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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Der 18. Dezember

So ein 18. Dezember hält einfach die ganze Weltgeschichte zusammen. Im Jahr 1995 zum Beispiel starb am 18. Dezember Konrad Zuse, der deutsche Computerpionier. Vor 130 Jahren anderseits kam Josef Stalin zur Welt und ein Jahr später Paul Klee.



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> Download Man sieht sofort: Der 18. Dezember ist eine Kommunikationsplattform wie eine MacLuhansche Zeitung. Im Jahr 1118 eroberte an diesem Datum Alfons I. die Stadt Saragossa von den ungläubigen Hunden zurück, nämlich von den Islamisten, vielmehr von den Moslems, welche damals mit Islamismus, Wahabismus, Salafismus und anderen schönen Sachen der Religion überhaupt nichts zu tun hatten, sondern sich vielmehr auf dem Höhepunkt ihrer Kultur befanden und die Niederlagen in Spanien bald kompensierten mit Gewinnen in Indien, nachdem sich die Ghaznawiden bereits ein halbes Jahrhundert zuvor im Punjab festgesetzt hatten. An ihrem Hof lebte übrigens auch der Avicenna-Schüler Al Biruni, den die Ghaznawiden als Gefangenen ins heutige Afghanistan verfrachtet hatten; das schlaue Buch des Fähnleins Fieselschweif bezeichnet ihn als Mathematiker, Kartografen, Astronomen, Astrologen, Philosophen, Pharmakologen, Mineralogen, Forschungsreisenden, Historiker und Übersetzer, unter anderem in Sanskrit, also als Universalgelehrten. Al Biruni berechnete im 11. Jahrhundert den Radius der Erdkugel auf 6339,6 Kilometer, was dem effektiven Wert von 6378 Kilometer erstaunlich nahe kommt. Zudem konstruierte er das erste Pyknometer, was nichts zu tun hat mit Akne oder sonst mit dem Körperbau, sondern ein Gerät zur Ermittlung des spezifischen Gewichts der verschiedenen Stoffe ist. Er starb allerdings dann nicht am 18. Dezember, sondern bereits am 9. Dezember im Jahre des Herrn 1048.

Ebenfalls im Punjab kam es am 18. Dezember 1845 im ersten Sikh-Krieg zur Schlacht von Mudki zwischen der Sikh-Armee und der Britischen Ostindien-Kompanie, die keine Entscheidung brachte. In Nigeria dagegen begann im Jahr 1980 am 18.12. der Maitatsine-Aufstand, bei dem eine islamistische Gruppe Teile der Stadt Kano besetzten, von der Armee aber nach elf Tagen besiegt wurden. Die Erstausgabe der Zeitung Le Monde fällt auf dieses Datum, und zwar im Jahr 1944. 1962 erließ die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Drucks der NATO ein Röhren-Embargo gegenüber dem Ostblock; Im Jahr 2003 wurde Egon Krenz, der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR, vorzeitig aus der Haft entlassen; und im Jahr 1589 wurde Christoph Neander geboren, ein Dresdener Kreuzkantor, der meine Aufmerksamkeit deshalb erweckt, weil er wie sein berühmterer Namensvetter Joachim Neander, der Entdecker und Namensgeber der Neandertaler, eigentlich Neumann hieß und diesen Namen gräzisierte, so wie sich heute die Filmemacherin Barbara Müller Miller nennt, natürlich nicht gräzisiert, sondern anglifiziert. Ihr Geburtsdatum kenne ich leider nicht, dafür aber habe ich ihren Film «Female Pleasure» gesehen, der seit einem Monat in den Kinos läuft, ein Film über die Lust der Frauen, wobei es eher um die Unterdrückung dieser Lust geht, unter anderem mit der Beschneidung der Klitoris in gewissen Regionen Afrikas oder mit der Kultur der Vergewaltigung in Indien oder in der katholischen Kirche, mit der Entmündigung der Frau im chassidischen Milieu in New York; am absurdesten und gleichzeitig am lustigsten ist der Film dort, wo die japanische Künstlerin Rokudenashiko verurteilt wird, weil sie die 3D-Daten ihrer Vagina ins Netz gestellt hat; im gleichen Japan gibt es aber einen Penis-Tag, an dem die ganze Welt Eis in Penisform lutscht, also diesmal nicht symbolisch, sondern echt phallisch, und an dem Penisse in großen Prozessionen durch die Städte und Dörfer getragen werden.

Wenn ich sage «am lustigsten», so heißt das auch, dass der Film trotz zum Teil Ekel erregenden Passagen insgesamt ein lustiger und positiver Film ist mit fünf Protagonistinnen, welche ihre Identität und ihre Lust gefunden haben. Über weibliche Lust wird man allerdings nicht besonders viel erfahren, und die Diskussionen über die Entwertung und Unterdrückung der Frau gehen selbstverständlich über den Horizont von «Female Pleasure» hinaus, und trotzdem war es ein reines Vergnügen, diesen Film zu sehen, wegen der Protagonistinnen zum einen und zum anderen auch, weil er handwerklich einfach hervorragend gemacht ist.

Was haben wir sonst noch am 18. Dezember? Vor einem Jahr ist Kim Jonghyun gestorben, ein südkoreanischer Sänger, und vor zwei Jahren Zsa Zsa Gabor beziehungsweise das, was noch von ihr übrig war. Auch Vaclav Havel hat sich an einem 18. Dezember von dannen gemacht, nämlich im Jahr 2011. Vor ihm hat sich noch Antonio Stradivari dieses Todesdatum ausgesucht im Jahr 1737. Herder starb am 18. Dezember, Luise Hensel, der Sozialist Eduard Bernstein oder der Pilot Hans-Ulrich Rudel; unter den Frauen, wenn wir gerade dabei sind, war es die frühchristliche Märtyrerin Victoria von Rom im Jahr 253, Anna von Sachsen, Barbara Blomberg eine Geliebte von Kaiser Karl V. und Mutter von Don Juan de Austria, ich finde noch Leopoldine Kutzel im Jahr 1935, die eine österreichische Volkssängerin war oder Diana Lynn, eine US-amerikanische Schauspielerin und Pianistin im Jahr 1971und im Jahr 2000 Kirsty MacColl, eine britische Musikerin; und aus diesem Jahrhundert nenne ich noch Takamatsu no miya Kikuko shinno-hi, eine japanische Prinzessin, die im Jahr 2004 verblich.

Und dann ist der 18. Dezember noch der Nationalfeiertag von Katar sowie der Internationale Tag der Migranten, und Geburtstag hat heute unter anderen Emily Jane Atack, was eine britische Schauspielerin ist, nicht hingegen Hayden Pannettiere, deren Geburtstag ist am 21. August, und der Todestag ist noch nicht bekannt. Dafür ist sie neu verliebt, und zwar in einen Herrn Brian Hickerson, der vor Hayden Pannettiere eine Beziehung hatte mit dem Model Baskin Champion, welche ihrerseits laut dem deutschen Nachrichtenmagazin «Bunte» schon öfter mit Justin Bieber gesichtet worden sein soll.

Die andere Frau, die ich auf dem Radar habe, nämlich Michaella Rugangizawa, fällt mir nur mit dem Re-Tweet einer Nachricht von Emmanuel Hategeka auf über einen jungen Mann, welcher mit seinem Talent ansteckend wirkt auf sicher eine ganze Generation von Rwanderinnen und Rwander: «Was für eine Story! Dieser junge Mann, Patrice, frisch aus der Diaspora nach Hause zurückgekehrt, widmet sich voller Leidenschaft der Herstellung von Würsten und Hotdogs, ganz und gar in Rwanda produziert, für die Mitglieder des Golfclubs in Kigali!» – Ja, da kann sich der Wirtschaftsaufschwung in Ruanda ganz einfach nicht mehr verstecken, er muss herauskommen! Und das belegen denn auch die mehrfachen Tweets und Retweets von Michaella mit Lobeshymnen auf Christine Lagarde vom Internationalen Währungsfonds. – Aber Achtung! Ich mache mich hier natürlich leicht lustig über diese Frau, welche auch den Präsidenten Rwandas, Paul Kagame, und seine First Lady anhimmelt, nicht zuletzt wegen der Frauenförderung, und ich bezichtige mich dafür hiermit gerne und gleich selber der Dummheit, denn vielleicht sind diese Bemühungen, sowohl von Frau Rugangizawa als auch von Präsident Kagame und seiner Ehefrau, viel mehr Wert als zwanzigtausend kluger Kommentare von mir, das könnte ich mir nun wirklich und akut sehr gut vorstellen. Und zu Kagame und Rwanda will ich gleich nachtragen, dass Diane Rwigara, welche als eine der schärfsten Kritikerinnen von Präsident Kagame gilt, Anfang Dezember von einem Gericht von allen absurden Anklagepunkten freigesprochen wurde, welche die Staatsanwaltschaft, mit einiger Sicherheit im Auftrag von Kagame, gegen sie erhoben hatte. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu verschiedenen anderen Staaten in Afrika und überhaupt auf der Welt gibt es in Rwanda auch eine unabhängige Justiz. Und wir wollen auch den schwelenden Konflikt mit dem Nachbarstaat Burundi nicht vergessen, was die Spötterei über die lokalen, regionalen und saisonalen Würstchen für den Golfclub Kigali eigentlich ihrerseits ziemlich absurd dastehen lässt. Aber so ist er nun mal, der Europäer.

Nicht nur am 18. Dezember, sondern das ganze Jahr über beschäftige ich mich mit der Frage, wie denn eine richtige, handfeste, griffige, attraktive und so weiter und so fort politische Theorie heutzutage auszusehen hätte. Einige Ideen dazu habe ich durchaus, wenn ich sie auch als immanent bezeichnen würde, also unter anderem als relativ wenig theoretisch, weil sie nämlich nicht auf einer Theorie der modernen Gesellschaft und einer Theorie der postmodernen Gesellschaft beruhen, sondern bloß auf einigen Kriterien, die schon ziemlich alt sind, die man heute aber etwas leichter realisieren könnte als auch schon, unter anderem wegen des akuten Reichtums unserer Gesellschaften. Das ist gerade der erste Punkt, auf dem ich beharren möchte: Jede neue politische Theorie darf keine Armutstheorie mehr sein, sie muss eine Theorie des Reichtums sein, unabhängig von den Verteilungsfragen etzetera. Im Moment ist mir aber ein einzelner Punkt ziemlich präsent, nämlich führten wir am Wochenende ein zwangloses Gespräch mit verschiedenen Bewohnerinnen der Wohnbaugenossenschaft, in welcher wir wohnen, unter anderem mit einem Vorstandsmitglied. Unter anderem ging es selbstverständlich um die Gestaltung der schwierigen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, und Reisepläne stehen dabei offenbar hoch im Kurs. Das Vorstandsmitglied zum Beispiel verbringt die Festtage auf Gran Canaria. Schön, zum einen. Zum anderen muss man wissen, dass sich diese Wohnbaugenossenschaft und insonderheit ihr Vorstand immer damit brüstet, eine ökologische Wohnbaugenossenschaft zu sein und unter anderem die Ziele einer 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, also einer Gesellschaft, in welcher der einzelne Mensch nur noch 2000 Watt an Energie verbraucht. Immer noch das doppelte des Wünschbaren, aber doch nur ungefähr die Hälfte des Durchschnittsverbrauchs. Die Frage, über welche wir uns am Wochenende aus Höflichkeit nicht unterhalten haben, ist die: Wie verträgt sich nun ein solches Ziel, mit welchem man sich im Alltag gerne brüstet, mit einer Flugzeugreise nach Gran Canaria? 7000 Kilometer Kerosin, CO2-Ausstoß etwa 1.5 Tonnen pro Person, für fünf Tage Ausspannen?

Die Antwort ist einfach: Gar nicht. Und so würde eine, nein, meine politische Theorie damit beginnen, alle über­flüssigen Flugreisen zu verbieten. Verbieten heißt in der Praxis: Mit ausgesprochen hohen Steuern und Abgaben zu belegen. Das bedeutet für die durchschnittlich reiche oder arme Bürgerin leider Gottes Verzicht auf den Besuch des Weihnachtsmarktes in New York und in Toronto. Das ist natürlich erstens ein Verstoß gegen die Menschenrechte des Menschen in der Form als Konsumentin, welche Konsumentinnen-Menschenrechte leider noch keine UNO-Orga­ni­sa­tion stipuliert hat, aber auf jeden Fall ist es sowieso eine krasse Unterprivilegierung der Mehrheit der Bevölkerung, ich weiß, und genau deshalb muss man es auch machen. Ebenfalls Bestandteil dieser Unterprivilegierung sind aber auch die Trips nach Mallorca, auch wenn die nur 3500 Kilometer beziehungsweise gut 700 Kilogramm CO2 pro Person erzeu­gen. Den Preis verzehnfachen, mindestens! Stattdessen müssen sich die durchschnittlichen Bürgerinnen, diese armen Schweine, in Zukunft damit begnügen, den Weihnachtsmarkt in Nürnberg oder in Dresden oder in Chemnitz zu besuchen und die Ferien zwar schon auf Mallorca zu verbringen, aber mit Zug und Schiff dorthin zu tuckern. Und vollends, aber dies gehört eigentlich nicht hierher, müssen diese Bürgerinnen und Bürger einen neuen Begriff von Reisen lernen. Wenn es nicht darum geht, eine Arbeit zu erledigen, eine Leistung zu erbringen oder was auch immer, wenn es also um Freizeit-Reisen geht, dann empfiehlt es sich, in Zukunft wieder vermehrt auf den Weg selber zu achten und nicht nur auf das Ziel, das seit einiger Zeit mehrheitlich in den weltweit gleichen Hotelanlagen besteht mit All-You-Can-Eat-Buffets und All-You-Can-Vomit-Trinkgelagen. Ich garantiere euch, geschätzte Hörerinnen und Hörer, dass mit der Umstellung des Reisebegriffs alleine schon eine gewaltige Menge an Lebensqualität gewonnen ist.

Daran schließt sich ein Teil meiner Zukunftsvorstellung an. In den Ferien wird in Zukunft vermehrt gereist, und zwar an viele verschiedene Orte. Beginnen tut man in Deutschland. Wie viele von Euch waren noch nie in Bayern! Dabei gibt es dort ganz wunderbare Flecken, zum Beispiel Regensburg. Hier gibt es unter anderem einen Weihnachtsmarkt. Oder aber in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel Neuss! – Und dann geht es weiter, meinetwegen mit den Niederlanden, von Neuss aus ist man ganz schnell in Venlo. Oder was Ihr wollt, Polen geht auch, Polen geht gut, Krakau, Breslau, Danzig, nix wie hin! Und in die Tschechei, und nach Bratislava, nach Wien, nach Ljubliana und von da aus weiter nach Zagreb und Belgrad und mit der Eisenbahn durch den Balkan, Ihr wisst gar nicht, was Euch entgeht, wenn Ihr jedes Jahr zwei Wochen Malle und eine Woche Billigurlaub in Antalya macht. – Achja, ans Meer könnt Ihr selbstverständlich auch, durchaus auch ans Mittelmeer, von Erfurt gelangt Ihr zum Beispiel mit dem ICE 501, Abfahrt 6.30 nach München, dort Umsteigen auf den EC 85 nach Bologna und von da aus weiter, in 13 Stunden nach Rimini. Kein Problem, Ihr könnt meinetwegen in München einen Zwischenhalt machen und auch in Bologna, was das Reisen eben erst zum richtigen Reisen macht.

Eine Voraussetzung für die richtige Umstellung des Ferienreisens ist natürlich die Verlängerung des Urlaubs, aber da besteht ja überhaupt kein Problem, weil wir eh viel zu viel arbeiten im Verhältnis zu dem, was wir tatsächlich arbeiten müssten, all dies ist eine reine Organisationsfrage, ganz wie der Reichtum.

In ganz außerordentlichen Ausnahmefällen ist dann natürlich ein Flug noch gestattet, zum Beispiel nach Australien, um die lieben Schwiegereltern zu besuchen, oder was weiß ich sonst noch. Aber einfach und kategorisch: Stellt diese absolut unnötige, idiotische Kurzfliegerei um eines Vergnügens willen, das letztlich keines ist oder mindestens kein größeres, als es andere sind, die man sich ohne Kurzfliegerei organisieren kann, stellt dieses Idioten-Luftgehopse nach Mallorca und Antalya und an die interkontinentalen Weihachtmärkte und zum Tauchen nach Ägypten und so weiter und so fort einfach ein! Jedenfalls, wenn Ihr euch jemals im Ernst mit dem Klimawandel beschäftigt habt. Denkt ihr denn wirklich, das gehe euch nichts an beziehungsweise es reiche völlig aus, wenn ihr euch betroffen zeigt? Oh Mann.

Also dies war mal ein Trailer aus meinem großen neuen politischen Programm, von dem Ihr ja bereits einige weitere Eckpunkte kennt, namentlich das bedingungslose Grundeinkommen, der Ausstieg aus dem automobilen und fossilen Zeitalter und den Bau einer zwei oder drei Kilometer langen Mauer im Norden von Erfurt.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
18.12.2018

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