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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Energie"

[06.Kalenderwoche] Wenn man am Sonntag am späteren Nachmittag auf den deutschen Fernsehkanälen nach Nachrichten suchte, fand man in erster Linie eines: einen kollektiven Freudentaumel in der deutschen Nationalflagge. Für ...

... diejenigen unter euch, denen das trotz allem entgangen sein sollte: Handballweltmeister seid ihr geworden, aber gefeiert wurde es, als ginge es um die Fußballweltmeisterschaft, oder vielleicht verbarg sich dahinter sogar ein noch Größeres und Mächtigeres, vielleicht versteckte sich in diesem nationalen Taumel die Feier der Exportweltmeisterschaft. Ja, diesen Titel hält ihr nämlich seit längerer Zeit, und dennoch strömen die Massen nicht auf die Straßen, obwohl das doch viel plausibler wäre, denn so eine Exportweltmeisterschaft bringt doch massenhaft Knete ins Land, während die paar Goldmedaillen für die Handballnationalmannschaft wirtschaftlich gesehen nur einen beschränkten Stellenwert haben. Na, seis drum – das neutrale Ausland gratuliert jedenfalls zu diesem Titel nach dem Motto, der Bessere möge gewinnen, was im Nachhinein jeweils regelmäßig auf den Sieger zutrifft. Also: Sieg dem Sieger!, oder so ähnlich, und wir sprechen uns in einem Jahr wieder, während im Moment der schöne Augenblick noch bleibt und verharrt. Ich allerdings bleibe beim Fußball und kann Euch diesbezüglich schon jetzt sagen, dass Ihr im nächsten Jahr in der Schweiz keineswegs etwa zu Gast bei Freunden sein werdet, wie dies Deutschland bei der WM 2006 vorgemacht hat, sondern wir werden möglichst desinteressiert aus der Wäsche kucken, im Geheimen hoffen, dass unsere Fußballnationalmannschaft mindestens ins Viertelsfinale vorstößt, und ansonsten überlassen wir es mehr oder weniger dem Zufall, welche Nation am Schluss den Hals am höchsten reckt, denn das Schlussspiel findet meines Wissens eh in Wien statt. Aber Wien ist ja auch schön.

Ist Euch daneben auch so schön heiß geworden vom Klimawandel? Offenbar hat man sich damit abzufinden, dass die Volksseele, dieses eigenartige Haustier, von dem man noch nicht so richtig weiß, ob es schon voll domestiziert ist oder nicht, irgendwelche Erkenntnisfortschritte nur in der Form einer allgemeinen Hysterie vollzieht. Ich stelle hier die provisorische These auf, dass Ereignisse wie ein Handballweltmeistertitel unterdessen nichts mehr zu tun haben mit Nationalismus, sondern sie bieten ein Ventil, um die angestaute globale Hysterie halbwegs zivilisiert und in einigermaßen bekannten Bahnen ableiten zu können. Immerhin haben solche Hysterieschübe dazu geführt, dass zum Beispiel der Fluorkohlewasserstoff FCKW weitgehend aus der Produktewelt verschwunden ist, weshalb sich, wenn ich richtig informiert bin, das Ozonloch über den beiden Polen wieder zu verengen beginnt. Wenn uns das mit den Treibhausgasen ähnlich ergeht, dann beginnt in 20 Jahren die nächste Eiszeit, und dann wissen wir wieder nicht, wie wir die Wohnungen heizen sollen, weil dann alle AKW abgeschaltet sind. Vielmehr versuchen die AKW-Betreiber ja gerade diese Treibhausgasdynamik auf ihre Turbinen zu leiten, um Betriebsverlängerungen und Baubewilligungen für neue Kernkraftanlagen zu erhalten. In der Schweiz meinte am vergangenen Wochenende ein Bundesrat, dass die Atomkraftgegner jetzt langsam ins Pensionsalter kämen und bei Gelegenheit aussterben; wenn er damit auch einen Teil der Wahrheit formuliert hat, liegt es an der nachstoßenden Generation, ihn ins Unrecht zu versetzen, und zwar, bevor der nächste so genannte Störfall dann wieder zu einer allgemeinen Hysterie führt wie damals in Tschernobyl. Im letzten Herbst in Schweden konnte die Katastrophe um rund eine halbe Stunde vermieden werden; das ist eigentlich auch nicht so verdammt viel, beziehungsweise es ist derart verdammt wenig, dass man das geradezu verdrängen muss und sofort weitere Atomkraftwerke fordern, denn es ist ja wieder mal nichts passiert, und sollte doch etwas passieren, so wäre es nur ein unvorhergesehener und unerwünschter Zwischenfall, von dem sich die Betreiber in aller Form distanzieren. Die Atomtechnik ist sicher nur in einer Beziehung: Die bei einem Unfall entstehenden Schäden halten jahre- und generationenlang an. Und deshalb muss man die Fragen rund um die Treibhausgase einerseits und um die Energie anderseits einfach anders beantworten als mit Atomstrom, wobei ich mir bewusst bin, dass wir z.B. in der Schweiz schon rund ein Drittel der gesamten Elektrizität aus AKWs beziehen. Ich kann dazu nur sagen, dass ich hoffe, dass die AKW-Technik trotz allem relativ sicher ist und bleibt; trotzdem sollte man diese Meiler so schnell wie möglich vom Netz nehmen und stattdessen massiv in Alternativenergien investieren und grundsätzlich auch den Verbrauch reduzieren; dabei gehe ich davon aus, dass relativ gesehen der technologische Fortschritt sämtliche Geräte und Anwendungen im Energieverbrauch tendenziell günstiger macht, wobei anderseits die absolute Zunahme dann wieder andere Probleme stellt, vor allem in den Wachstumsmärkten und Schwellenländern. Darüber kann man sich nun heftig streiten; gleichzeitig geht die Grundlagenforschung in Höchsttempo weiter, so dass auch an dieser Front die eine oder andere Überraschung in den nächsten Jahren mehr als wahrscheinlich ist.

Jedenfalls hat der Klimawandel deutlich eine Schicht der Volksseele gestärkt, nämlich jene, welche sich um das Weltganze kümmert, und seis auch nur über die Angst vor der eigenen Betroffenheit. Wie ich ja schon immer gesagt habe, kommen zu den klassischen psychischen Schichten beim Durchschnittsmenschen immer mehr hinzu. Das geht so weit, dass solche Schichten tatsächlich materielle Gestalt annehmen und gewisse Sachen bewegen können, eben z.B. die völlige Abschaffung der FCKW-Ausstöße, aber auch politische und sonstige Bewegungen entstehen in aller Macht. Wer hätte sich vor zehn Jahren ein völliges Nichtraucherverbot in ganz Europa träumen lassen. Heute steht es mehr oder weniger unmittelbar vor der Einführung. Die Sensibilisierung auf noch so kleine Teile und Aspekte im Alltag greift im hintersten und letzten Bergdorf Raum. Schon wissen auch die Alpenbäuerinnen, dass sie ihren Kindern im ersten Lebensjahr keine Kuhmilch mehr verkosten dürfen von wegen Infektions- und Allergierisiken. Keine Nüsse. Keine rohen Randen. Keine Essiggurken. Angesichts der heute verbreiteten Bauern-Gesundheitsregeln im Normalhaushalt erscheint es als schlicht unmöglich, dass es die Menschheit überhaupt gibt, denn noch unsere Großeltern haben doch noch mit einfachen Elektroherden gekocht und nicht auf Glaskeramik. Alles, was die Menschheit gesund und stark gemacht hat, gilt heute als lebensgefährlich. Die neueste Erfindung sind die Transfette. Ihr habt sicher schon mal davon gehört, wisst aber mit ebenso großer Sicherheit nicht mehr als ich, nämlich dass sie gefährlich sind. Hui, die gefährlichen Trnasfette! Was ist aber mit den Intereiweißen? Mit den Postsäuren? Actimel zum Beispiel hat den Bacter caseis activans oder so ähnlich. Ist das nicht auch unmittelbar lebensbedrohend? Gewisse Banken schicken laut Fernsehwerbung schon ihre Versicherungsvertreter als Schutzengel in allen Lebenslagen. Wirklich, die kollektiven Ängste und die kollektiven Anstrengungen um Schutz und lebensverlängernde Maßnahmen haben im gleichen Ausmaß zugenommen wie das völlige Verschwinden von irgendwelchen Gefahren für ein normales Leben.

Ich vertrete schon längere Zeit die Auffassung, dass es in modernen Gesellschaften keine Helden mehr gibt und geben kann. Eine Figur wie zum Beispiel Adolf Hitler ist absolut undenkbar, in Deutschland ebenso wie in anderen entwickelten Ländern, aber auch sonst sind die Protagonisten des Weltgeschehens zurückgetreten in die Reihen der bienenfleißigen ForscherInnen und FinanziererInnen und PolitikerInnen, welche in Ausschüssen ihre Arbeit leisten. Industriekapitäne gibt es ebenfalls nicht mehr, es gibt nur noch die Sachzwänge einer ziemlich fest eingespielten Wirtschaftsordnung, welche aber gerade damit immer stärker auf Kapitalrenditen und Effizienzgewinne drängt. Der Trend oder die Tendenz ist, wenn überhaupt jemand, noch der Protagonist, sage ich dazu. Nicht mal mehr einen unbekannten Landstrich kann man heute entdecken, wo die Satelliten alles beobachten und sogar mithören, wenn man schnarcht. Nein, diese Form von Romantik hat sich völlig verloren. Aber gerade in diesem leicht nostalgischen Verlust steigt doch wieder die Gegenfigur auf: Es ist jener Mensch, welcher raucht und sein Kleinkind dabei mit Rohmilch füttert. Das sind die Abenteuer der Neuzeit! – Und so leben wir eben doch in einem spannenden Jahrhundert, das übrigens sowieso erst begonnen hat.

So. Morgen Mittwoch spielt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ein Länderspiel gegen die unsere. Ich kann nicht sagen, dass mir das Ergebnis egal ist, aber mit Konsequenzen kann und will ich nicht drohen, mit einer Ausnahme: Wenn wieder einer von euch einem von uns ein Bein bricht, dann komme ich nach Erfurt. Oder nach Hamburg, ist ja eigentlich egal. Genau. Am nächsten Wochenende fahre ich nach Kiel. Falls die deutsche Fußball-Nationalmannschaft einem Schweizer Spieler ein Bein bricht, werde ich in Kiel irgend einem Passanten das Bein brechen. Revanche muss sein. Wir sind Euch ohnehin im Verhältnis von 1:10 unterlegen, wenn auch nicht auf dem Fußballplatz, so doch in Sachen Spielerreserven. Also nehmt euch in Acht. Und dass ihr mir also auch im Fall eines Sieges der Deutschen über die Schweizer nicht in eure Nationalfarben hüllt! Ich verspreche umgekehrt, dies auch im Fall eines Schweizer Sieges nicht zu tun. Also ich meine, in die deutsche Nationalflagge ja schon gar nicht, aber auch nicht in die Schweizer. Das ist mir dann sowieso wieder zu blöde.


Albert Jörimann
06.02.2007

Kommentare

  1. "...dass es in modernen Gesellschaften keine Helden mehr gibt und geben kann. Eine Figur wie zum Beispiel Adolf Hitler ist absolut undenkbar..."---> Adolf Hitler ein Held???????????

    Frank - 07.02.2007, 23:21