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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - AMLO

Endlich hat er es geschafft: Beim geschätzt hundertsten Anlauf wurde Andres Manuel Lopez Obrador zum Präsidenten von Mexiko gewählt.



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> Download Er kommt aus der linken Ecke, was in einem Land, dessen größte Partei die «Partei der institutionalisierten Revolution» heißt, nicht zwingend eine große Aussagekraft hat. Seine Wahlkoalition nennt sich «Zusammen werden wir Geschichte schreiben». Er verspricht, was man halt so verspricht in einem Wahlkampf, Ende der Korruption, Kampf gegen die Drogenkartelle, soziale Gerechtigkeit und so weiter. Aber haben er und seine Koalition auch tatsächlich die Mittel in der Hand, um die Versprechen einzulösen?

Skepsis ist angebracht. In kaum einem anderen Land zeigen sich die Gegensätze zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden derart krass wie in Mexiko. Einerseits finden wir die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt mit allen Anzeichen der Entwicklung; der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt beträgt noch 4%, die Industrie macht knapp einen Drittel aus, und zwei Drittel entfallen auf den Dienstleistungssektor. Der Tourismus blüht, zum Teil sogar auf allerhöchstem Niveau. Die Arbeitslosenquote liegt unter 4%, und gleichzeitig lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Solche Zahlen entnimmt man dem Notizbuch von Hayden Pannettiere, nein, natürlich dem zuverläßigen CIA Fact Book, und die Katastrophenmeldungen über die Mordquote und eben die Drogenkartelle finden sich täglich auf jenen Nachrichtenseiten, die man unterdessen schon gar nicht mehr wahrnimmt. Das Drogenproblem war mindestens ursprünglich das Problem der Vereinigten Staaten; heute hat wohl auch das Inland seinen Anteil am Kuchen. Der Industriegürtel in Mexikos Norden liefert der Endfertigung im Süden der Vereinigten Staaten zu, wobei hier wie überhaupt in der Beziehung zwischen den beiden eng miteinander verzahnten Länder im Moment alles etwas am Flirren ist in einer Atmosphäre, die man mit Mittagshitze wohl ziemlich treffend umschreibt.

Was will Andres Manuel Lopez Obrador in dieser Situation tun? Die Korruption, welche zum Vornherein Zweifel aufkommen lässt an allfälligen Sozialprogrammen, hat sich derart tief in den Staat eingefressen, dass man sie besser als einen tragenden Bestandteil akzeptiert, mit dem man sich arrangieren muss. Der neue Präsident könnte versuchen, alternative Strukturen zu schaffen oder zu unterstützen, Selbsthilfeformen, was weiß ich; nicht auszuschließen sind Beschäftigungsprogramme beziehungsweise strukturelle Interventionen; immerhin lebt mit Carlos Slim einer der reichsten Männer der Welt in Mexico City. Er hat sein Geld nicht mit Erdöl, sondern im Telekommunika­tions­bereich gemacht, da haben die staatlichen Beamten wohl gepennt. Und das könnte man gegebenenfalls auch in anderen Sektoren ausnutzen. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall erschließt sich mir kein direkter Weg zum Ziel, das immer und überall nur heißen kann, die rechtlosen und armen Bevölkerungsschichten mit Rechten und Einkommen auszustatten und langfristig an die Macht zu bringen – unter der Bedingung, dass sie bereit sind, sich für die Ausübung der Macht auch auszubilden und zu engagieren, versteht sich. Ich habe keine Ahnung, ob der einen Plan hat – wie gesagt, Skepsis ist am Platz.

Aber was macht sie eigentlich, unsere Hayden Pannettiere? Am 11. Oktober des Jahres 2008 empfahl sie ihrem Publikum, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten McCain zu unterstützen, er sei genau wie Wilhelm Busch, nur etwas älter und mit einem aufbrausenden Charakter. Am 26. Oktober hatte sie ihre Meinung geändert und forderte nun zur Wahl von Barack Obama auf. Das ist in den Vereinigten Staaten normal. Auf Twitter gratulierte sie ihrem Bruder Vitali Klitschko zur Aufnahme in die Hall of Fame, wobei es eigentlich eher der Bruder ihres Nicht-Ehemannes Wladimir ist; am 11. Juni zwitscherte sie energisch gegen die Fischerei-Wilderer auf dem Offenen Ozean, andere Fachleute sind da schon weiter und rüsseln gegen die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll, aber das kommt sicher noch. Und am 28. April forderte sie die Fangemeinde auf, Geld zu spenden für die Behandlung ihrer Freundin Sarah Dunn nach einem Verkehrsunfall. Offenbar kann sich diese Porträtfotografin keine Krankenversicherung leisten, und Hayden Pannettiere hat auch nicht genug Kohle, um ihr aus der Patsche beziehungs­weise aus dem Spitalbett zu helfen.

Ende Juni hat VW wie angekündigt ein «Werk» in Ruanda eröffnet. Als Geschäftsführerin wirkt die Slam-Poetin Michelle Rugwizarangoga. Ich habe mir eine Zeitlang überlegt, ob ich mein Interesse von Hayden Pannettiere ab- und Michelle Rugwizarangoga zuwenden solle, aber dann hatte ich den Eindruck, dass Frau Rugwizarangoga doch ein wenig zu stark in den Medien und den PR-Kreisen rund um das Weltwirtschaftsforum und so weiter herumgereicht wird, ohne dass sie irgendeinen anderen Ausweis als ihre schöne Multikulturalität vor deutschem Hintergrund hat. Mir persönlich ist die Ausrichtung dieses VW-Werks nicht ganz klar; in der chronisch verkehrsüberlasteten Hauptstadt Kigali sollen einerseits Mobilitätslösungen angeboten werden, wenn ich das richtig verstanden habe im Sinne von Car Sharing und solchem Plunder; nach meinem persönlichen Verständnis sind die besten Mobilitätslösungen eigentlich nicht Automobil­fabriken für die Städte, sondern Straßenbahnen, Busse und ähnliche Systeme. Aber wie auch immer. Offenbar ist tatsächlich der erste Polo vom Band gerollt. Allerdings werden die Fahrzeuge hier bloß montiert aus Bestandteilen, welche aus dem Ausland herbei geschafft werden. 500 bis 600 Exemplare sind für dieses Jahr vorgesehen. Lohnen tut sich das offenbar vor allem, weil der Staat auf fertigen Automobilen eine Importsteuer von einhundert Prozent erhebt. Naja.

Es ist nach wie vor so, dass sich die Weltgeschichte nicht, nie und nirgends, bis auf ganz wenige Ausnahmen, linear entwickelt. Jetzt hat man doch gleich serienweise positive Nachrichten aus Äthiopien gehört, die fantastischen Wirtschaftsdaten, wenn auch immer noch auf recht niedrigem Niveau, aber immerhin; die neue Eisenbahn, der große Staudamm und zuletzt die Friedensinitiative des neuen Präsidenten Ably Ahmed, der den alten Konflikt mit Eritrea endlich beilegen will, seine Initiative zur Entlassung von politischen Gegangenen aus der Haft. Und dann hören wir, dass im Süden des Landes wieder Stammeskonflikte ausbrechen und dass achthunderttausend Menschen auf der Flucht seien. Wie soll man unter solchen Umständen Ordnung und Fortschritt in die Sache bringen? «Dann ist es eben nichts damit, dann ist das alles eben Kitt», kann man trällern und weiß dabei in erster Linie eines: Seit die Dreigroschenoper am 31. August vor 90 Jahren uraufgeführt wurde, hat sich doch das eine oder andere geändert. Punkt.

Am Montag las ich in einem Artikel der Zürcher Internet-Zeitung «Republik» über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Migration, nun ja, nicht in Ruanda oder Burundi, sondern in Europa beziehungsweise in Großbritannien und in der Schweiz, was folgt: «Theoretisch betrachtet ist Migration langfristig ein «neutrales» Phänomen. Ob mehr oder weniger Menschen auf einer bestimmten Fläche leben und arbeiten, sollte eigentlich keine Rolle spielen. Entscheidend für den Wohlstand sind Dinge wie technischer Fortschritt oder die Qualität staatlicher Institutionen. Migrationsbewegungen haben gemäss der gängigen Theorie höchstens einen temporären Effekt auf den Arbeitsmarkt.» Das sind ja lustige Töne im Zusammenhang mit der aktuellen Panik rund um legale und illegale Einwanderung, zu welcher bei uns das Asylwesen zu rechnen ist. Die öffentliche Meinung wird sich um diese Meldung nicht weiter kümmern, in erster Linie in Deutschland nicht, wo die Migrationsfrage zum Hebel geworden ist, um Frau Merkel zu stürzen. Was sich die CSU davon erhofft, bleibt mir vorderhand verborgen. Ist dies der Auftakt für eine Kanzlerkandidatur Söder? Möglich wär's, nachdem die Vorherrschaft von Angela Merkel tatsächlich das Aufkommen valabler Kandidaten innerhalb der CDU verunmöglicht hat. Es wäre ja sichtbar die Aufgabe der aktuellen Amtsperiode gewesen, solche Personen herzustellen und zu präsentieren. Mit der Seehoferei gerät dieser Prozess ins Stocken. Bei geschickter Verhandlungsführung kann für die CSU durchaus personell etwas herausspringen. Dass die Allianz für Deutschland in diesem Zusammenhang nur vorgeschoben ist, leuchtet spontan ein. Trotzdem hoffe ich, dass die Grünen in Bayern bei den Landtagswahlen ihre Stimmenanteile verdoppeln und verdreifachen.

Und nun zu etwas anderem: Wie ich höre, will unser Bundesamt für Zivilluftfahrt Flugstraßen für Drohnen einrichten. Das erscheint spontan vernünftig, wenn man den Drohnenverkehr nicht ganz verbieten will, und dazu reicht wohl das Technik- und Fortschrittsverständnis in der Bevölkerung nicht aus. Also haben wir hier demnächst tatsächlich die dritte Dimension im Transport erreicht, eine dritte Dimension, die ich schon seit Langem für unser gesamtes Bewusstsein anstrebe. Ihr erinnert euch vielleicht an die fundamentale Bemerkung, dass unsere gesamte Architektur, die Realität in unseren Dörfern und Städten im Grunde genommen nur zweidimensional ist, nämlich der Grundriss, einfach in die Höhe gezogen. Dass man sich aber auch auf Höhe des fünften Stockwerks in der Fläche bewegen könnte, auf diese Idee kommen nur wenige Leute, und technisch gesehen gibt es hier auch nur wenige Ansätze, zum Beispiel Hochbahnen oder allenfalls noch Seilbahnen. Wer nun heute etwas auf sich hält, ich meine jetzt als Stadt wie zum Beispiel Erfurt, der richtet sofort ein Büro für Drei-D-Planung ein, welches nicht nur die Einführung von Hochbahnen plant, sondern in erster Linie Fußgängerverbindungen in zwanzig Metern Höhe. Es versteht sich von selber, dass dafür höchste Sicherheitsstandards angewendet werden müssen, zum Beispiel dort, wo Hochhäuser miteinander zu verbinden sind und wo man darauf achten muss, dass insonderheit die Stabilität oder Instabilität bei Erdbeben ausreichend berücksichtigt wird. Aber sonst? Stellt euch mal einen Sommer vor, den ihr zur Hauptsache auf einem neuen Platz über, sagen wir mal einer Abstellhalle der Erfurter Verkehrsbetriebe verbringt. Das, meine Damen und Herren, sind Aussichten, um welche ich unsere Kinder beneide.



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Albert Jörimann
03.07.2018

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