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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Mikrotechnologie

Eine relativ neue Meldung kommt aus Japan, wo in den Toiletten nun berührungsfreie Tastaturen installiert werden, und zwar in den öffentlichen Toiletten; wie es sich mit den WCs im privaten Raum verhält, entzieht sich meiner Kenntnis.

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Ich möchte allerdings hiermit eine Studie dazu anregen, denn es ist eine Tatsache, dass mindestens ein Drittel der Menschheit beim Kacken am liebsten noch die Zeitung oder gar ein Buch liest, eventuell sogar eine Nachricht verfasst oder eine weitere Episode von Grand Theft Auto fünf spielt, wozu oft eine Maus oder eine Tastatur notwendig wäre, die dann irgendwann auch mal virtuell sein darf, damit man sich wenigstens auf dem eigenen Klo nicht mit Covid oder so nem Scheiß infiziert. Davon aber war in der betreffenden Meldung nicht die Rede, es war kein Thema, sondern bloß die Tatsache, dass die ohnehin schon auf Sauberkeit, ja Reinlichkeit fixierten Japanerinnen und Japaner, die übrigens sicher aus diesem Grund eine der langlebigsten Bevölkerungen der ganzen Welt aufweisen (während sie übrigens gleichzeitig vom Aussterben bedroht sind – laut der, auf zukünftigen Daten beruhenden Statistik der den Ströer Media gehörenden Firma Statista, welche für Deutschland das leistet, was eigentlich die Aufgabe des mit Steuermitteln ausgestatteten statistischen Bundesamtes wäre, allerdings mit Ausnahme der hier vorliegenden Erhebung von Daten­reihen aus der Zukunft; nach Angaben von Statista also werden in Japan im Jahr 2025 nur noch 123 Millionen Menschen leben nach dem Höchststand von 127, 76 Millionen im Jahr 2007; dafür werden sie dank der privilegierten Lage als Insel, welche zum Kontinent und dort insonderheit zur Volksrepublik China in einem ähnlich freundschaftlichen Verhältnis leben wie seit Beginn des Jahres, ach was, seit dem Seitenwechsel des Medien-Tycoons Rupert Murdoch von der seifigen Labor-Regierung Tony Blairs hin zu den Camerons und subsequently Mays und Johnsons, vor allem aber seit seiner Hinwendung zu Nigel Farrage während dem EU-Referendum die Briten zur Europäischen Union, zum einen und vor allem dank der durch die insuläre Lage vortrefflich begünstigten restriktiven Immigrations­politik zum anderen immerhin reinrassig aussterben, wie dies für Deutschland seit hundert Jahren der feuchte Traum jedes echten und rechten Nationalisten ist); es wurde also vermeldet, dass die ohnehin schon enorm reinlichen Japanerinnen und Japaner nun in den öffentlichen Toiletten nicht mehr physisch eine Tastatur anzufassen brauchen, wenn sie die Hintern-Reinigung, die Spülung, die Desinfektion und so weiter und so fort in Gang setzen wollen, sondern dass sie dies in Zukunft auf einer virtuellen Tastatur erledigen können. Technisch wird das so umgesetzt, dass ihnen ein Hologramm ins Scheißhaus projiziert wird, und ein Infrarot-Sensor registriert dann, auf welche Taste sie virtuell drücken.

Ich bin begeistert. So ungefähr stelle ich mir die Zukunft vor. Dabei erzeugt für mich in erster Linie die Frage nach dem Tastatur-Hologramm noch Probleme. Dass man mit einem Infrarot-Sender das Drücken registrieren kann, leuchtet mir ein; aber wie wird das Hologramm projiziert? Braucht es da kein spezielles Medium, welches die zu projizierenden digitalen Daten sichtbar macht? Kann man das alles schon mit Laserpunkten erledigen? In einer Toilette möchte man vielleicht einem des­infi­zie­renden Gas irgendwelche Partikel beimengen, welche die Konkretisierung der entsprechenden Punkte im Raum ermöglichen, aber sonst? Der Anbieter spricht von einer Floating Pictogram Technology, also so etwas wie Flusspiktogramm-Technologie, bei welcher die fließenden, holografischen Piktogramme ebenfalls vom Infrarot-Sensor erzeugt würden. Das stimmt mit Sicherheit nicht. Ein Sensor erzeugt keine Bilder, der Sensor registriert nur die Annäherung des Fingers an den gewünschten Druckpunkt. Wie auch immer: Das ganze System wird von der Firma Murakami entwickelt und soll ab 2022 zum Einsatz gelangen. Und wenn diese Hologramm-Technologie ohne Medium, also im ganz normalen Raum und zu Umgebungstemperaturen funktioniert, dann brauchen wir bald kein Zoom, kein Microsoft Teams und kein Skype mehr, um unsere virtuellen Konferenzen abzuhalten; wir brauchen dann nur noch die entsprechenden 3D-Aufnahmetechnologien auf der Sender-Seite, und schon können wir auf holografischer Ebene den Händedruck vollziehen. Ich bin begeistert.

Nein, ich bin nicht deshalb begeistert, weil wir so für die nächste Pandemie besser gerüstet sind oder dafür, uns in Zukunft holografisch auch in anderweitig kontaminierten Umgebungen zu bewegen oder meinetwegen sogar auf der Marsoberfläche, sondern weil sich hier ein weiteres Feld auftut, wo sich die exponentiell gestiegenen technologischen Fähigkeiten der Menschheit austoben können. Respektive: Man sieht es hier wieder einmal, im Gegensatz zu all jenen Entwicklungen, die sich still und heimlich vollzogen haben, vor allem im Rahmen der Miniaturisierung. All die Mikro-Apparate und -Motoren, die unterdessen mehr oder weniger überall im Einsatz sind, weil sie auch praktisch nichts mehr kosten, von der Medizinaltechnik bis zu den Drohnen, von den schönen Haus­haltgeräten ganz abgesehen beziehungsweise mit den wunderbaren Infrarot-Bluetooth-Zahn­bürsten von Oral B, welche die Plaque und den Zahnstein unterdessen schon mit Hypnose weg­scha­ben, aber davon mal abgesehen ist es eben schon der reine Wahnsinn, was unterdessen an High Tech durch unseren Alltag kriecht. Und fliegt. Vielleicht kann man demnächst sogar die Bienen nachbauen, wenn die ausgestorben sind, sodass Miniaturdrohnen die Aufgabe der Bestäubung übernehmen, wodurch die Äpfelplantagen im Südtirol auch wieder gerettet wären, ohne dass auch nur ein einziger Bauer auf das Ausbringen von Herbi- und Pestiziden verzichten muss.

Als politische Wesen fragen wir uns, ob diese Entwicklung auch einen Einfluss auf die soziale Organisation, auf die Institutionen, auf die Entscheidfindung und letztlich auf die Demokratie hat. Da fällt einem zunächst ein Punkt ein, der mit der Technologie so gut wie gar nichts zu tun hat, nämlich die Ausbrüche von Volkszorn in den sozialen Medien. Abgesehen davon handelt es sich nicht einfach um Zorn, sondern um den Anspruch von weniger gebildeten Menschen, endlich auch einmal zu Wort zu kommen. Diesen Anspruch kann man zunächst so stehen lassen und sich anschauen, was dabei heraus kommt. In der Praxis handelt es sich dann eben nicht um weniger kunstvoll formulierte, aber doch authentische Ausdrucksweisen von Unterprivilegierten, sondern gerne um Lügen und Dummheiten, welche für sich den Schutz der Meinungsfreiheit reklamieren, wobei das nicht ganz korrekt ist: Die Lügen und Dummheiten verlangen, mit Wahrheit und Überlegung gleichgestellt zu werden. Das lässt sich leider nicht machen. Die Lüge hat keinen Platz in der Vernunft, und vernünftig muss die Welt nun mal sein, auch wenn dazu immer ein Quäntchen Unvernunft gehört. Dies muss die Demokratie bei ihrer Selbstorganisation dringend berücksich­tigen.

Dagegen bringt die steigende Raffinesse der Technologie einen weiteren Wohlstandsschritt. Der allgemeine Trend zur Verbesserung der Lebensqualität wird laufend verstärkt. Es ist komplett unverständlich, wie sich diese Gesellschaft vor diesem Hintergrund überhaupt noch so etwas wie Armut leisten kann. Man kann sagen, dass Armut heute mit voller Absicht produziert werden muss; sie ist nicht mehr der Grundzustand der Menschen, sondern sie ist angesichts des materiellen Überflusses praktisch unmöglich geworden. Dass man sich darüber in der Politik noch streitet, ist schlichtwegs Wahnsinn, auf den man gescheiter verzichten würde.

Aber die Bekämpfung oder die Abschaffung von Armut bedeutet noch nicht die Realisierung von voll demokratischen Strukturen. Ich gehe davon aus, dass die zentralen Elemente für eine volle Beteiligung am demokratischen Tagesgeschäft nicht nur bekannt, sondern auch anerkannt sind, Bildung für alle, genügend Ressourcen, Chancen, Perspektiven und so weiter und so fort. Vor allem im Entscheidungsprozess sind vollständige Informationen sowie die Fähigkeit, sie zu verarbeiten, unerlässlich. In dieser Beziehung stehen wir wohl nach wie vor so gut wie am Anfang. Und so ein Anfang wäre ja dann die optimale Gelegenheit, mal damit zu beginnen. Warum geschieht das denn nicht? Warum werden die Schulen nicht so eingerichtet, dass alle Schülerinnen in den Genuss der ihnen geschuldeten Ausbildung kommen und nicht nur die Kinder begüterter Familien, welche zur Not sogar auf Privatschulen zurückgreifen können? Warum habt Ihr kein Internet in euren Schulen? Warum genießt die Schule überhaupt einen so schlechten Ruf, im Gegensatz zu Nachbarländern wie zum Beispiel Dänemark?

Es gibt wirklich viel zu tun, zum einen, und zum anderen sind die Materialien im Überfluss vor­han­den, welche so etwas ermöglichen. Also sorgt doch dafür, dass man die endlich richtig einsetzt. Muss man dafür denn tatsächlich noch mal eine neue Partei gründen? Jedenfalls würde es sich lohnen, die entsprechenden Satzungen schon mal aufzustellen; vielleicht werden sie von den etablierten Parteien ja übernommen oder bestehen bereits, wobei es dann noch eine andere Sache ist, ob sie diese Satzungspunkte dann auch mit sichtbaren Anstrengungen in die Praxis umsetzen. In der Regel verspricht das Absondern von Hohlformeln mehr Erfolg als solche Kleinarbeit, und auch daran müssen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger arbeiten: dass sie damit aufhören, wohlfeile Phrasen zu honorieren, sondern genau hinschauen auf die konkrete Arbeit. – Aber dazu wäre ja gerade das erforderlich, was erst anzustreben ist, nämlich Detailkenntnisse und das Vermögen, kühl und rational zu analysieren.

Es ist schwierig, aber immerhin nicht unmöglich, und es gibt auch schon erste Erfolge. So können wir davon ausgehen, dass nach heutigem Stand die Klimaerwärmung nicht mehr vier Grad, sondern nur noch zwei oder drei Grad betragen wird. Der Teufel würde nun sagen, dass es ihm nicht drauf ankommt, ob seine armen Seelen bei tausend oder bei neunhundertneunundneunzig Grad in der Hölle schmoren, wobei ich die Gardauer von solchen Seelen gar nicht kenne. Ich weiß nur, wie man sie präpariert, nämlich formt man sie eben mit heißer Luft, Lügen und falschen Versprechen zu jenen Lehmgeschöpfen, denen jener Geist fehlt, welcher die vollkommen ausgebildeten Menschen auszeichnet. Aber lassen wir das; man läuft Gefahr, hier auf ebenso schmonzettige Art und Weise negativ romantisch zu werden.

Was haben wir noch? Letzte Woche ließ der Vorsitzende der rechtsnationalistischen und Anti-EU-Partei Wahre Finnen in Helsinki verlauten, er sei nun doch nicht mehr für einen Austritt Finnlands aus der Europäischen Union. Offenbar wirken die Stoffe, mit welchen die Gemeinschaft ihre Mitgliedländer impfen will, nämlich Geld, Geld und nochmals Geld, doch recht effizient. Ich bin gespannt, welchen Ton unser aller Herr Orban in Urban zu diesem Thema finden wird respektive ob das Europaparlament genug Energie hat, um die entsprechenden Geldflüsse abzuklemmen.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
02.03.2021

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