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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Soros-Verschwörung

Die Welt als Verschwörung geheimer Mächte – ich weiß nicht, weshalb man solche Hilfs­kon­struk­tionen braucht, die Verhältnisse liegen ziemlich offen da. Die erste Frage lautet immer: Wer hat wie viele Knete?



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> Download Geld ist zwar kein absolutes Synonym für Macht, aber Macht hat immer auch mit Geld und Geld immer auch mit Macht zu tun. Wie wurde zum Beispiel Carlos Slim zu einem der reichs­ten Männer der Welt? Zeitweilig war er nicht einer der Reichsten, sondern überhaupt der Reichste, heute ist sein Vermögen auf kümmerliche 55 Milliarden Euro geschrumpft. Aber wie kam er zu seinem Besitz? Weil er bei der Privatisierung der mexikanischen Tele­com­gesellschaft die richtigen Männer schmierte, ganz einfach. Wie kam Susanne Klatten zu ihren 25 Milliarden Euro Vermögen? Das wiederum war genetisch bedingt, und selbstverständlich ist damit verbunden der jederzeitige Zugang zu Frau Bundeskanzlerin Merkel, zum Beispiel, wenn es darum geht, Abgasskandale und Diesel-Gesetzgebungen zu steuern, und jetzt kommt der Clou: Da geht dann selbstverständlich nicht Frau Klatten selber hin, sondern einer ihrer Untergebenen der vierten Ebene, also sagen wir mal der BMW-Konzernchef. Und ein Schweif an Orden und Auszeichnungen hängt an ihr, weil man mit derart viel Knete gar nicht anders kann, als sich sozial zu betätigen, zum Beispiel im Rahmen der S-K-ala-Initiative. Vielleicht ist aber noch spannender, dass im konventionellen Bereich der Wirt­schaft eine besonders erfolgreiche Art des Geldscheffelns jene im Bereich billiger Konsumgüter ist, wie die Familien Walton in den Vereinigten Staaten und Albrecht in Deutschland zeigen, wenn auch Aldi Nord für das Jahr 2018 zum ersten Mal rote Zahlen schrieb im Deutschlandgeschäft – der Sektor ist an breiter Front in Bewegung geraten aufgrund der Verlagerung ins Internet und in den Versandhandel. Wie auch immer: Es braucht keine Verschwörungstheorie, um herauszufinden, dass diese Welt eine kapitalistische ist und dass der Kapitalismus gesteuert wird vom Kapital, um das mal etwas salopp zu sagen und in erster Linie in Abweichung von Marx' konstituierender Analyse, dass Kapital ein soziales Verhältnis sei, mit anderen Worten: Es handelt sich dabei eigentlich nicht um eine bestimmte Summe Geldes, und möge sie noch so hoch sein, beziehungsweise ihre Verteilung, wie sie Thomas Piketty in seinem Buch minutiös dokumentiert hat. Aber eine Aus­sage­kraft haben die akkumulierten Gelder natürlich doch. Innerhalb dieser Kapitalsphäre erzeugen dann unterschiedliche Organisationsformen und Entwicklungsstufen ihrerseits unterschiedliche Aus­prä­gun­gen von Macht, in niedrigeren Entwicklungsstufen, welche mit höheren Entwicklungsstufen koexistieren, tritt dabei oft auch Korruption auf, wie zum Beispiel bei Carlos Slim oder in Rumä­nien, im Land der aktuellen EU-Präsidentschaft, aber all dies ist überhaupt kein Geheimnis, man braucht dafür nicht mal einen Journalisten zu töten, wie dies in den Gammelstaaten Malta oder in der Slowakei im letzten Jahr der Fall war. Man weiß das alles. Weshalb sind dann Verschwörungs­theo­rien trotzdem so beliebt?

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die eigene Machtlosigkeit oder mindestens das eigene Nichtstun besser zu rechtfertigen ist, wenn die Welt eine Verschwörung ist und nicht eine ganz offen auf der Hand liegende, abgekartete Sache. Gegen die Machthaber und die Superreichen könnte man ja eigentlich durchaus etwas unternehmen, zu Beispiel, indem man sie ordentlich besteuert, und um der Steuerflucht entgegen zu wirken, indem man die Steuergesetzgebung kontinental und vielleicht sogar global harmonisiert und die Schlupflöcher schließt, zum Beispiel im Rahmen der EU. Die Europäische Union wäre für so etwas zweifellos die Instanz an und für sich. Allerdings zeigt sie genau auf diesem Gebiet eine große, ja strukturelle Schwäche. Das Irish Dutch Double Sandwich, welches den Großunternehmen erlaubt, ihre Gewinne von den in den Niederlanden domizilierten Europa-Hauptsitzen steuerfrei auf die Bahamas zu zügeln, ist dafür das beste Beispiel. Es hat das ursprüngliche EU-Steuerhinterzugs-Modell mit der Schweiz als EU-rechtsfreiem Raum im Herzen der EU längstens abgelöst. Dass in den Niederlanden der blond gefärbte Malaie Geerd Wilders rassistische Anti-EU-Propaganda betreibt, passt sehr gut ins Bild, allerdings nicht einer Verschwörung, sondern einer großen Ver­we­de­lungs-Anstrengung. Bis die EU zuhause in allen Haushalten und in allen Köpfen angekommen ist, lässt sich mit der EU-Gegner­schaft wunderbar Regionalpolitik betreiben, wie wir dies nicht zuletzt aus dem Freistaat Bayern kennen. Unterdessen haben sie sich dort offenbar eines besseren besonnen, nachdem sie gemerkt haben, welche Art von Kräften sie damit befeuern.
Eine der schönen und großen Verschwörungstheorien betrifft den Milliardär George Soros. Er ist ungefähr gleich reich wie Susanne Klatten, hat aber sein Vermögen nicht mit Erbschaften, sondern mit Währungsspekulationen gemacht. Im Gegensatz zu Frau Klatten stellte er aber nicht 100 Millionen Euro, sondern 18 Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke zur Verfügung, konkret mit der Open-Society-Foundation. Diese wird aber, durchaus im Gegensatz zu Susanne Klattens S-K-ala-Initiative, als schlagender Arm der Bemühungen um rassische Durchmischung und Auflösung der Identität der identitären Völker und Bevölkerungen Europas dargestellt, wie wir dies von allen notorischen Rassisten in der AfD, in Ungarn, in der österreichischen FPÖ, in Polen und wo auch sonst noch immer als Verschwörungstheorie gehört haben, wobei Ungarn sicher herausragt, wohl weil Soros selber ungarischer Abstammung ist. Der Aufbau der Soros-Verschwörungstheorie ist eng angelehnt an die Nazi-Verschwörungstheorien von der jüdischen Weltherrschaft; Soros ist schließlich selber Jude. Ein reicher Jude, ein Spekulant und so weiter. Passt doch alles ins Weltbild der Post-Primaten.

Neulich wurde in einem Artikel beschrieben, wie diese Soros-Verschwörungstheorie entstanden ist. Ihr Urheber soll ein gewisser Arthur Finkelstein sein, ein Jude wie Soros selber, der aber einen beeindruckenden Leistungsausweis an Beeinflussung der Öffentlichkeit vorzeigen kann, nämlich hat er offenbar schon in relativ grauer relativer Ur-Zeit bei Ayn Rand begonnen, weitergemacht mit Barry Goldwater und Richard Nixon, Ronald Reagan, Bush und Trump und auch sonst nichts ausgelassen, von Bibi Nethanyahu bis zu Calin Popescu-Taricenanu in Rumänien und Sergei Stanischew in Bulgarien und dann eben Urban Orban, für welchen er vor zehn Jahren George Soros als Popanz, als Stellvertreter des internationalen Finanzkapitals aufbaute. Die Figur hat sich seither bei allen Rechtspopulisten etabliert. Der Artikel stützt sich auf Aussagen eines der engsten Mitarbeiter von Finkelstein, Georg Birnbaum, ebenfalls ein Jude und Mitarchitekt dieses antisemitischen Machwerks, auf welches sich auch die aktuelle Machtelite des Staates Israel stützen soll. Nun – all dies mag in gewissen Teilen stimmen, aber es handelt sich in der Gesamtpräsentation zweifellos ebenso um eine Ver­schwö­rungs­theorie wie jene rund um Soros. Es steht außer Frage, dass es PR-Fritzen gibt, welche sich mit der Massenmechanik der öffentlichen Meinung beschäftigen und sich keinen Furz um Dinge wie Moral oder Wahrheit kümmern, welche eigentlich ebenfalls eine Grundlage der öffentlichen Meinung sind, mindestens in der öffentlichen oder PR-Version. Aber ebenso steht außer Frage, dass die Bevölkerung in der Regel nicht allein aufgrund solcher Meinungshalunken ihre Meinung bildet – sonst wäre zum Beispiel die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten Amerikas vollkommen unerklärlich. Ja, genau, wo blieb denn damals dieser Finkelstein? Oder noch anders gefragt: Wo bleibt denn dieser Breitbart-Krampus, der Steve Bannon ab, der doch ausgezogen sein soll, um Europa rechtsextrem umzukrempeln? Den Salvini kann er sich auf jeden Fall nicht ans Revers heften, der hat für sich selber keinen Bannon gebraucht und auch die Italienerinnen und Italiener nicht, die wählen den Salvini ganz selbständig. Nein, in dieser Dämonisierung steckt wiederum das Bedürfnis nach einer einfachen Welterklärung, weil man selber nicht genug davon versteht, und dann ist es halt statt der Weltjude Soros einfach der Weltjude Finkelstein. Das ist nicht viel wert.

Der Fall Urban Orban und der Aufstieg der antisemitischen Hetze in Ungarn beziehungsweise die Machtergreifung und ihre Konservierung vermittels antisemitischer Hetze im Jahr 2019 sollte tatsächlich Gegenstand einer oder mehrerer Untersuchungen sein, aber bitte nicht für mich; ich beschäftige mich mit diesem Land erst wieder, wenn der Orban für immer abgehalftert und versoffen in einer Budapester Vorstadtkneipe auf seinem Alten- und Hinterteil sitzt. Und Polen werde ich auch erst dann wieder bereisen, wenn der Restzwilling verschwunden ist und mit ihm seine ganze Partei. Ich hoffe, dass dies nicht zu hohe Anforderungen sind an dieses Land. Ich bin ja kein Unmensch, ich verlange auch nichts Unmögliches oder Übermenschliches.

Dafür hat sich im Kongo zum allgemeinen Erstaunen ein Oppositionskandidat durchgesetzt, nämlich der Erb-Oppositionelle Tshisekedi, den viele Menschen als Teil des Systems Kabila ansehen, weil schon sein Vater verschiedene Posten und Positionen im Kabila-Staat besetzt hatte. Dementsprechend beschwerte sich der zweite Oppositionskandidat Martin Fayulu über Wahl­fälschung. Das wiederum ist vollkommen natürlich, und dass Felix Tshisekedi keinen Haftbefehl gegen Joseph Kabila erließ, noch bevor er überhaupt im Amt bestätigt worden ist, sondern vielmehr versöhnliche Töne anschlug, kann man ihm nicht im Ernst als Beleg dafür auslegen, am System Kabila überhaupt nichts ändern zu wollen. Möglich ist es schon, aber es ist eben auch viel anderes möglich. Und so warten wir vorsichtshalber erst einmal ab, wie der sich benimmt auf dem Präsidentensessel.

Die gleiche abwartende Haltung nimmt man mit Vorteil gegenüber dem neuen mexikanischen Präsidenten Manuel Lopez Obrador ein. Seine Wahlversprechen haben gut geklungen, seine symbolischen ersten Maßnahmen mit dem Abbau von Gehältern und Privilegien der Staatselite erscheinen spontan als richtig; aber diesen von Kriminalität und Korruption zerfressenen Staat in Form zu klopfen, wird etwas mehr kosten als die richtigen symbolischen Akte. Die Gegenseite operiert bekanntlich mit wenig symbolischen Mordmaßnahmen. Und nur schon die Spannungen zwischen der Zentralregierung und den verschiedenen Provinzbehörden versprechen im Kern eigentlich nur das, was man die ganze Zeit über vermutet: die Fortsetzung des Konflikts mit einer vielleicht etwas anderen Rhetorik und einer vielleicht etwas weniger offensichtlichen Korruption auf der allerhöchsten Ebene, zum Beispiel beim Verscherbeln des Staatssilbers. Aber sonst? Wenn man sich die Südseite ansieht, wächst sogar ein gewisses Verständnis für die US-amerikanischen Projekte zum Bau einer Mauer zwischen den beiden Ländern.


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Albert Jörimann
15.01.2019

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