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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Innenraumrauchen"

[8.Kalenderwoche] Mit einem gewissen Recht sieht Alice Schwarzer ihre Arbeit als junge Pionierin der Frauenbefreiungsbewegung als vollendet an, nun, da Angela Merkel Bundeskanzlerin ist. Die beiden Frauen gleichen sich übrigens auch in ...

... Form und Farbe, naja, nicht so ausgesprochen, aber immerhin. Also könnte man sich jetzt dran machen, einen neuen Schritt zu tun in Sachen Emanzipation der Frau. Der würde darin bestehen, den Frauen auch noch die letzten Schutzreservate wegzunehmen. Nur wenn man auch einer Frau gnadenlos vorhalten kann, was sie wieder für einen Quatsch zusammengestiefelt hat, werden sich öffentliche Rülpser vermeiden lassen wie jener, dass man jetzt das Rauchen im Innern der privaten Automobile verbieten solle. Außenrum verpesten die Pkw die Umwelt auf Teufel komm raus und fressen nicht erneuerbare Energien, dass einem fast schwindlig wird, abgesehen von den Folgekosten für Städtebau, Landschaft und den Kollateralschäden im öffentlichen Bewusstsein, aber innendran soll ein Rauchverbot gelten und wahrscheinlich von einer speziellen Innenraumpolizei durchgesetzt werden. Der Innenraum der betreffenden Frauensperson erscheint mir zwar rauchfrei, aber ziemlich dicke vernebelt. So etwas sollte man nicht einmal in Deutschland auf die Öffentlichkeit los lassen, sonst merkens die deutschen Stammbürgerinnen und Stammbürger nämlich am Schluss noch, mit was für Weicheiern die Spitzen ihrer Schaudemokratie besetzt sind. Im Ausland jedenfalls sprichts sich langsam herum. In der Schweiz titelt die Boulevardpresse in dieser Woche: «Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?» – Wenn ich auch zugebe, dass der Blick, so heißt nämlich unser Boulevardmedium, damit fast österreichische Pressestandards erreicht, so muss ich anderseits auch einräumen, dass diese Serie angesichts derartiger Idiotien natürlich nicht von ungefähr kommen.

Allerdings hat die Blick-Serie wahrscheinlich einen anderen Hintergrund. Wenn man hier in Zürich Straßenbahn fährt, was an die 70 Prozent der EinwohnerInnen tun, weil Autofahren in dieser Stadt eine gar trübe Sache ist, dann ist das Ohr an gewisse Geräuschkulissen gewohnt. Wir haben die besinnungslosen Handy-Schnatterer, welche aber auch nicht mehr so laut herumbrülllen wie zu Beginn dieser Krankheit; das hält sich so einigermaßen im Rahmen. Daneben kommts etwas drauf an, welche Strecke man gerade befährt; rund um die Bahnhofstraße ist der Anteil an Englisch und Französisch relativ hoch, zum Teil durchmischt mit Spanisch und Arabisch und auf den touristischen Strecken noch etwas chinesisch und japanisch. Auf den übrigen Streckenbereichen hat man halt die übliche Mischung aus den verschiedenen Schweizer Dialekten mit Türkisch, serbokroatisch und den lateinischen Sprachen. Wenn sich in diese ausgewogene Mischung nun immer stärker das Hochdeutsch mischt, so stört dies das Gleichgewicht zunächst ganz erheblich. Deutsch ist nämlich unsere offizielle Sprache, irgend eine Schicht des kollektiven Unterbewussten spricht Deutsch, aber niemals irgend ein Mensch selber. Ein Mensch in Zürich spricht vielleicht Berndeutsch oder Kurdisch oder meinetwegen Koreanisch, aber doch nicht Hochdeutsch! Das führt zu ganz eigenartigen Kollisionen im öffentlichen Bewusstsein und Unterbewusstsein, und deswegen hat der Blick diese Serie auch angesetzt.

Versteht mich nicht falsch: Niemand hat hier im Ernst etwas gegen die Deutschen. Bloß, wenn jemand in der Öffentlichkeit hochdeutsch spricht, gehen alle sofort von einem unendlichen Wichtigtuer aus. Charakterschwache SchauspielschülerInnen; Menschen, welche ihre Weltläufigkeit beweisen wollen und erst mit dem Hochdeutschen ihre volle Provinzialität unter Beweis stellen; all das sind die spontanen und natürlichen Reaktionen des öffentlichen Bewusst und Unterbewusstseins, wenn im öffentlichen Raum verstärkt die deutsche Sprache aufklingt. Es würde mich nicht wundern, wenn der Blick anschließend ein Hochdeutschverbot im Innenraum von Straßenbahnen und Bussen fordern täte.

Vielleicht könnte man dem aber einfach entgegentreten, indem man wieder etwas stärker auf das Italienische zurückgreifen würde, was bis vor rund 10 Jahren noch die so genannte Lingua Franca in der Deutschschweiz war, jene Sprache, in der sich vor allem im Baugewerbe die Arbeiter aller Herren Länder verständigten. Aber die Italiener sind leider zunehmend assimiliert, aufgesogen in den Schweizer Volkskörper, so dass unsere extremsten Schweizer Nationalisten im Moment die eingebürgerten Albaner und Jugoslawen sind. Aber das ist ja dann wieder ein anderes Kapitel.

Ich habe schon früher mal erwähnt, dass wir in einem Jahr zusammen mit unseren Stammesbrüdern, den Österreicherinnen, die Fußball-EM auszurichten gedenken und dabei weder die Welt noch Europa als Gast zu Freunden einladen. Vielmehr betrachten wir mit einer gelinden Entrückung, was in Süditalien und in Südsachsen oder auch in Leipzig unter den Fußballfans so abgeht. Als erste Reaktion möchte man immer wieder dazu aufrufen, diese Präprimaten doch einfach kurz und klein zu hacken; aber es durchzuckt einen dann doch regelmäßig die Erkenntnis, dass es so denn auch wieder nicht geht. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass solche Verhaltensmuster über kurz oder lang dann doch wieder jenen autoritären Staat herbeiführen werden, den sich diese unförmigen Amöben ja ausdrücklich wünschen. Es gibt ja HistorikerInnen, welche behaupten, dass die Entwicklung der menschlichen Zivilisation eben auch im Zickzack erfolgt mit Ausschlägen einmal in Richtung freiheitlicher Forderungen und dann wieder in Richtung autoritärer Strukturen. Ich weiß ja nicht, wie das nun objektiv steht damit, denn zweifellos handelt es sich auch um eine Frage der kollektiven Gemütslage, ob man nämlich dies und jenes Ereignis schwerer oder weniger schwer einstuft. Dazu kommt wohl doch, dass unterdessen die modernen Gesellschaften derart massiv international organisiert und verstrickt sind, dass ein nationalistischer autoritärer Staat praktisch nicht mehr denkbar wäre. Aber ganz vom Tisch sind die entsprechenden Befürchtungen denn doch noch nicht, ganz abgesehen davon, dass ich immer wieder rot sehe, wenn ich braun höre. Und dann stelle ich mir wieder vor, wie das nun wäre, wenn ich vor so zehn betrunkenen Nazischlägern stehen täte – ich müsste ja glatt eine Schusswaffe kaufen, und als nächster Schritt würden dann die auch wieder, und dann hätten wir den Salat, und bald würde es etwa so zu und her gehen wie in Bagdad. Also bleibe ich doch lieber zu Hause und brummle einfach etwas vor mich hin und lese daneben das Buch «Die Kraft positiven Denkens».

A proposito Bagdad: Da hatte ich doch letzthin eine Erleuchtung zu den Deutschen, der ich Euch gleich teilhaft werden lassen werde, aber da es, wie Ihr zweifellos sofort gemerkt habt, mit Aldi zu tun hat, suchte ich noch schnell im Internet, ob ich herausfände, ob die Gebrüder Hans und Theo Albrecht vielleicht auch ihr Domizil in der Schweiz aufgeschlagen hätten wie der Herr Beisheim von Metro oder der Herr Kamprad von Ikea. Stattdessen habe ich gefunden ein deutsches Shia-Forum, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob die Aldi-Gründer vielleicht auch Zionisten seien. Ihr versteht: Wäre man jetzt in Bagdad, würde hier nicht eine Frage scheu ins Internet gestellt, sondern eine praktizierende Bombe hingefahren. Das ist ungefähr der Unterschied zwischen hier und dort, aber umso interessanter ist es, dass so ein Shia-Forum justament eine Brücke schlägt zwischen, naja, dem Iran halt und Deutschland mit einem, Forum, in dem so saumäßig intelligente Zitate stehen wie: Das Leben ist wie eine Brücke, überquere sie, lasse dich jedoch nicht auf ihr nieder. Und das soll zu allem noch ein Jesus-Zitat sein. Jesus! Tschii-säss! Wie soll ich unseren Propheten Jesus hier verstehen: Ich soll nicht immer 17 Jahre alt bleiben? Oder: Ich soll es mir in mir selber nicht allzu gemütlich einrichten und schauen, dass ich wieder aus mir heraus komme? Das wäre dann ja wieder etwas lustiger, aber so genau passt dieses Brückenbild dann auch wieder nicht dazu. Und von wem stammt denn dann das Zitat, wonach das Leben wie eine Hühnerleiter sei, kurz und beschissen? Von Papst Benedikt dem XVI.? – Äh bäh. Und dann unterhalten sich die Forumsteilnehmer über den Verrat von Aisha, so, als ob sie sich über die neueste Frisur von Britney Spears unterhalten würden. Aber ausgerechnet die Frage wegen des allfälligen Zionistentums der Herren Albrecht ist von diesem Shia-Forum wieder gestrichen. Au Backe. Na, dann machen wirs halt ohne diesen schönen Beitrag. Der Gedankenblitz ging nämlich wie folgt: Die Deutschen sind eben doch radikale Denker, und zwar insgesamt. Ich könnte mir kein anderes Land vorstellen, das die abstrakte Lehre vom billigsten Marktangebot derart schnörkellos in die Praxis umsetzt wie ihr mit euren Aldi-Läden. Niemand ist prinzipientreuer, noch im kapitalistischen Alltag, als ihr da oben im Norden und im Zentrum Europas. Aldi – das ist nichts weiter als Kant plus 200 Jahre. Ihr alle, die ihr im Aldi einkauft, seid nicht etwa Lutheraner oder Katholiken oder meinetwegen Türken und Mohammedaner, sondern ihr seid ganz einfach Kantianer. Das wollte ich Euch noch kurz mitgeteilt haben. Ich glaube nicht, dass sich irgend ein anderes Land auf der Erde den Spaß eines solchen Ernstes erlauben würde.

Der Aldi als kategorischer Imperativ im Einzelhandel. Dazu habt ihrs gebracht, ihr Denker. Und beim Dichten verweise ich einfach nach wie vor auf Eure Goldrapper und Dieter Bohlen von Halbacht. Bleibt uns bloß in Deutschland, ihr guten Deutschen!

Albert Jörimann
25.02.2007

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