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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Orpea

«Die Beschäftigten bei Orpea müssen zusammenhalten und sich gemeinsam für gute Arbeits­bedin­gungen und eine angemessene Bezahlung einsetzen», sagte der Leiter von Unicare, Adrian Durt­schi, im Sommer dieses Jahres gegenüber Ver.di.



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> Download Unicare ist ein Bereich von Uni Global Union, dem weltweiten Dachverband der Dienstleistungsgewerkschaften, und Orpea ist ein französischer Betreiber von privaten Pflege- und Alterseinrichtungen. Der Anlass war ein klassischer: Die Orpea-Tochter Celenus hatte in der Reha-Klinik in Bad Langensalza den Rotstift angesetzt. Dem sollte die Hauswirtschaft zum Opfer fallen, und 12 Reinigungskräfte würden ihren Job verlieren. Als sich dagegen Widerstand formierte, entliess Celenus zwei Gewerkschafts­mitglieder fristlos, fünf Be­schäftigte in der Physiotherapie wurden ausgesperrt. Business as usual, wie gesagt, der Kapitalis­mus schafft zwar Wohlstand, aber er tut dies oft auf seltsame Art und Weise, zumal im Pflege­bereich.

Die Menschen werden immer älter. Auch immer gesünder, aber in der Regel nicht bis ins hohe Alter; hier verlängern sich neben den stetig steigenden Aufwänden für die Behandlung zahlreicher Krankheiten und Unfälle auch die Pflegezeiten. Die Kosten steigen unaufhaltsam; das ist der Preis für die steigende Lebensdauer bei einigermaßen anständiger Lebensqualität.

Wirtschaftlich gesehen liegt hier ein riesiger und zuverlässig wachsender Markt. Eigentlich ist das Alter insgesamt eine unerhörte Goldgrube, auf Spanisch: ein wahres Eldorado für das System, schon bevor der Pflegebedarf entsteht. Wenn die Rentnerinnen und Rentner genügend Geld zur Verfügung haben, bilden sie eine perfekte Konsumentinnengruppe, nämlich Menschen, welche das gesellschaftliche Überprodukt nur noch verzehren und nicht mehr selber zur Produktion beitragen. Je mehr Geld die Rentnerinnen zur Verfügung haben, desto höher fällt ihr Beitrag zur Volks­wirt­schaft aus, naja, halt auf der passiven Seite, aber immerhin: Mehr als die Hälfte, nämlich 1730 Milliarden Euro, trugen in Deutschland die privaten Konsumausgaben im Jahr 2017 zum Brutto­inlandprodukt von 3280 Milliarden Euro bei. Die Alten leisten in diesem Rahmen einen wichtigen Konjunkturbeitrag, wenn sie nur genügend Bargeld zur Verfügung haben. Rentenalter runter, Renten rauf, müsste die wirtschaftlich höchst vernünftige Forderung lauten, ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung.

Wie immer stellt sich in erster Linie die Frage nach der Finanzierung. Ich stelle die herkömmliche Behauptung der bürgerlichen Politik, dass die Alten länger arbeiten müssen, weil man sie in der Wirtschaft benötigt, mal beiseite – dass dies ein Nonsense ist, wissen auch jene genau, die diesen Nonsense verbreiten. Die Alten müssen länger auf die Rente warten, weil die bürgerlichen Politiker nicht bereit sind, Geld dafür bereitzustellen, das ist alles. – Abgesehen davon sollen auch alte Menschen arbeiten, soviel und so lange sie wollen und können, dagegen ist ja nichts einzuwenden, aber das hat mit dem Recht auf Rente zunächst nichts zu tun.

Die idealen Rentnerinnen sind sowieso diejenigen, welche neben einer anständigen Rente auch auf die Erträge aus privatem Vermögen zurückgreifen können. Finanzielle Probleme entstehen nur bei den weniger idealen Rentnerinnen, welche im Lauf ihres Familien- und Berufslebens nicht so viel zusammen verdient und erspart haben, um das sorgenfreie Leben zu führen, das sie eigentlich verdient haben, und in der vierten Phase dann sich so pflegen zu lassen, wie sie es benötigen, und, und das ist das Wichtige, wie es eigentlich auch möglich wäre angesichts des gesamten Reichtums der Gesellschaft. Aber vor der Umsetzung dieser Möglichkeit in die Realität, und zwar in eine Realität, welche sogar gesamtökonomisch absolut sinnvoll wäre, steht das Hindernis der Finanzierung, konkret: der Verteilung von Einkommen beziehungsweise ihrer Besteuerung, nicht nur im Alter, sondern insgesamt; und neben der Verteilung und Besteuerung besteht das Hindernis auch in der Macht, über die Zuteilung der notwendigen Summen in die entsprechenden Kanäle zu bestimmen. Wenn man mal annimmt, dass die notwendigen Summen im Staaatshaushalt bereits vorhanden sind; davon kann man zunächst mal ausgehen und dann zu überlegen beginnen, welche Interessengruppen im Staat auf welchen Teil ihrer Zuwendungen verzichten müssten, um eine breit abgestützte Versorgung im Alter zu finanzieren.

Die privaten Pflegedienstleister wie die französische Orpea machen ihren Schnitt nicht aus­schließ­lich zulasten der Qualität, im Gegenteil: Sie sind stark interessiert an zahlungskräftigen Kundinnen und Kunden und bieten für solche auch die angemessenen Produkte an. Prekär wird es in der Regel nur bei den gewöhnlichen Rentnerinnen, wo Orpea und Konsorten jene Aufgaben übernehmen, die früher mal in den Händen der Kommunen lagen. Dort wird gespart, dort darf die Verpflegung pro Tag und Person nicht mehr als, was weiß ich, drei Euro fuffzich kosten, dort entstehen all jene Geschichten, wegen derer es nach wie vor Gewerkschaften braucht. Im Fall von Orpea sprechen die Gewerkschaften sogar von internationaler Solidarität. Wenn es der Unicare gelingt, die polnischen, spanischen, schweizerischen, französischen, deutschen, belgischen und so weiter Beschäftigten zu einem mehr oder weniger kontinentalen Streik oder anderweitigen Kampfmaßnahmen zu bewegen, dann ist meine Hochachtung vollendet. Vorderhand befürchte ich aber, dass es bei Solidaritäts­botschaften bleiben wird wie jener von Force Ouvrière im Fall von Bad Langensalza: «Wir ziehen an einem Strang und helfen uns gegenseitig – das macht uns stark», so steht es auf der Webseite von Ver.di.

Ich frage mich, wie solche Arbeitskonflikte, die letztlich auf Finanzierungsfragen beruhen, auf internationaler Ebene geregelt werden sollen. Schließlich klammern sich die Mitgliedsländer der Europäischen Union geradezu verzweifelt an ihre ureigenen Systeme von Besteuerung und Sozialversicherung. Es gibt auf dieser Ebene ebenfalls eine Identitätsfrage, ganz abgesehen von den identitären Bewegungen, welche im Völkischen baden. Die Europäische Union hat sich bisher nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie die Best Practice in Sachen Steuern und Sozialsystemen zur Common Practice aufbereitet hat; stattdessen stülpt sie den nationalen Eigenheiten bestenfalls ein paar Regulierungen obenauf, über welche sich die ganze Welt beklagt. Kann man sich denn nicht mal darauf einigen, dass die Mehrwertsteuer in allen oder mindestens in einer bestimmten Anzahl von Ländern gleich hoch ist, die Einkommenssteuer einheitlich ausgestaltet wird, die Vermögens- und Erbschaftssteuer ebenso, dass die Landwirtschaft so und so viel an Subventionen erhält, dass die Arbeitslosenversicherung auf die und die Art und Weise eingerichtet wird und eben die Alters­vorsorge? Dass man all dies vernünftigerweise um den tragenden Pfeiler eines bedingungs­losen Grundeinkommens errichten würde, versteht sich zwar von selber, aber ebenso selbst­verständlich ist es, dass diese Einsicht aus ideologischen Gründen nicht bestätigt werden kann. Aber im Prinzip bräuchte es für die Vereinheitlichung der Systeme nicht einmal ein Grundeinkommen; was es bräuchte, wäre ein transparenter Vergleich als Ausgangspunkt und anschließend die Suche nach dem besten System, das vielleicht aus bestimmten Elementen unterschiedlicher Systeme bestehen täte, aber dann würde die Schlussversion eben zum bestimmenden System in den Referenzländern, Punkt. So etwas wäre mir viel lieber als eine Liebeserklärung, auch wenn ich zugebe, dass die Berliner Ansprache des französischen Präsidenten Macron zum deutschen Volkstrauertag ihre schöne Seite hatte. Aber eben, Liebe äußert sich auch darin, wer den Abwasch macht und wer die Spülmittel einkauft, und hier liegt genug Material für eine volle politische Agenda.

Macht das jemand bei euch? Oder in Frankreich? Einfach mal auflisten, was man nun endlich vereinheitlichen muss, einschließlich der Vorschläge zur Finanzierung? Hier könnte man nämlich, wenn schon sonst nichts zu finden ist, Ansätze zu einer politischen Theorie und Praxis formulieren.

Naja. Hauptsache, die Inflation zieht wieder an. Das ist ja eines der Sorgenkinder der klassischen Ökonomie. Bei zwei Prozent stehen wir im Moment, und schon setzen wieder die alten Klagelieder ein über die Kaufkraftverluste und so weiter. Immerhin habe ich letzte Woche in einem Zug der Deutschen Bahn, in den mich der Komplettausfall meines planmäßigen Zuges mit einer anderen Person zusammen gewürfelt hatte, von dieser Person eine interessante Interpretation der neuesten Inflationsknorze gehört: Der Regen sei schuld daran. Naja, eigentlich eher der fehlende Regen beziehungsweise der heiße und trockene Sommer. Nämlich sei der Pegelstand der Gewässer im Laufe der Trockenperiode derart tief gesunken, dass die Lastschiffe nur noch halbe Kapazitäten oder noch weniger gehabt hätten, was die Transportpreise, namentlich von Treibstoffen, derart in die Höhe getrieben hätte, dass damit die nun beobachtete Inflation zustande gekommen sei. Weil mir das völlig neu war, leuchtete es mir sofort ein, und ich habe darauf verzichtet, die entsprechenden statistischen Unterlagen herauszuklauben, ich denke, die liegen im Moment noch gar nicht vor.

Eine Frage hätte ich noch: Wie lange hält sich die Weidelalice noch an der Spitze dieser frauenfressenden Nationalistenpartei, der Allianz für Deutschland? Eigentlich und aus neutraler Sicht ist die doch schon als Person in dieser Funktion ein kompletter Widersinn. Eine lesbische Frau, die mit ihrer Partnerin, einer aus Sri Lanka stammenden Schweizerin, und deren zwei Kinder in der Schweiz lebt, an der Spitze einer nicht nur Frauen, sondern vor allem Ausländer fressenden Partei? Das ist schon jenseits der Grenze der Realsatire, der Sonneborn im Europaparlament kommt an diese Sorte von Spaß nicht im Leben heran, und dementsprechend kann man davon ausgehen, dass der Frau Weidel nun der Garaus gemacht wird, parteitaktisch gesehen, so wie zuvor der Frau Petry. Das Frauenbild dieser deutschen Männer ist zuverlässig gleich konservativ und rechtsnational vernebelt wie ihr gesamtes Weltbild. Immerhin erinnert mich das daran, dass die Rechts­kon­ser­vati­ven in der Schweiz, die bekanntlich von vielen Rechtsparteien als Vorbild gelobt werden, ihrerseits auch immer wieder gegen ihr eigenes Weltbild verstoßen, namentlich die Bauern, auf welche sie sich ideologisch immer wieder abstützen. So ein durchschnittliches SVP-Mitglied heiratet eine duldsame Thailänderin und beschäftigt schwarz eine Putzfrau aus dem ehemaligen Jugoslawien. Konservativ ja, konsistent eher weniger.


Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
20.11.2018

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