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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Baltische Meldungen

«George Soros verfügt über eine sehr starke Vertretung im Europäischen Parlament. Am bezeichnendsten ist die Tatsache, dass die Linke, die die größte Fraktion im Europäischen Parlament und auch in der Kommission darstellt, als Spitzenkandidaten für die europäischen Wahlen einen Holländer namens Timmermans aufgestellt hat, der ein Soros-Mann ist – das ist unbestritten.» Dies sagte Viktor Orban am 25. Januar im Radio Kossuth in einem Interview mit dem investigativen Journalisten Katalin Nagy.



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> Download Das heißt, er sagte es natürlich auf ungarisch. Aber die Übersetzung dürfte ungefähr hinkommen. Weniger sicher hin kommt die Aussage, dass der Holländer Frans Timmermanns ein Soros-Mann ist. Ist er nicht vielmehr ein Bill-Gates-Mann? Angeblich läuft auf einem seiner Computer das Betriebssystem Windows. Vielleicht ist er aber auch einfach ein Zimmermann? Mit anderen Worten: Unbestritten ist nicht, dass Timmermans ein Soros-Mann ist, sondern dass Orban einen Soros-Popanz geschaffen hat, auf dem er nach Herzenslust herum trampelt, ohne irgendjemandem den Beweis irgendeiner Wahrheit zu schulden. Timmermanns ist ein Soros-Mann? Da könnte man ja genauso gut behaupten, die Linke würde die größte Fraktion im europäischen Parlament und in der Kommission darstellen. – Achso, das hat der Orban ja tatsächlich behauptet. Aber hierzu gibt es im Gegensatz zum Soros-Mummenschanz Zahlen: Die Europäische Volkspartei, zu welcher Orban und seine Abgeordneten vorläufig noch zählen, ist nämlich die größte Fraktion mit 219 Mitgliedern; die Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten zählt 189 Abgeordnete. Mit anderen Worten, Kamerad Orban: Die Linke stellt nicht die größte Fraktion im Europäischen Parlament dar. In der Kommission gibt es sowieso keine Fraktionen, sondern Kommissionen und Kommissarinnen, nämlich 28 Stück. Von denen stammen 14 aus der Europäischen Volkspartei, 8 aus der sozialdemokratischen Allianz und 5 von den Liberaldemokraten, der letzte ist ein Unabhängiger aus England. Also, Kamerad Orban, die größte Fraktion in der EU-Kommission, wenn es denn eine gäbe, wäre jene aus der EVP, welcher du selber noch angehörst.

Aber wem sage ich das, der Orban ist ja nicht so gebaut, dass der zuhören würde, er ist auch nicht so gebaut, dass er das nicht wüsste, er lügt ganz einfach und gerade heraus, weil das in seine Soros-Propaganda passt. Man kann das wissen, in Europa weiß man es durchaus, aber man kann es auch in Ungarn wissen, vielmehr: man muss es eigentlich wissen, und trotzdem erhält der von seinen Ungarinnen und Ungarn Stimmen wie Handküsse, die man ihm per Post zusendet.

«Als George Soros vor drei Jahren den Soros-Plan veröffentlichte, war dies ein aus sechs Punkten bestehender Aktionsplan, dessen erklärtes Ziel es war, so viele Migranten wie möglich nach Europa hereinzubringen. Es war also ein Programm mit dem Titel „Wie formen wir Europa mit Hilfe der Einwanderung um“. Es bestand aus sechs Punkten, George Soros hat es selbst geschrieben», sagt Orban im gleichen Interview. Offenbar ist der Soros-Plan, der als solcher schon diabolisch genug ist, noch viel schlimmer, weil ihn George Soros selber geschrieben hat, muss man aus der etwas ungelenken Formulierung entnehmen; aber George Soros hat sich tatsächlich im Jahr 2015 zur Asylfrage geäußert mit einem 6-Punkte-Plan, der ausdrücklich als Replik auf Urban Orbans 6-Punkte-Plan zur Abschottung Europas konzipiert war. Soros sagte darin, dass die EU eine gemeinsame Politik brauche, in der aktuellen Lage vor allem wegen der Syrien-Krise eine Million Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen müsse und für die Finanzierung pro Flüchtling während den ersten zwei Jahren 15'000 Euro bereitstellen müsse, also 15 Milliarden Euro in einem beziehungsweise 30 Milliarden in zwei Jahren. Weiter müsse die EU die Anrainerstaaten Syriens finanziell unterstützen und in Nordafrika Sonderwirtschaftszonen schaffen zwecks Aufbau von Arbeitsplätzen und so weiter. Drittens sei ein einheitliches Asyl- und Migrationsbüro auf EU-Ebene einzurichten, welches die Anstrengungen der einzelnen Staaten koordiniert und vereinheitlicht. Viertens seien die Reiserouten der Flüchtlinge durch die Türkei und nach Europa zu sichern; fünftens müsse man die Türkei besonders unterstützen wegen der Flüchtlingsströme, und sechstens seien private Institutionen aus Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und aus der Wirtschaft in die Integration einzubeziehen.

So gesehen gibt es tatsächlich ziemlich viele Soros-Männer in Europa und vielleicht noch mehr Soros-Frauen. Allerdings würde es keinem von ihnen in den Sinn kommen, sich als eine solche oder ein solcher zu bezeichnen, weil es sich dabei nicht um einen Geheimplan handelt, der von einem finsteren Chef einer Weltverschwörung entworfen wurde, sondern um die allersimpelsten Überlegungen, welche sich in jedem einigermaßen gebildeten Individuum ganz von alleine einstellen, wenn es sich Gedanken macht über Flucht, Migration, den Krieg in Syrien und so weiter. Von Dingen wie den Sonderwirtschaftszonen im Maghreb spreche ich schon seit über 10 Jahren. Andere Punkte haben sich in der Zwischenzeit erledigt, namentlich die Sicherung der Fluchtrouten von der Türkei in die EU-Kernländer; einerseits übernahmen die Rechtsnationalisten in der Praxis die Rolle des ablehnenden Grenzbeamten, worüber sich insgeheim auch alle sozialdemokratischen Regierungen gefreut haben wegen des abnehmenden politischen Drucks von rechts in ihren Ländern, anderseits nahm der politische Druck von rechts in den sozialdemokratischen Ländern zu wegen des abnehmenden Flüchtlingsdrucks, fragt mich nicht weshalb, dies ist ein Naturgesetz. Und deshalb ist zu erwarten, dass bei den kommenden Europawahlen ein ordentlicher Rechtsrutsch stattfindet, wie zum Beispiel am Wochenende in Estland, wo nicht nur die bürgerliche Reformpartei am meisten Stimmen erhielt und 34 der 101 Abgeordneten stellen wird, während die sozial­demo­kratische Zentrumspartei auf 26 Mandate kommt; die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei stellt neu als drittstärkste Partei 19 Abgeordnete. Dieser Trend dürfte für ganz Europa gelten bei einigen Abweichungen und Überraschungen, zum Beispiel in Italien.

Wenn wir schon im Baltikum sind: Laut der Webseite Baltictimes versucht Lettland, seinen Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich durch die Einfuhr von Ärztinnen und Pflegepersonal aus Weißrussland und aus der Ukraine zu beheben. Man sieht hier wieder mal, dass die Personenfreizügigkeit ganz unbeschadet von EU-Mitgliedschaft oder rechtsnationalen Ausschlägen spielt, es ist durchaus nicht alle Hoffnung verloren. Daneben sank die Arbeitslosenquote in Lettland im Jahr 2018 auf 7.4% im Vergleich zu 8.7% im Vorjahr. In Litauen fanden gleichzeitig Kommunalwahlen statt; hier ging der Löwenanteil der Sitze laut Prognosen an die Freien Wählerinnen, nämlich 300 Stück, während der konservative Vaterlandsbund auf 264 kommen wird und die Sozialdemokraten auf 259. Die Bauern- und Grünen-Partei schaffen 216 Mandate, die Liberalen 118, die Arbeiterpartei 60 und die Partei Recht und Ordnung 50 Mandate.

Daneben möchte sich auch Litauen ein Stückchen vom Geldwäscheskandal in Estland abschneiden. Man kommt zwar nicht auf die Deliktsumme von 200 Milliarden Euro wie bei der estnischen Filiale der Danske Bank, aber immerhin soll Viktor Janukowitsch, der einerseits demokratisch gewählte und anderseits gestürzte ehemalige Präsident der Ukraine, auf einem Konto der Swedbank in Vilnius verdächtige Zahlungen erhalten haben wie zum Beispiel eine Million Euro als Honorar für ein Buch, dessen Titel mir zwar nicht geläufig ist, von dem ich aber annehme, dass es hieß: «Ich, Viktor» oder «Ich und wie ich Viktor wurde». Die entsprechenden Informationen stammen vom schwedischen Fernsehen, und Swedbank hat eine externe Untersuchungskommission eingesetzt, um die verdächtigen Kontobewegungen zu prüfen. Ich gehe nicht davon aus, dass dies auch für sämtliche Konten der aktuellen ukrainischen Regierungsmitglieder gilt.

Kommen wir aber zu einem anderen Thema. Ich kann die deutsche Regierung nicht im Ernst dafür tadeln, dass sie überhaupt keinen Bock hat darauf, einen Krieg anzuzetteln, weder einen Weltkrieg oder auch nur einen kleinen Regionalkrieg, sagen wir mal gegen Dänemark, das ja eigentlich angefangen hat, indem es eine Mauer gebaut hat, was eindeutig ein aggressiver Akt ist. Nun hat Deutschland durchaus Erfahrung mit Mauern; Frau Merkel wird sich gesagt haben, dass der Grenzzaun in 40 Jahren sowieso wieder weg kommt. Trotzdem wundert einen neutralen Beobachter die schlechte Presse, die Kritik, ja die Häme, welche über die Bundeswehr ausgegossen wird und über die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Was ist daran auszusetzen, dass sie den Rüstungsetat in Beraterinnen investiert anstatt in Atombomben? Aus Sicht des immerwährenden Friedens: überhaupt nichts. Und wenn die Sturmgewehre um die Ecke schießen anstatt geradeaus, so kann man sich damit trösten, dass moderne Kriegsführung nur noch beschränkt auf Sturmgewehren beruht. Das, vielleicht nicht modernste, aber doch äußerst aktuelle Verfahren neben dem Cyberwar und dem Krieg aus und in der Luft mit Drohnen und Eurofighters besteht in Selbstmordattentaten. Wie steht es denn diesbezüglich mit der Ausbildung im Felde? Es handelt sich aus neutraler Sicht nicht gerade um eine besondere Form der Selbstliebe – unter uns gesagt kann ich schlicht nicht nachvollziehen, was irgendein Hirn, irgendein Mensch sich dabei vorstellt, wenn er sich wegen ein paar angeblich gotteslästerlichen Flugblatt-Zeilen in einer unbeteiligten Menschenmenge in die Luft sprengt. Das dürfte auch in der Armee kaum auf Anklang stoßen, also greifen wir halt doch zurück auf Panzer und Granaten, aber gegen wen denn eigentlich und am Schluss? – Also wie gesagt: Aufzurüsten braucht ihr aus meiner Sicht durchaus nicht. Dagegen könnte ich ein paar Verbesserungen bei verschiedenen anderen Ministern vorstellen, namentlich beim Verkehrsminister Scheurer oder beim Wirtschaftsminister Altmaier oder bei der Landwirtschaftsministerin Klöckner, deren Äußerungen oft unter den erlaubten Dummheitspegel sinken. Ich meine, es braucht durchaus keine Koryphäen für solch ein Regierungsamt, gerade die Schweiz mit ihrer immerwährenden Konkordanz-Demokratie ist der Beleg dafür, dass die Besetzung der Spitzenämter mit Laiendarstellern wunderbar funktioniert, wenn der politisch-administrative Apparat rund herum in Ordnung ist. Umso wichtiger ist es aber, dass die Minister-Darstellerinnen sich wenigstens um den Anschein bemühen, etwas von ihrem Amt zu verstehen.



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Albert Jörimann
05.03.2019

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