labrador. Was ich nicht begriffen habe, war, wieso Frau Merkel die Gelegenheit für einen 1a-Klassewitz nicht genutzt hat; sie hätte doch bloß gegenüber der versammelten Journaille zu sagen brauchen: Wenn wir hinter verschlossener Tür verhandeln, hat er drei Pitbulls dabei! – Und die Deutschen hätten für die nächsten 50 Jahre alle nur denkbaren Vorzugskonditionen für die Erdgas- und Erdöllieferungen erhalten. Pech. Schon wieder eine Chance verpasst, allein wegen des mangelnden Humorvermögens der deutschen Politik.

Aber es ist nicht nur die Politik. Der Aschaffenburger Kaberettist mit dem Namen Priol ist ein wunderbares Beispiel dafür, in welch grausamer Nähe sich das Kabarett zur puren Nachäffung befindet. Wenn man natürlich die hohe Politik jeweils wörtlich zitiert, kommt da schon eine erhebliche Menge an Stumpf- und Unsinn heraus. Aber wie kann man aus solchem Schwachsinn eine Kabarettnummer kochen? Aber doch, es geht, es gehen sogar ganze Programme, und das Ganze ist dann eben wirklich oberfade und reiht sich letztlich nahtlos ein in den Rest der Kommunikationswelt. Egal, worums geht, gelacht wird ohnehin. Diese Seichtheit befällt zunehmend auch Gefäße, vor denen man zeitweilig doch noch Respekt haben konnte, so zum Beispiel den Scheibenwischer aus München, bei dem immerhin der Papst des deutschen Kabaretts, nämlich Bruno Jonas mitwirkt; aber denen ihr Geflenne über die Osterweiterung am letzten Wochenende war dann nur noch peinlich. Der beste Maßstab dafür besteht übrigens in unserem Josef Ackermann, gegenwärtig noch Chef der Deutschen Bank. Wenn unter den Kabarettisten einer den einen «kriminellen Abzocker» nennt, dann könnt ihr aufstehen und ein Bier trinken gehen oder aber den Sender wechseln. Ackermann mag als Bankenchef verdienen wie Sau und verantwortlich sein dafür, dass 10 000 Stellen gestrichen wurden, und so weiter und so fort, aber ein Abzocker ist er deswegen nicht, sonst müsste man nämlich dieses gesamte System ein Abzockersystem nennen, und das wäre begrifflich etwas frustrierend, er ist kein Abzocker, sondern bloß ein Bankenchef mit mehreren Millionen Euro Jahreseinkommen. Kriminell dagegen ist er schon gar nicht. Solche Sprüche sind einfach superbillig und belegen nur eines: Man holt das Publikum ab mit billiger Massenware – ausgerechnet jenes Publikum, das man doch eigentlich nicht nur zum Lachen bringen, sondern recht gründlich vor den Kopf stoßen sollte.

Eben: Die Grenze zum Quatsch ist schnell überschritten. Es gibt aber nach wie vor auch Dinge, deren wir uns ordentlich erfreuen können, und an denen wollen wir uns auch künftig orientieren, auch dann, wenn wir über den Rest lästern.



Albert Jörimann
23.01.2007

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