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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Börsenhüpfer"

[12.Kalenderwoche] In meiner Reichweite befindet sich niemand, der sich wirklich auf den Weltbörsen auskennt. Wenn es anders wäre, würde dies heißen, dass ich mich in Milieux bewege, die mir nicht zustehen, obwohl ich ja eigentlich ...

... gerne das Milijöh-Hopping empfehle, bloß scheint es nicht so einfach zu sein; am leichtesten findet man noch Zugang zu anderen Kulturen, wie ich hier auch schon dargelegt habe, zum Beispiel zu den Arabern; am letzten Samstag haben wir wieder mal ziemlich toll gelacht über die Practical Jokes und andere Witzchen unseres Haus-Libanesen, der uns allerdings Ende April verlassen wird; ich weiß durchaus noch nicht, wie wir diese Lücke stopfen sollen. Vielleicht weiß Mustafa Choukeir auch dazu einen Rat. Zu seinen Witzen zählt übrigens eine Erklärung des israelisch-palästinensischen Konflikts: Ariel Sharon habe Yassir Arafat die Freundin ausgespannt. Wenn ich mir die jüngsten Skandalmeldungen gerade aus Israel vergegenwärtige, möchte ich hierzu noch anfügen, dass diese Interpretation vielleicht nicht mal derart absurd ist, wie sie zunächst scheint...Aber immer noch absurd genug, natürlich. Davon abgesehen haben wir uns in letzter Zeit angewöhnt, einen Bogen um das Thema Naher Osten zu machen, denn unsere Meinungen sind hier ziemlich gegensätzlich. Aber egal. Einer der Söhne dieser Familie heiratet demnächst eine Tunesierin und musste zu diesem Behuf im Rahmen der Eheformalitäten auch die Religion wechseln, er ist jetzt Moslem, aber solangs der Liebe und der Ehe dient, ist das in Ordnung. Davon abgesehen gibt es für die Kinder keine größere Beleidigung, als wenn man sie etwa einen Jugo nennt, sie sind Schweizer und Araber, Punkt. Aber einer der besten Freunde, den Mustafa auf einer Tunesienreise aufgegabelt hat, ist ein Kroate, der für ein russisches Unternehmen in Italien Erdgasverträge aushandelt. Eben, diese Sorte von Miljöhhopping ist uns zugänglich, dagegen der Zutritt zu den Heiligen Hallen der Kapitalverwaltung und –vermehrung und überhaupt nur schon zum Wiener Opernball bleiben uns wohl lebenslänglich verwehrt, einmal unabhängig davon, ob wir da überhaupt hin möchten.

Ich selber stelle mir das Miljöh-Hopping ganz lustig vor. Ich bin davon überzeugt, dass eine Gesellschaft mit durchläßigen Klassenschranken eigentlich spannender wäre als eine klassenlose Gesellschaft; ich habe Paradiesvorstellungen jeglicher Sorte schon immer für katastrophal langweilig gehalten. Blöde an den sozialen Unterschieden ist eigentlich nicht ihr Bestehen, sondern dass man sie nicht überwinden kann, auch nicht beziehungsweise vor allem nicht temporär. Jedenfalls stelle ich mir vor, dass ich es gut und gerne einen oder zwei Monate in einer Luxusvilla aushalten täte, und dann müsste ich aber dringend wieder etwas Vernünftiges tun. Die armen Schweine, die tagein, tagaus daran denken müssen, was sie zum nächsten Empfang anziehen, mit denen möchte ich aber lieber nicht tauschen. Bloß ins Boudoir kucken möchte ich ganz gerne mal und denen bei ihren Unterhaltungen zuhören; anschließend wäre ich geistig, seelisch und moralisch wieder ganz gesund. Denoch, wenn man mal eben eine kleine Milliarde Euro oder auch nur die Hälfte davon zur Verfügung hätte, was würde man nicht alles Gescheites anstellen damit! Man würde es keineswegs in den Konsum stecken, beileibe nicht, das wäre ja eine rechte Strapaze, nein, man würde damit umgehen wie die Malerin mit dem Pinsel oder der Klempner mit dem Rohrschlüssel und etwas Gescheites auf die grüne Wiese zaubern. Man kann sich in der Produktion versuchen oder auch nur im Wohnungsbau. Was das Herz begehrt. Bloß eines wäre hier untersagt: die Börsenspekulation. Von der weiß eh niemand, wie das geht. Beziehungsweise alle wissens: Wenn die Börsenkurse rauf gehen, hat man gewonnen, und wenn sie runter gehen, hat man verloren.

Die Turbulenzen der letzten paar Wochen auf den Aktienmärkten haben angeblich drei Gründe: Zunächst und als Auslöser war es die so genannte Korrektur auf dem chinesischen Aktienmarkt; dazu gesellte sich als zweites ein rein psychologisches Motiv: Jeder Aufwärtstrend braucht zwischendurch mal eine Delle, sonst versagen den durchschnittlichen Anlegern die Nerven. Als dritten Faktor nannte man die Probleme des Subprime-Hypothekarmarktes in den USA; dabei handelt es sich um Hypotheken, welche nicht erstklassig abgesichert sind, wobei ich mir das nicht so recht vorstellen kann, denn eine Hypothek hat ja in jedem Fall die dazu gehörige Liegenschaft als erstklassige und absolut immobile Sicherheit. Nagut, da gibt es vielleicht Eigenkapital-Mindestvorschriften, die je nachdem verletzt wurden, vielleicht wurden einige Häuser zu hoch belehnt, vielleicht vermochten einige Eigenheimbesitzer ihre Hypothekarzinsen nicht mehr zu bezahlen, das mag ja alles sein beziehungsweise wird auch so gewesen sein, aber grundsätzlich erscheint mir ein massives Hypothekarproblem gar nicht möglich, außer die Banken hätten die betreffenden Liegenschaften reihenweise über ihrem Wert belehnt. Das kann natürlich sein; aber vielleicht handelt es sich bei diesem dritten Punkt eben wieder mal um so ein Hype, ein ebenso künstlich aufgeblasenes Problem wie das Wetter und die Klimaerwärmung, von der ich ja auch nicht behaupte, sie sei kein Problem, mich wundert es bloß, wieso jetzt wieder alle Welt Atomkraftwerke bauen will, allen voran die Klimamechaniker. Ansonsten aber und bezogen auf die Börse kenne ich eigentlich niemanden, welcher mir sagen würde, es handle sich um eine strukturelle Erschütterung, um eine echte Korrektur, wenn man einmal von der anfänglichen chinesischen Abwärtsbewegung absieht, die aber unterdessen schon längst wieder gestoppt wurde.

Daneben werden die Aktien aber munter gemäß den alten Regeln gehandelt, und diese heißen, dass je nach Sektor der Börsenwert ungefähr einem durchschnittlichen Vielfachen des Reingewinns entsprechen sollte; bei Deutsche Bank wäre dies beispielsweise 10x, beim Stromversorger RWE etwa 12x, ebenso wie bei E.ON. Wieso das so ist oder wie sich die Sektoren untereinander unterscheiden, soll mich niemand fragen. Der Schweizer Uhrenmacher Swatch zum Beispiel weist ein Vielfaches von fast 20x des Reingewinns auf, ebenso wie der Luxusgüterproduzent LVMH; der Lastwagenhersteller MAN dagegen liegt irgendwo in der Mitte, während VW wieder nur bei 10 steht, da kommt also kein Schwein draus. Pharmatitel schaffens auf 20, bei Apple aber steht das Vielfache bei rund 30.

Was die sogenannt zugrunde liegende Wirtschaft angeht, stehts auch nicht viel besser, indem nämlich, wie hier immer und immer wieder erwähnt, die materielle Produktion je länger, desto vollständiger in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfindet. Trotzdem gibt es nach wie vor saumäßig viele produzierende Unternehmen, die an den Börsen kotiert sind, wobei es sich dann halt neben den ewigen Automobilern eher um Sachen wie Pharmazeutik und Spitzentechnologie in mehreren Bereichen handelt, einmal abgesehen von den Binnenproduzenten wie Strom und so weiter, wo man die Produktion ja nicht einfach nach China verschieben kann. Hier ist sicher lustig, dass ein neuer Markt entstanden ist auf den Emerging Markets, wo vor allem die Mobiltelefongerätehersteller unterdessen schon ein Schweinegeld machen; umgekehrt kommen langsam einige Unternehmen aus diesen Ländern in die oberen und obersten Ligen herauf, eben zum Beispiel welche aus China oder auch aus Indien. Aber insgesamt bietet sich für mich nur die Feststellung an, dass das System funktioniert, und zwar recht gut, nicht aber, wieso es vielleicht funktioniert. Aber auch das ist ja wiederum recht lustig.

Bei den Börsen hat sich im letzten Jahr der Spruch «Sell in May and go Away» recht toll bestätigt. Grundsätzlich war davon in erster Linie die USA betroffen. Damals handelte es sich mit einiger Sicherheit um eine Rückwärtsbewegung, die fast ausschließlich von psychologischen Faktoren ausgelöst wurde, dies aber effizient und halbwegs nachhaltig, indem nämlich zum Beispiel in den USA der ganze Wohnungssektor zu kriseln begann, was jetzt in die Subprime-Krise gemündet hat. Dementsprechend bin ich fast versucht zu sagen, dass die Turbulenzen der letzten Wochen insgesamt eine Subprime-Krise darstellten, die aber die Grundfesten der Märkte nicht zu erschüttern vermochten. Und ebenso bin ich aus reiner Blödheit versucht vorherzusagen, dass es im nächsten Mai erneut zu einer solchen doofen Mitnahmekrise kommen wird, bloß weil dieser Reim existiert. Das zeigt dann wieder, wo in Zukunft die Funktion der Literatur bzw. der Lyrik liegen wird. Vielleicht handelt es sich aber auch um nichts weiter als eine heranwachsende Nachfolgeregelung für die leider untergegangenen Bauernweisheiten. Im April hält die Börse still. Im März geht’s vorwärtz. Der Februar ist nicht so klar. Der Januar war wahr. Und so weiter. So bürgern sich auf einer virtuellen Ebene neue Gepflogenheiten für Aussaat und Ernte ein, diesmal einfach beim Kapital bzw. bei den Geldanlagen.

Da wir aber allesamt kein Geld haben, brauchen wir uns darum nicht zu kümmern. Daneben könnte man sagen, dass das Klassenhüpfen ja in einer gewissen Form bei Fernsehsendern wie Viva und anderen schönen Lifestyle-Serien sehr aktiv betrieben wird und überhaupt bereits in der Yellow Press insgesamt seinen schönen Ausdruck gefunden hat. Ich weise aber darauf hin, dass es sich hier nur um Projektionen handelt, und zwar um Projektionen der üblen Sorte, weil sie nämlich jene Realität eben gerade kaschieren, die mich ganz besonders interessieren täte. Erscheinungen wie Paris Hilton lenken nämlich nur vom wirklichen Leben ab. Paris Hilton existiert an und für sich überhaupt nicht – hier hätte Jean Baudrillard theoretisch recht, wenn es nicht noch einen Schlenker höher ginge, nämlich ist Paris Hilton nichts als die Hülse einer Existenz, aber da sie diese Hülse derart konsequent und perfekt gibt, existiert sie als Existenzhülse an und für sich und dementsprechend doch wieder voll substanziell. Das wiederum ist das Schöne an Paris Hilton.

Ach, ich sehe schon, ich muss mich ein bisschen näher mit der Haute Volée beschäftigen. Wenn wir schon für die Börse wieder Bauernregeln produzieren, können wir doch genau so gut wieder einen Cyber-Adel einführen. Aber zu dem gehören dann, bittschön, nicht die verzogenen Burschis der Hohenzollern und Bismarcks, sondern da sagen dann wir, wer da dazu gehört, nach den allerbesten Klassenkriterien.



Albert Jörimann
20.03.2007

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