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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Corona weiter

Wie ich höre, seid Ihr in Erfurt in Bezug auf das Corona-Virus mit 113 Infektionen, 11 in stationärer Behandlung befindlichen Personen und einem Todesfall im Vergleich mit anderen Regionen bisher einigermaßen glimpflich davon gekommen. Ja, laut der Süddeutschen Zeitung sind überhaupt die meisten Infektionen im Freistaat Thüringen nicht einmal hausgemacht, sondern aus dem Süden eingeschleppt, nämlich aus dem bayrischen Landkreis Hof.



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Tatsächlich ist der Süden Deutschlands am stärksten von Corona betroffen, was ich auch für die neutrale Schweiz bestätigen kann; auch hier sind in erster Linie der Kanton Tessin, der unmittelbar an den Krisenherd Lombardei angrenzt, sowie die südwestlichen Kantone Genf, Waadt und Wallis am stärksten belastet. Die Ansteckungsraten haben sich zwar stabilisiert beziehungsweise sind in der Schweiz sogar zurückgegangen; angesichts des schönen Osterwetters möchte ich allerdings behaupten, dass sie nach der mehrtägigen Inkubationszeit rechtzeitig zum nächsten Wochenende wieder stark ansteigen werden. Wie euer Italien-Korrespondent Paolo Fusi bereits berichtet hat, spielen die autonomen Jugendlichen bei der Verbreitung eine wichtige Rolle, weil sie sich erstens nicht betroffen fühlen und zweitens von Alters wegen gegen alle Vorschriften auflehnen müssen. Ob es sich hier tatsächlich um einen Konflikt zwischen Ethik und Ästhetik handelt und ob dieser Konflikt von Karl Popper gültig formuliert worden ist, wie Paolo Fusi weiter ausführt, kann dann offen bleiben. Jedenfalls steht fest, dass in all den Gruppen von Party machenden Menschen über Ostern wohl niemals Mitarbeitende aus dem Gesundheitssektor dabei waren; die müssen die Suppe nämlich anschließend auslöffeln. Auf der anderen Seite habe ich noch keine Widerlegung des Arguments gehört, wonach das Virus sich letztlich in der ganzen Bevölkerung verbreiten müsse beziehungsweise diese Bevölkerung immunisieren müsse, solange man keinen Impfstoff dagegen zur Verfügung hat, und insofern üben diese Jugendlichen vielleicht sogar eine wichtige Funktion aus bei der gedrosselten Verbreitung. Was weiß denn ich davon.

Was ich weiß, ist, dass gerade recht viele Grundwerte ökonomisch-gesellschaftlicher Natur in Frage gestellt worden sind. Nur schon die Zwangspause in einem auf stetes Funktionieren und stetes Wachstum eingestellten Apparat ist für diesen Apparat eigentlich ein Skandal; für den Apparat ist es aber noch viel skandalöser, dass sich die Gesellschaft nicht sofort in ihre Einzelteile auflöst, sondern ganz im Gegenteil feststellt, dass sie als verfasste Gemeinschaft absolut widerstandsfähig ist. Ich weiß nicht, ob es für diese Erkenntnis unbedingt eine Corona-Pandemie gebraucht hat, aber auf jeden Fall kann man Corona als das Ende des Neoliberalismus bezeichnen. Ich bin übrigens nicht der erste, der dies sagt; seltsamerweise befinde ich mich in der Gesellschaft des ehemaligen Chefs der Schweizer Nationalbank, Philippe Hildebrand, der heute im Blackrock-Direktorium seine Kundinnen betreut; er hält völlig zu Recht fest, dass sich in dieser Krise die Bedeutung eines funktionierenden Sozialstaates gezeigt habe und immer noch zeigt. Eigentlich müsste das mal jemand den US-Amerikanerinnen sagen, konkret, dass so etwas wie eine obligatorische Kranken­ver­sicherung kein Verstoß gegen die Grundsätze des allgemeinen Verfassungsrechtes darstellt, ganz abgesehen von verschiedenen anderen Instrumenten des Sozialstaates, von der Arbeitslosen­ver­si­cherung über die Kurzarbeit bis hin zur Existenzsicherung.

Besonders spektakulär sind gegenwärtig die Verschuldungsaktivitäten der Staaten und Staatengemeinschaft. Ja, in der Tat, wir sind heute soweit, dass der Staat im Notfall Geld drucken kann, soviel er gerade will, ohne dass die Wirtschaft und die Gesellschaft spontan mit einer Inflation reagiert, noch nicht mal mit einem klitzekleinen Inflatiönchen. Die Wirtschaftstheorien purzeln wie Dominosteine, die entsprechenden Lehrbücher sind zu echten Nullstellen im Bücherregal geworden. Das freut natürlich Leute wie mich, die sich über die meisten Ökonomen immer geärgert haben, sagen wir mal: soweit sie sich in der Öffentlichkeit und ideologisch betätigt haben; Ihr erinnert Euch sicher noch an den ehemaligen IfO-Leiter Hans-Werner Unsinn. Aber er ist nur der am besten rasierte unter einer ganzen Reihe solcher Ökonomen-Vögel.

Ich möchte mich nur beschränkt beteiligen am Konzert der Menschen mit den offenen Mäulern, die jetzt überall über die möglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Stillstands orakeln. Die einen meinen, es handle sich um einen sogenannt disruptiven Vorfall, also um einen, nach dem nichts mehr ist wie zuvor. Wenn das auch aus logischen Gründen sicher stimmt, indem nie irgend etwas je so ist wie zuvor, so stimmt es wohl nur beschränkt, was die gesellschaftliche und wirtschaftliche Organisation angeht. Da erwarte ich persönlich im Gegenteil für die ersten eineinhalb Jahre nach Ende der Corona-Krise ein Konjunktur-Feuerwerk, das sich gewaschen hat, und zwar nicht einfach als letzte Supernova vor dem Zerfall, sondern wegen des Nachholbedarfs zum einen, des Nachholpotenzials zum anderen. Gleichzeitig denke ich aber, dass der Stillstand gezeigt hat, dass es auch anders geht, zum einen, zum anderen hat er in der Praxis gezeigt, dass unsere Versorgung mit dem Lebensnotwendigen und auch etwas mehr grundsätzlich sichergestellt ist, und zwar nicht mit Notvorräten für vier Wochen, sondern auf absehbare Zeit hinaus. Wir könnten im Notfall unsere Wirtschaftsaktivitäten für ein ganzes Jahr einstellen, und es würde sich nicht so wahnsinnig viel ändern, einmal abgesehen von besseren Luftwerten, weil niemand mehr ein Auto fährt und auch kein neues kauft. Das ist eine Lehre, mit der man sich zu beschäftigen hat. Sie heißt, dass wir eben eine Zivilisationsstufe erklommen haben, in welcher die internationale Arbeitsteilung, die Optimierung der Prozesse, ja sogar die Umweltzertifizierung dafür gesorgt haben, dass wir eigentlich alle mit einem minimalen Arbeitsaufwand ein wunderbar ruhiges und gut versorgtes Leben führen könnten, wenn wir uns bloß endlich dazu entschließen würden, die entsprechende gesellschaftliche Organisation dafür einzurichten. Wenn sich diese Einsicht auch nur im Keim in den Köpfen ausgebildet hat, dann ist dies wohl der wichtigste Schritt für die modernen Gesellschaften, während die meisten anderen Bereiche grundsätzlich schon erforscht sind, unter anderem die Möglichkeit von Home Office, das Home Schooling und so weiter, aber auch die Pflege von Beziehungen über Distanz mit Skype und Zoom und Facetime und was es sonst noch gibt, aber davon muss man gerade die jungen Leute nicht mehr überzeugen.

Daneben bleibt noch abzuwarten und stillezuhalten, bis die zuständigen Behörden Entwarnung geben, und auch hier ist eine Anmerkung anzubringen: So kritisch man auch im Alltag gegenüber Staat und Behörden sein mag, so offensichtlich ist es im Moment, dass man den entsprechenden Anordnungen Folge leistet und Vertrauen setzt in die Kommunikation. Was bleibt einem denn anderes übrig? Noch ein paar weitere Verschwörungstheorien? Nun ja, die wird es sicher auch geben für jene Köpfe, die nun mal nicht anders können als von Verschwörungstheorien zu leben. Aber normale Menschen sind im Moment so richtig toll staatstreu und holen die Keule der Kritik erst dann wieder aus dem Kasten, wenn sich die Lage beruhigt hat.

Es gibt dann schon immer noch ein paar Themen, über die man sich ärgern kann. Die Öffnung der Meeres-Nordroute für den internationalen Warenverkehr wäre eines davon. In Island wird momentan grad ein riesiger Container-Terminalhafen errichtet, oder war es Grönland? Ich meine mich zu entsinnen, dass eine der ersten Amtshandlungen des Präsidentenjockels in den USA es war, ein Kaufangebot für ganz Grönland zu erwägen, was eben im Zusammenhang mit den Handelsströmen durchaus Sinn machen täte. Lang lebe die Klimaerwärmung! Vielleicht sind wir in zehn Jahren soweit, dass die Schiffe nicht mehr den Küsten nach, sondern direkt über den Nordpol schippern können, da haben wir nochmals ein paar Liter Schweröl eingespart. Wobei man dieses Schweröl ja nicht einsparen sollte, die entsprechenden Kreuzfahrtschiffe sind ja im Prinzip nichts anderes als Sondermüll-Verbrennungsöfen, welche sogar von den Passagierinnen noch für diese Umweltsauerei bezahlt werden.

Ein weiteres Thema ist nicht der Schweröl-, sondern der normale Erdöl-Preis. Russland und Saudiarabien sollen sich deswegen in die Haare geraten sein. Was ist denn da wieder los? Mit den Vereinigten Staaten hat das vermutlich nichts zu tun, denn denen ihr Präsidentenjockel ist ein Freund von allem, was nach Erdöl riecht, also von Putin ebenso wie von Mohammed bin Salman, und man muss nicht davon ausgehen, dass der Immobilien-Pleitier seine Kollegen von der US-amerikanischen Fracking-Industrie mit voller Absicht in die Pleite gestürzt hat. Also, worum geht es hier? Weil wir uns daran gewöhnt haben, immer eine verborgene Triebkraft hinter den Dingen zu vermuten, die wir sehen, müssen wir vermuten, dass es nicht ums Erdöl selber geht, sondern beispielsweise um den Konflikt in Syrien, allenfalls im Jemen, also um irgendeinen Schachzug in der Partie im Nahen Osten, über welche wir nur Vermutungen anstellen können. Eine Sache aber ist gewiss: In absehbarer Zeit wird der Preis von 20 Dollar pro Fass wieder auf 70 Dollar ansteigen und vielleicht, falls sich die Streithähne dann doch noch einigen, wieder mal auf über 100 Dollar pro Fass. So richtig wissen kann man das aber nicht.

Und dann bleibt die Frage offen, wie sich das Corona-Virus in Afrika auswirkt. Man kann davon ausgehen, dass in Ermangelung der entsprechenden Diagnose- und auch Behandlungs­mög­lich­keiten diese Krankheit durchaus nicht in ihrem tatsächlichen Umfang entdeckt wird. Hier können wir einen Vergleich mit dem Ebola-Virus anstellen, dem in den am stärksten betroffenen Regionen in Westafrika und im Kongo jeweils gut die Hälfte der Angesteckten tatsächlich erlagen. Von solchen Todesraten kann beim aktuellen Corona-Virus natürlich nicht die Rede sein, schon gar nicht in Afrika, wo der Anteil der jungen Menschen an der Gesamtbevölkerung unvergleichlich viel höher liegt als in Europa, das heißt, die Mortalität von Corona wird in Afrika nicht bei 50% der Infizierten und vermutlich nicht einmal bei einem Prozent liegen. Es kommt dann immer noch drauf an, wie viele Personen sich wie schnell anstecken, aber bisher hielten sich die gemeldeten Fälle doch im Rahmen. Eben: Wie im Freistaat Thüringen.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
14.04.2020

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