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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Blackrock

Der sozialdemokratische Medienkonsens bricht wieder einmal auseinander, weniger wegen der Attacken der gelenkten und geleiteten Kerndeutschen auf die Lügenpresse als wegen der Reorganisation des ganzen Sektors.



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Die wirtschaftlichen und technischen Grundlagen für Zeitungen und Fernsehen haben sich unter dem Ansturm der Internetmedien massiv verändert, die Werbebudgets werden neu aufgeteilt, und bloggen, filmen und sonstwelche Beiträge erstellen, das können die Benutzerinnen des weltweiten Netzes unterdessen auch selber. Wie seit zehntausend Jahren und überall, so auch hier wieder: Alles fließt und ist in ständiger Bewegung. Dabei sollte man der Vergangenheit nicht mehr Tränen aufs Grab weinen als nötig, denn der sozial­de­mo­kra­tische Medienkonsens pflegte nur an den Rändern wirklich taugliche Meldungen zu produzieren, Nachrichten über die Vorgänge hinter den Kulissen der PR-Meldungen, über die wirklichen Macht- und Besitzverhältnisse und so weiter. Die breite sozialdemokratische Medienrealität bestand aus Leben und Leben lassen, Agenturmeldungen abdrucken und unendlich gescheite Kommentare zu schreiben, bis hin zu unübertroffen neutralen Kommentaren aus der neutralen Schweiz.

Aber immerhin deckte der sozialdemokratische Medienkonsens auch die tatsächliche journalistische Arbeit ab, die investigativen Aktivitäten, das Bemühen um Einsicht und um den Blick hinter die Kulisse; es bestand mit anderen Worten Einigkeit darüber, dass man eine Journalistin oder einen Journalisten nicht gerade umbringt, wenn er mal ein verdecktes Bankkonto aufgespürt hat, im Gegensatz zum Beispiel zu Russland, wo Präsident Putin erst kürzlich wieder mal einen solchen Journalisten aus dem Fenster im zwanzigsten Stockwerk hat stürzen lassen, oder zu Malta, wo nach dem Mord an Daphne Caruana Galizia zwar die Mörder, aber nicht die Hintermänner gefasst wurden, wobei es völlig klar ist, dass es um die Ehefrau von Regierungschef Muskat ging, dass mit anderen Worten Joseph Muscat für diese Tat verantwortlich ist, vermutlich zusammen mit anderen; oder auch wie in der Slowakei, wo die Regierung unter Robert Fico den Journalisten Jan Kuciak umbringen liess, als dieser der persönlichen Assistentin von Fico, Maria Troskova, auf die Schliche gekommen war, wie sie Steuern und EU-Fördergelder abkassierte. In Myanmar sitzen zwei Reuters-Journalisten seit Monaten im Knast, ich weiß noch nicht mal weshalb, der Erdopimpel in der Türkei lässt auch nichts aus, um dem Cliché eines autoritären Regimes, welche die Meinungsfreiheit nach Strich und Faden abwürgt, zu genügen; solche Dinge ereignen sich unter sozialdemokratischen Bedingungen im Mediensektor nicht.

In einigen entwickelten Ländern hat sich anstelle der Ermordung kritischer Journalistinnen und Journalisten eine alternative Form der Medienarbeit etabliert, bei welcher die Wahrheitssuche ersetzt wird durch das Massieren des gesunden Menschenverstandes, also jener Sphären des Volksbewusstseins, von welchen die Medien lange Zeit die Hände gelassen haben aufgrund all der Erkenntnisse über die Propaganda im Dritten Reich. Das geht jetzt wieder voll karacho. In Italien leistete Silvio Berlusconi vor fünfundzwanzig Jahren Pionierarbeit, indem ihm 1992 nichts anderes übrig blieb, als in die Politik einzusteigen, nachdem im Rahmen der Tangentopoli-Untersuchungen ans Licht gekommen war, dass er sein Medienimperium illegal und mit Schmier­gelder für die italienischen Sozialisten aufgebaut hatte. Es ist auch heute noch eine lustige Alternative: Zuchthaus oder Regierungschef. Wer würde da nicht den Palazzo Chigi wählen! Seinem Vorbild folgte als erster Rupert Murdoch, dem es nicht genug war, mit seinem Medien-Konglomerat im damals günstigen wirtschaftlichen Umfeld Milliarden zu scheffeln, er bemühte sich nicht nur mit einem behämmerten Programm wie bei Berlusconi um die Befeuerung der Volksdummheit, eben als alternative zum sozialdemokratischen Mainstream, sondern er begann explizit politisch zu agieren. Nochmals ein bisschen später machten sich den USA die rechten Multimilliardäre Koch und Mercer ein richtiges Hobby daraus, die öffentliche Meinung aufzukochen und zu aufzumer­cern anstatt die Öffentlichkeit zu informieren. Als Geschäftsmodell ist das wohl nicht überragend erfolgreich, aber als wichtiger Bestandteil jener politischen Maschine, welche am Schluss die gro­ßen Aufträge vergibt, rechnet sich das dann wieder. Alternativmedien dieser Sorte sind der Ausdruck davon, dass der sozialdemokratische Konsens entweder überhaupt nicht trägt oder aber dauerhaft brüchig ist.
In den Medien in Afrika, Lateinamerika und in den verschiedenen Regionen Asiens ist die Lage wiederum anders, aber auf die gehe ich hier nicht ein, weil ich mich für einmal darüber auslassen möchte, dass der klassische Journalismus durchaus nicht verschwindet, sondern mitten im größten wirtschaftlichen Schlamassel der Medienindustrie ein paar wunderbare Ereignisse vorzuweisen hat. Es sind in erster Linie verschiedene internationale Gruppen von Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten, welche in den letzten Jahren dafür gesorgt haben, dass man anstelle der begründeten Vermutung nun plötzlich Tatsachen auf dem Tisch hat, zum Beispiel in Bezug auf die Steuer­hinter­ziehung anhand des Datenlecks bei Mossack Fonseca in Panama. In meinem engeren Umfeld kann ich zwei Publikationen nennen, zum einen die «Reportagen», die es nun schon seit ein paar Jahren gibt und die gut vier Mal im Jahr ein Heft publizieren mit fünf bis zehn eigenen, in der Regel solide recherchierten Beiträgen; und zum anderen hat eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten ein Internet-Magazin mit dem Titel «Republik» gegründet, das seit Januar dieses Jahres online ist und zum Teil sehr schöne eigene Texte publiziert, als letztes gerade einen Dreiteiler über Preis­absprachen im Baugewerbe im Bündner Unterengadin. Die Republik tritt als neue Kraft neben die bald 40-jährige «Wochenzeitung». Finanziert wird sie durch Spenden und handelsübliche Abonne­ments­gebühren. Den wichtigsten Effekt formuliert die Redaktion selber wie folgt: Die traditionellen Zeitungsverleger sind bass erstaunt darüber, dass die Leserinnen und Leser tatsächlich bereit sind, etwas zu bezahlen für einen Artikel. Und das hat zur Folge, dass auch die verbliebenen anderen Zeitungstitel gezwungen sind, ihre Redaktionen nicht mehr als Hersteller von Wegwerfwaren zu behandeln. Das Klima hat sich tatsächlich gedreht. Wie lange das anhält, weiß man natürlich nicht, aber vorderhand ist die Medienwelt trotz den anhaltenden Konzentrationsprozessen wieder um einiges schöner als auch schon.

So erschien denn am Montag nicht in der «Republik», deren Motto übrigens lautet: Ohne Journalismus keine Demokratie, aber eben, es erschien nicht in der «Republik», sondern im Zürcher «Tages-Anzeiger» ein Artikel des Journalistennetzwerks «Investigate Europe» über den Investitionsmanager Blackrock. Er soll unterdessen einflussreicher sein als Goldman Sachs, welche immerhin Persönlichkeiten wie Robert Rubin, Henry Paulson und weitere Minister und Ministerialbeamte der US-amerikanischen Regierungen bis hin zum aktuellen Finanzminister Steven Mnuchin hervor­ge­bracht hat oder den ehemaligen italienischen Regierungschef Mario Monti, den aktuellen EZB-Chef Mario Draghi, die EU-Kommissions-Brühwurst José Barroso, neben intensiven Kontakten zu grie­chischen Finanz­politikern vor und während des Finanzkollapses des Landes, und so weiter und so fort – von solchen Kalibern scheint bei Blackrock nichts auf, wenn man einmal vom ehemaligen Chef der Schweizer Notenbank Philipp Hildebrand absieht. Blackrock widmet sich weniger den per­sonell-institutionellen Belangen als vielmehr ganz einfach dem Geld. Also natürlich dem Kapi­tal. Das Unternehmen arbeitet vor allem mit Indexfonds, in welche heute gut 6300 Milliarden Dollar investiert sind. Goldman Sachs dagegen weist laut statista.com für das Jahr 2017 nur gerade 1500 Milliarden «Assets under Supervision» aus, die schweizerische UBS im Jahr 2016 laut der Londoner Scorpio 2100 Milliarden Dollar. Mit 6300 Milliarden, wovon sehr viel Geld aus Pen­sions­fonds, kommt ganz schön was zusammen, nämlich Beteiligungen an über 17'000 Gesell­schaf­ten, zum Teil in ansehnlicher Höhe. In der Schweiz zum Beispiel hält Blackrock Anteile an den meisten börsenkotierten Unternehmen von 2% bis zu 12% ihres Kapitals; mehrheitlich sind es um die 5%. Das kann angesichts der in der Regel ziemlich breiten Streuung des Besitzes schon einigen Einfluss erbringen, den man unter anderem mit einem Sitz im Verwaltungsrat geltend machen kann. In den Vereinigten Staaten verfügt Blackrock zusammen mit den zwei Mitbewerbern Vanguard und State Street bei fast 90% der Firmen, die im S&P 500 gelistet sind, über den höchsten Aktienanteil. Das ist doch immerhin mal eine interessante Meldung auch für Menschen, deren Kapitalismus-Ver­ständnis sich mit einzelnen Figuren wie Jeff Bezos, dem Zuckerberg-Jüngling oder Bill Gates erschöpft. Und es erlaubt auch die Frage, wie Macht denn im internationalen Kapitalismus in der Praxis aussieht.

Im erwähnten Artikel wird als Hauptproblematik bei dieser breiten Streuung der Beteiligungen der horizontale Aktienbesitz angegeben, soweit er sich über ganze Branchen erstrecke. Die Wett­be­werbs­intensität sinke, sobald die Konkurrenten von denselben Aktionären beherrscht werden. Das ist nun allerdings ziemlich kalter Kaffee. Ein Investitionsfonds bedient sich nun mal dort, wo angerichtet ist, unabhängig von der Branche, und bei einer derart breiten Aufstellung lässt sich der horizontale Aktienbesitz schlicht nicht ausschließen. Es handelt sich dabei ja nicht primär darum, Kartelle aufzubauen, auch wenn der Wettbewerbsexperte Einer Elhauge das ganz anders sieht: «Der horizontale Aktienbesitz ist die größte Bedrohung für den Wettbewerb in der heutigen Zeit», hat der bei einer OECD-Anhörung gesagt. Darum geht es aber ganz offensichtlich nicht. Es geht darum, dass solche Vermögensverwalter von einer bestimmten Größe an auftreten können oder sogar müssen wie die Besitzer der Unternehmen, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, also dann eben doch mit Kontakten zu den Regierungen und Kommissionen und so weiter und so fort. Hier finden sich Bestandteile einer Weltregierung, wie sie die Verschwörungstheoretiker immer wieder vermuten. Aber aufgrund ihrer breiten Aufstellung zum einen, der Herkunft ihrer Anlage­kapitalien aus Pensionsfonds zum anderen ergibt es keinen Sinn, bei solchen Institutionen irgend­wel­che Drahtziehereien oder Wettbewerbsverzerrungen oder auch nur eine Verschwörung zur Ausblutung der arbeitenden Bevölkerung zu vermuten, deren Pensionsgelder sie ja wie gesagt verwalten. Niemand hat soviel Interesse an einem ungestörten Gang der kapitalistischen Dinge wie Blackrock. In diesem Sinne handelt es sich um eine echt sozialdemokratische Maschine.

Das ist der Stand der Dinge, das sollte man den anderen Verschwörungstheoretikern hin und wieder unter die Nase reiben. Falls sich aber jemand Gedanken darüber macht, ob die einfachen Leute, die Subjekte der Demokratie, irgendwie in der Lage wären, sich die Verfügungskraft über solche globalen Verwalter beziehungsweise Besitzer anzueignen und was sie dann damit tun würden, dann würde ich gerne in Erfahrung bringen, was denn erste Ergebnisse dazu wären. Meistens überlegt man sich solche Sachen doch nur auf nationaler Ebene, und die traditionellen Basisorganisationen aus dem Bereich Konsumentinnenschutz oder die Gewerkschaften machen keinerlei Anstalten, eine gemeinsame, auch nur schon europäische Politik zu entwickeln und sie so mit ihren Mitgliedern zu diskutieren. Im nationalen Rahmen aber sind sie letztlich nur Instrumente der Entmachtung der Bevölkerung, nicht Instrumente ihrer Ermächtigung, auch wenn das zum Beispiel anhand von Tarifverhandlungen immer wieder so dargestellt wird.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
08.05.2018

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