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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Myclimate und andere Freuden

Ich halte die Organisation MyClimate mit ihrem Angebot der Kompensationszahlungen für klimaschädliches Verhalten nach wie vor für eine betrügerische Organisation.



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> Download Nicht im strafrechtlichen Sinne, sondern weil sie vorgibt, die Schäden namentlich aus dem CO2-Ausstoß von Flugreisen, aber auch aus der Automobilität mit Klimaschutz-Projekten auszugleichen, was eine Heuchelei einer eigenen Größenordnung darstellt, denn das Problem sind nun mal die Flugreisen und die Automobilität, und wer dazu beiträgt, sie in der aktuellen Form weiterzuführen, namentlich durch die Erweckung des Anscheins der Entschärfung, der Annihilierung oder der vollständigen Kompensation und so weiter, und damit jeden weiteren Aussbau des CO2-Ausstoßes zu rechtfertigen, der trägt eine Mitschuld am Problem. Dies lässt sich im Moment grad recht hübsch nachlesen: Myclimate hat ihren CO2-Bekämpfungs-Output in diesem Jahr um 400 Prozent gesteigert, logischerweise dank den Fridays for Climate und dem Greta-Effekt. Die Subjekte fliegen weiter wie gestört und zahlen halt einfach etwas mehr dafür, weil sie ihr Gewissen mit diesen Zahlungen beruhigen können. Es ist denn auch kein Wunder, dass weitere Anbieter in diesen Markt drängen, im Zürcher «Tages-Anzeiger» vom 8. August werden noch South Pole, Climatepartner und Atmosfair aufgelistet, welche im Fall von South Pole einen deutlich günstigeren Ablass gewähren; für einen Flug ab Zürich nach San Francisco kostet dort die Gewissens-Anästhesie 33.35 Franken in der Economy-Class und 96.50 Franken in der Business Class im Vergleich zu den 102 bzw. 197 Franken bei Myclimate. South Pole ist laut «TagesAnzeiger» größer als Myclimate und weltweit tätig, und ihre Kunden seien hauptsächlich Firmen, die ihren CO2-Verbrauch senken oder kompensieren wollen, zum Beispiel auch die Ölfirmen Shell und BP. Da wundert auch der Name nicht: Am Südpol wird es auch dann noch Eis haben, wenn die Explorateure von Shell und BP den Nordpol ganz weggeschmolzen haben werden. Gibt es eigentlich neben Klopapier auch Kotzpapier? Ich bräuchte dann dringend einen Posten davon, wenn ich jeweils solche Meldungen lese. Shell und BP als Klimakompensateure – das ist schon der Höhepunkt jener Heuchelei, die ich seit über zehn Jahren Myclimate vorwerfe.

Am effizientesten, weil am teuersten kompensiert man aber bei Atmosfair mit 144.05 beziehungsweise 259.55 Franken, während Climatepartner aus nachvollziehbaren Überlegungen in der Business Class gar kein Angebot vorliegt, die Economy bezahlt mit 126.65 Franken den zweithöchsten Preis. Nachvollziehbar ist diese Politik deshalb, weil beim Fliegen nicht die Manager das Hauptproblem darstellen, sondern das Individuum multipliziert mal Bevölkerung, die fliegende Masse. Dieser Umstand taucht in anderer Gestalt auch bei den Verteidigerinnen der Volksflüge auf: Soll Fliegen denn ein Privileg für die Reichen sein?, fragen sie mit klassenkämpferischem Feinschliff, genau so, wie sie jeweils auch für Billigstpreise beim Schweinefleisch auf die, nun ja, nur sehr symbolisch aufgeschichteten Barri­kaden steigen. Ein Kilo Schweinehack für 2 Euro, das muss doch sein, mehr können sich unsere Mitlebewesen mit tiefen Löhnen oder nur gerade Harzt IV nun wirklich nicht leisten, bezie­hungs­weise wenn es mehr kosten täte, dann gäbe es keine Ferien auf Mallorca mehr, wo der Hin- und Rückflug 50 Euro kosten, allerdings ohne Klimakompensation. – Bei 2 Euro pro Kilo kommt es nicht so drauf an, ob der Fleischträger, also das Schwein gepfercht, geschlagen und insonderheit chemisch und pharmakologisch gedüngt ist, dass es eine Art hat, sodass die KonsumentInnen dieses 2-Euro-Schweinehack einerseits zwar Gefahr laufen, mit der Zeit eine Resistenz gegen verschie­de­ne Antibiotika zu entwickeln, aber vorher und vor allem brauchen sie gar nicht mehr zum Arzt zu gehen, weil sie mit dem Schweinehack mehr oder weniger dauermedika­men­tiert werden, und das senkt die Gesundheitskosten vor allem bei den minder bemittelten Schichten, für welche das Gesundheits­sys­tem ja sowieso nur noch beschränkt Mittel zur Verfügung stellen kann, weil alles so teuer geworden ist, wie man weiß, man muss die Gelder richtig, nämlich bei den privat versicherten Patienten einsetzen. So hat das alles seine Richtigkeit.

Und nun zur Antwort auf die Frage, ob Fliegen denn ein Privileg für die Reichen sein solle. Die Antwort lautet: falsche Frage. Wenn die Herumfliegerei tatsächlich zum Klimawandel beiträgt, warum soll man sie denn betreiben ohne Not? Angereichertes Uran ist meines Wissens auch ziemlich schweineteuer. Sollte man sich um eine Senkung dieses Preises bemühen, damit sich auch die Armen ein bisschen davon aufs Nutella-Frühstückbrot schmieren können? Das ist doch Quatsch. Das Reisebedürfnis, das ich für ausgesprochen legitim halte, kann man auch anders befriedigen als mit einem Wochenende auf Mallorca oder einem 3-wöchigen All-Inclusive-Urlaub in Antalya.

A propos Antalya: Ich habe ganz vergessen, an dieser Stelle meinem Erstaunen über den Türk Pascha Ausdruck zu geben, weil der die korrekte zweite Wahl zum Bürgermeister von Istanbul nicht annulliert hat, im Gegensatz zur ebenso korrekten erste Wahl. Was ist da los, Recep Taiyp Erdogan? In den Knast mit dem aufsäßigen Bürgermeister-Teufel! Ist sicher ein Kurde oder ein Gülen-Anhänger! Oder ein Christ oder auf jeden Fall einer, der keine Bestechungsgelder an den Erdogan-Clan abführt. Oder hat er das vielleicht in der Zwischenzeit nachgeholt oder es mindestens versprochen? Man weiß es nicht, man sieht ja nur von außen an die Menschen heran, aber von außen verstehe ich den Erdopimpel nicht, er wirkt plötzlich so unkohärent. Möglicherweise hat er aber im Moment im Südosten des Landes andere Probleme als im Nordwesten, vielleicht liegt es daran. Trotzdem: Ich staune und hätte dieses Staunen hiermit auch zuhanden einer Erfurter Öffentlichkeit formuliert.

Zum Reisen möchte ich noch nachtragen, dass man selbiges durchaus umweltfreundlich vollziehen kann, allerdings sind dafür gewisse Infrastrukturen notwendig, aber möglich ist es, und dies nehmt als Beispiel: Im April dieses Jahres bestiegen wir in Hendaye an der spanisch-französischen Grenze den Nachtzug nach Lissabon, und es war die Hölle, weil wir nämlich keine Schlafkajüte mehr reservieren konnten, war alles schon weg, und so saßen wir 12 Stunden lang mit verbogenen Beinen vor dem Durchgang zum Barwagen, in dem sich alle fünf Minuten jemand einen Kaffee oder ein Bier holte, wobei die Schiebetür jedesmal einen teuflischen Lärm machte, und in diesem Durchgang befand sich auch noch das Klo, wo alle sechs Minuten jemand sein Wasser oder seinen Kot abschlug, erneut unter Geklacker der Schiebetür, wirklich, das wäre ein Grund zum Fliegen gewesen. Zwei Wochen später fuhren wir mit dem selben Nachtzug zurück von Lissabon nach Hendaye, aber diesmal hatte es geklappt mit der Reservation, und es war so gut wie der Himmel, eine 2-Bett-Kajüte sogar mit eigener Dusche, die perfekte Art der eisenbahntechnischen Fort­be­we­gung, mit anderen Worten: Es geht!, man muß bloß die Schienen instand halten beziehungsweise vier weitere Spuren dazu legen, damit auch die notwendige Anzahl an Comboios verkehren können, und bei Gele­gen­heit wieder ein umfassendes Angebot an Nachtzügen einrichten, nachdem die Eisenbahngesellschaften fast aller Länder ihre Schlafwagen verschrottet hatten.

Und günstig muss es natürlich auch sein, damit Reisen im Nachtzug nicht ein Angebot aus­schließ­lich für die Superreichen bleibt.

Nun, Ihr kennt das alles aus früheren Sendungen, und dass der Sermon im Zusammenhang mit der Klimadiskussion eine gewisse Aktualität erhält, ändert daran nichts. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass man nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich seit Jahren darauf wartet, dass die deutschen Verkehrsminister dafür sorgen, dass die Zufahrtsstrecken zu ihren jeweiligen Eisenbahnnetzen modernisiert werden und dass die Infrastrukturen für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene endlich bereitgestellt werden, wie dies im Fall der Schweiz bereits im Jahr 1994, nämlich bei Aufnahme der Planung für den Gotthard-Basistunnel in Aussicht gestellt wurde. Letzthin habe ich gehört, dass die Planung für die Zufahrten nach Österreich am Widerstand in Oberbayern, also in Rosenheim scheiterten, weil die deutschen Verkehrsminister seit zirka zehn Jahren aus Oberbayern stammten und ihre Kundschaft nicht frustrieren wollten, eine Kundschaft, welcher sich offenbar gegen die Einrichtung weiterer Geleise bei Rosenheim zur Wehr setzt aus welchen Gründen auch immer. Dobrindt und Scheuer, da habt ihr aber wirklich Grund zu feiern, dass diese Sorte von Regionalhirnen oder Hirnregionen bei Euch in ein Kabinett rutschen. Naja, die Landwirtschaftsministerin Klöckner hat zwar auch ihre Hirnregionen, aber die sind offenbar nicht aus geografischen Gründen begrenzt. Was solls.

Jedenfalls funktionieren die Klima-Reflexe im Moment ganz wunderbar, leider auch bei vernünftigen Menschen. In unserer Wohnbaugenossenschaft gibt man sich alle erdenkliche Mühe, umweltgerecht und biologisch, wo nicht vegan zu leben, und ein Teil dieser Bemühungen besteht in einem sogenannten «Speicher», einer vernünftigen Einrichtung, wo man sich fair und biologisch produzierte Lebensmittel beschaffen kann, vom Salz über Teigwaren bis zu Reis und Kaffee. Unter anderem sogar Klopapier! Nun habe ich bemerkt, dass ich von diesem umweltfreundlichen Klopapier ungefähr drei Mal so viel verbrauche wie vom handelsüblichen Recycling-Klopapier aus normaler industrieller Produktion, wobei ich unterstelle, dass auch das Klopapier aus unserem Speicher nicht handgeschöpft sei. Bei genauerem Hinsehen – also im Ernst, wer schaut sich sein Klopapier schon genauer an! – befindet sich auf diesem Klopapier auch eine Kombination aus Markenzeichen, Figuren und Text. Die Marke heißt Goldeimer, ergänzt durch die Zeichnung einer Welt in Wassertropfen-Figur, unter welcher der Schriftzug: «Viva con Agua» prangt, zu welchem Schriftzug zwei Matrosen gezeichnet sind, welche sagen: «Mit Viva con Agua mache ich gerne Geschäfte.» Und wir alten, mit allen Wassern gewaschenen und mit jedem Klopapier abgewischten Gesellen lachen uns einen in den Zwergenbart, weil wir genau wissen, von welcher Art Geschäfte die zwei Matrosen sprechen. Ha, ha. Aber es geht noch weiter: Die grafisch-textliche Botschaft dazu wird separat aufgedruckt und lautet: «Alle für Klos – Klos für alle!», und darunter steht: «Dieses Papier baut weltweit Toiletten. Mehr Infos unter Vivaconagua.org.» Und zusammengehalten wird das ganze Produkt von der hirnregionalen Präzision: «Sankt Pauli», die unter dem Weltwassertropfen und dem zweiten Markennamen Viva con Agua steht.

Jaja, so wird unsereiner heute abgeholt, wir alten Irredentisten, wir in der Wolle gefärbten Antiimperialisten und Antifas und so weiter, wir sind doch alle Sankt-Pauli-Fans. Und damit auch möglichst alle Antifa-Ärsche mit Goldeimer-Klopapier geputzt werden, von dem man drei Mal so viel verbraucht wie von normalem Recycling-Klopapier, muss auch hier kompensiert werden, nämlich mit Toiletten. Zwei Mikro-Cents pro Rolle oder so fließen in die Erstellung von Toiletten weltweit, also wohl eher in Entwicklungsländern, nehme ich mal an, aber immerhin. Das Antifa-Marketing legt mir ans Herz, durch das Verwenden von Goldeimer-Klopapier die Hygiene in einem Vorort von Maputo zu verbessern! – Das ist, kurz und von nah besehen, der identische Mechanismus wie bei Myclimate, und deshalb habe ich mir vorgenommen, in Zukunft wieder Hakle halbfett oder halbfeucht im Kloartikelgeschäft meines Vertrauens zu erwerben. Dieser Bio- und Fairtrade-Beschiss am Arsch ist mir nun doch zu dumm, wenn es sich auch nur um Dummheit im Fäkal- und Mikrobereich handelt.



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Albert Jörimann
13.08.2019

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