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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Vor dem Sommerurlaub"

[24.Kalenderwoche] Im Juni steht der Sommerurlaub bei uns praktisch schon im Haus. Am letzten Wochenende haben wir kurz Italien getestet, es funktioniert immer noch. Für Bahnreisende, die nicht immer an den Hauptknotenpunkten ...

... aussteigen, bieten sich immer wieder sehr schöne Miniaturen mit zerfallenden Bahnhöfen, wo die Natur ihre Rechte über die ehemalige staatliche Architektur geltend macht, die Gehsteige aufwellt und eine üppige Flora nicht nur zwischen still gelegten Gleisen, sondern auch rund um die ganze Infrastruktur hinwirft. Auch Relikte der Fantasie der Staatsangestellten sind zu bewundern. Einen Bahnhof haben wir gesehen, der war vor zwei Generationen dekoriert worden mit einem rund 3 m hohen schiefen Turm aus Pisa, sehr schön nachgebaut. Dagegen stand unser Endabnehmerbahnhof zwar nur 5 Minuten vom Dorfzentrum, aber doch inmitten eines kräftigen Unkrautgrüns, das alle Pfadfinderherzen Kurz: Der Italiener fährt Auto, und dementsprechend sagte denn auch der nicht mehr ganz so neue Fiat-CEO Marchionne, dass er Fiat zu einer der weltweit größten Automobilmarken ausbauen wolle. Na, habt Ihr das verstanden, Kolleginnen und Kollegen? Für die Deutschen ist da offenbar kein Platz auf der Rangliste vor dem Italiener, denn gegenwärtig lautet die Rangliste Toyota, General Motors und Ford, und dann kommt in Zukunft eben Fiat. Ha! – Aber bis dahin dauert es wohl noch einen Moment, denn Fiat hat eben erst den Turnaround geschafft, mit dem allerdings überhaupt niemand mehr gerechnet hatte, das muss man zugeben, und insofern ist der Marchionne niemals völlig lächerlich, er mag noch den größten Unsinn verklickern.

All das habe ich in der Repubblica gelesen, und dort stand aber auch, dass Europa endlich wieder einen Chef habe, nämlich niemand anderen als Eure Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das ist nun eindeutig Lob aus berufenem Munde, finde ich, denn der Italiener ist in dieser Sache ziemlich unparteiisch, sozusagen noch neutraler als die Schweiz. Allerdings weiß man nicht so genau, was sich hinter solchen Aussagen letztlich versteckt, gerade wenn man sie in Kombination mit den Fiat-Ambitionen liest, die doch deutlich nur zulasten der deutschen Automobilhersteller gehen. Aber in der Welt der Großindustrie, wo Fusionen und andere Transaktionen auf der Tagesordnung stehen, kann sich die Sachlage ohnehin von einem Moment auf den anderen ändern. Das Repubblica-Lob braucht Euch also nicht zu schrecken. Es erfolgte sowieso im Zusammenhang mit dieser dubiosen G8-Veranstaltung in Heiligendamm, bei der eigentlich nur noch die eine Frage offen bleibt, ob nämlich der Ehemann von Angela Merkel auch das Damenprogramm mitgemacht hat. So doof sich das jetzt anhört, so intelligent ist der darauf folgende Spruch, dass am Damenprogramm wahrscheinlich viel handfestere politische Fortschritte gemacht wurden als anläßlich der Neuauflage eines eher trüben Polittheaters der Großmächte. Wer weiß, was Laura Busch ihrem Georgieboy nächtens alles einflüstert. Vielleicht steht hinter unserem Weltleader, der von Fettfass zu Fettfass hüpft – das jüngste übrigens das Versprechen, er werde den Kosovo eigenhändig in die Unabhängigkeit entlassen –, gar nicht sein Vizepräsident Cheney, sondern seine Laurafrau. Jedenfalls reiste dann der Präsident der Vereinigten Staaten nach der G8-Konferenz und vor seinem Albanienbesuch nach Italien, wo er aber keine großen Stricke zerriss, sondern angeblich bloß dem deutschen Papst Ratzinger einen Stab überreichte, auf den ein Arbeitsloser die 10 Gebote mund- und fußgemalt hatte. Auch diese 10 Gebote aus der Hand von George W. Bush hätte ich mir gerne einmal näher angesehen. Obzwar, wenn ich ehrlich bin: Eigentlich nicht. George W. Bush geht mich nichts an, er geht mir bloß auf den Wecker.

Eben haben wir dann den Italiener getestet, und kann ich vermelden, dass wir diesmal ganz besonders Schwein hatten, nicht mit dem Wetter, sondern mit der Küche, nämlich aßen wir schon am ersten Abend gut, am zweiten Abend aber vorzüglich, nachdem wir den Schuppen mit den billigsten Preisen gefunden hatten. Ich gehe davon aus, dass Faustregeln in der Regel nicht stimmen, aber hier, im Ristorante della Nuova Posta in Mergozzo, falls Ihr dort mal durchbrettern solltet – Man spricht Deutsh, notabene, nämlich in Mergozzo, im Ristorante della Nuova Posta etwas weniger – trafen sämtliche Vorurteile zu: knapp außerhalb des Dorfzentrums, und, ganz wichtig, an der Straße gelegen, mit zwei Speisesälchen, die eigentlich eher Speisekammern waren, wenn der Begriff nicht schon vergeben wäre, einer jungen Frau als Bedienung, die dem Essen sichtlich nicht abgeneigt ist und von Deutsch angeblich nur das Wort Schwarzwäldertorte versteht (Foresta Nera, war wirklich ausgezeichnet), sich aber ansonsten in einer nicht aufdringlichen und dennoch engagierten Art um uns kümmerte und vor allem aus der Küche Speisen herbei schleppte, die so gut waren, dass ihnen nur noch die Übersetzung auf Deutsch gerecht wurde. Habt Ihr schon einmal «Schnitzel im aufgezogenen Fensterrahmen» gegessen? Wir auch nicht. Niemand hat sich dazu entschlossen, obwohl sie im italienischen Original ganz leicht zu identifizieren waren: Piccata Milanese. Wie man von Piccata Milanese auf Schnitzel im aufgezogenen Fensterrahmen kommt, blieb uns allen ein Rätsel, das uns auch die Bedienung nicht aufklären konnte, die eben an Deutsch nur Schwarzwälder Torte versteht. Weniger abseitig, aber fast noch wunderbarer war das andere Gericht, das da hieß: Pfirsichbaum an Mandeln. Arno Schmidt und alle seine Epigonen können einpacken angesichts der Speisekarte im Ristorante della Nuova Posta in Mergozzo. Ich hätte gerne einen leckeren Pfirsichbaum an Mandeln. Im Nachhinein ist mir in den Sinn gekommen, dass ich den Italiener wohl auch schon malträtiert habe, als ich einen Eistee mit Fischaroma bestellt habe, man spricht eben auch Italienish, anstelle mit Pfirsicharoma, denn die Fische heißen pesce und der Pfirsich pesca. Der Pfirsichbaum an Mandeln war wohl schlicht und einfach eine Forelle mit Mandelsplittern. Aber die Rekonstruktion oder Konstruktion des Schnitzel an aufgezogenen Fensterrahmen ist uns nicht gelungen und wird hoffentlich den Sprachhistorikern in 1000 Jahren verschiedene Rätsel aufgeben. Wenn man sich mal ausmalt, was die Jungs und Mädels vor 2000 Jahren auf ihre Tonscherben geritzt haben, wenn sie vielleicht nicht besonders vielsprachig waren oder in der Schule in Orthografie und Grammatik eher eine 5 geschrieben haben als eine 4... Und bei uns gibt das dann einen ganzen eigenen Zweig an Geschichtsforschung.

Dagegen will ich die ganze Küche dieses Etablissements loben, vom Salat über die Platte mit Hirsch- und Wildschweinsalami über die Ravioli und Taglierini mit Birnen und Salbeibutter bis zu den Vongole und den Involtini. In Sachen Nachspeise reichte es nur noch für besagte Schwarzwäldertorte, für die der betreffende Bäcker wohl einen erleichterten Zugang ins Paradies erhalten wird.

Also hat Italien seinen ersten Test wieder bestanden, sodass wir uns Ende dieser Woche definitiv in die Ferien absetzen können, und zwar wiederum in jene absolut unbekannte Region in Mittelitalien, die im letzten Jahr etwas an Bekanntheit gewonnen hat mit den Büchern von Jan Weiler, «Mama, ihm schmeckts nicht» und «Antonio im Wunderland», dessen zweiter Held, der emigrierte italienische Gastarbeiter Antonio Marcipane, eben aus der Hauptstadt dieser Region stammt, nämlich aus Campobasso, das heißt also aus dem niedrigen Feld, die sich aber unbestrittenermaßen auf 1000 Metern über dem Meeresspiegel befindet. Wir halten uns aber nicht in Campobasso auf, sondern in Montenero, was etwas weiter unten liegt, nämlich auf 271 Meter über Meer, aber trotzdem direkten Meeresanschluss hat und überhaupt die nördlichste Gemeinde des Südens von Italien ist. Ich gehe davon aus, dass ich Euch die Lokalitäten schon früher mal geschildert habe. Küchenmäßig ist Montenero etwas bescheidener, ich würde es einfach durchs Band robust nennen, mit Ausnahme der Meeresfrüchte und Fische, die zwar auch ziemlich robust, aber robust ausgezeichnet sind. Schwarzwäldertorte aber gibt’s nicht. Für jene, die Jan Weiler gelesen haben, kann ich anfügen, dass der Strand von Montenero neben jenem von Termoli liegt, und die anderen interessierts hoffentlich sowieso nicht. Es weiß eh kaum ein Mensch, wo Molise und insonderheit Montenero di Bisaccia liegt.

Anläßlich unseres Abendessens bzw. zum Nachtisch haben wir uns recht einläßlich über den jüngsten Großprozess in der Schweiz unterhalten, der mit einem Freispruch an allen Fronten endete, nämlich über den Swissair-Prozess. Ihr erinnert Euch wohl nicht mehr daran, aber es gab vor Zeiten, nämlich bis vor rund 6 Jahren eine schweizerische Fluggesellschaft mit dem Namen Swissair, die eigentlich ein ganz gutes Renommée hatte und dann nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Oktober 2001 plötzlich kein Geld mehr hatte aufgrund verschiedener Faktoren, u.a. wegen des Ausbleibens der Flugpassagiere nach der Umwandlung von Flugzeugen in fliegende Bomben, aber sicher auch wegen einer falschen Unternehmensstrategie. Im Kern aber ging das sogenannte Grounding der Swissair darauf zurück, dass im ganzen Luftreiseverkehr offenbar jahre- und jahrzehntelang Profite erzielt wurden, dass die Alpen wackelten, sodass sich die Fluggesellschaften, unter anderem eben die Swissair, Eskapaden leisten konnten, wie sie sich die Welt eigentlich im real existierenden Kapitalismus gar nicht vorstellen dürfte. Dass es damit ein Ende hat, weiß man spätestens seit dem Aufkommen der Billigfluggesellschaften wie easyJet oder Ryanair oder auch AirBerlin. Aber zuvor wurde da mit Millionen und Milliarden herumgebastelt; im Verwaltungsrat der Swissair saßen lauter Leute, die von Transport und Flugzeugen null Ahnung hatten und nur zur Dekoration der Traktandenliste dienten, nämlich die Flaggschiffe der bürgerlichen Wirtschaftsprominenz; und diesen wurde natürlich per Saldo dann doch der Prozess gemacht. Das heißt: Die schweizerische Wirtschaftselite hat sich anhand des Vorzeigeunternehmens Swissair bis auf die Knochen blamiert. Seither wurden die Verantwortlichkeitsgesetze für Aufsichtsratsmitglieder angepasst, und natürlich traut sich heute auch schon fast keine Sau mehr, in irgend einen Renommieraufsichtsrat einzutreten. Eine Ausnahme bilden vielleicht noch die Großbanken und hier insbesondere die UBS, wo man offenbar doch auch noch die eine oder andere Bewegung auslösen kann; hier verweise ich übrigens auf den jüngsten Neuzugang im Verwaltungsrat, und es würde mich verdammt erstaunen, wenn es sich dabei nicht ausgerechnet um den Chief Executive Officer von Fiat SpA gehandelt hätte, nämlich Sergio Marchionne, der seine Sporen tatsächlich in mehreren Schweizer Großunternehmen wie Lonza und SGS abverdient hat, bevor er sich an die Sanierung von Fiat Societa per Azioni gemacht hat. Wer weiß, vielleicht unterstützt die UBS ja den Anlauf von Fiat, sich jetzt im Automobilbau an die Weltspitze voranzuarbeiten. Da würden wir neutral schon etwas schmunzeln. Euch bleibt dafür der Trost, dass dafür unterdessen die Lufthansa die Überreste der Swissair mit dem Namen Swiss aufgekauft hat. Und dazu besitzt Deutschland ja auch noch einige Anteile an diesem riesigen Europaprojekt mit dem Namen Airbus. Wer weiß: Wenn dieses Großraumflugzeug eines fernen Tages dann doch noch in Betrieb genommen wird, ists vielleicht gar kein so schlechtes Geschäft.


Albert Jörimann





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12.06.2007

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