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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Tiefsee Schulen"

[09. Kalenderwoche]
Der Bildungsbereich erinnert mich an die unerforschte Tiefsee mit immer wieder neu entdeckten Lebewesen bzw. Erscheinungsformen. Eine davon sind die Privatschulen.



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Offenbar ist es in vielen Ländern unterdessen selbstverständlich, dass die sozialen Ambitionen, welche eine Familie in Zusammenhang mit ihren Kindern pflegt, nur noch an Privatschulen erreichbar erscheinen, wo einem nicht dauernd fremdsprachige oder gar fremdfarbige Ausbildungsgüter in den Unterricht hinein reden. In Frankreich liegt der Anteil der Kinder, welche Privatinstitute besuchen, offenbar bereits bei rund 30%, von den USA habe ich keine Daten, nur Tendenzmeldungen, welche ähnlich lauten, und für Euer geschätztes Deutschland gehe ich davon aus, dass in den Problemzonen der größeren Städte eine ähnliche Quote gilt. Das ist ja schauderhaft. Dabei handelt es sich bei den Privatschülerinnen sich wohl nicht durchs Band um die Brut von primitiven und egoistischen Eltern; diese reagieren vermutlich mit einer durchaus ökonomischen Rationalität auf die schulische Realität, welche sie an ihren Orten vorfinden, das heißt im übelsten Falle Bandenkriege, ausgebrannte Lehrpersonen und eben insgesamt missliche Lernbedingungen. Da muss man sich aber einfach fragen, wie es die Kommunen oder die Kreise und Länder überhaupt zulassen können, dass solche Ghettos entstehen und munter weiter betrieben werden. Ich habe immer geglaubt, dass die Volksschule ein anerkannter Bestandteil der modernen demokratischen Gesellschaft sei. Wenn hier derart massive Probleme auftauchen, dann muss man eine politische Entscheidung fällen und in den Krisenzonen halt intervenieren, und zwar zur Not auch militärisch, wobei vielleicht eine separate Polizeieinheit noch vor der Bundeswehr zum Einsatz zu gelangen hätte. Ich bin kein Fetischist von Ruhe und Ordnung, aber eben auch nicht von Unruhe und Unordnung rein um ihrer selbst willen; an einer öffentlichen Schule sind hohe Lernziele zu setzen und einzuhalten, und zu diesem Behuf ist ein Minimum an Disziplin absolut unerlässlich, sei es von Seiten des Schülergutes oder auch von der Lehrerschaft. Letztere ist dabei praktisch ausschließlich auf ihre pädagogische Aufgabe zu verpflichten; die Auseinandersetzung mit quengelnden Eltern einerseits, der Schulbürokratie anderseits sind auf strikte Minima abzubauen. Aber die Lehrziele, die müssen wirklich hoch sein, und zwar für alle; und als Kontrolle dafür scheint mir einzig eine unabhängige Fachinstanz am Platz zu sein, nämlich so etwas wie ein Schul-Inspektorat mit weit reichenden Vollmachten, in dem aber weder die Lehrerschaft noch die Schulverwaltung auch nur einen Pieps mitzureden hätten. Das Lehr- und Lernziel erscheint mir übrigens auch völlig klar: Das gesamte Schüler/innengut muss per 16. oder 17. Altersjahr Abiturreife erlangen, gleichzeitig aber auch mit den Grundkenntnissen in den wichtigsten Handwerken ausgestattet werden, also Schweißen, Zeichnen, Tischlern, Programmieren, Mauern und was halt so noch weiter anfällt. Grundkenntnisse in Buchhaltung und Steuerrecht schaden auch angehenden Musikdirektorinnen in keiner Art und Weise. Soviel steht schon mal fest. Wie gesagt: Wenn es sich nicht anders einrichten lässt, verwendet man halt zur Durchsetzung dieser Ziele mindestens im disziplinarischen Bereich eine Sondereinheit von Armee oder Polizei.

Ganz besonders stutzig machte mich jüngst ein Bericht, wonach bei uns einige Gemeinden oder sogar Kantone einen schulpsychologischen Dienst aufbauen für Kinderchen, welche schlechte Zeugnisnoten nach Hause bringen. Das finde ich ordentlich pervers. Es muss doch möglich sein, irgendwo mal Mist zu bauen, ohne dass man sofort in die Gewalt des Psychiaters überstellt wird. Hat man eben mal etwas nicht kapiert, das holt man später nach oder aber man hat seine Stärken an anderen Orten, was die Benotung insgesamt wieder ausgleichen sollte; aber einen Zeugnis-Vorfall mit einem psychologischen Waschgang und möglicherweise hintendrein mit juvenilen Antidepressiva, kombiniert mit Wachstumshormonen und was weiß ich anzugehen, das ist richtiggehend bösartig, gut meinend aggressiv gegenüber der bestehenden Jugend insgesamt. Das passt auf seine Art haarklein zu jenen Privatschulen, wo die Missstände der Kindheit, nämlich die Kindheit selber und mit ihr verbunden eine wirklich allumfassende Ignoranz, nicht mit einer modernen staatlichen Institution unter dem Markennamen «Schule» beseitigt werden, sondern neben mehr oder weniger aleatorischen pharmazeutischen Zutaten direkt mit Kapitalinvestitionen in das auszubildende Gut. So war das aber nicht gemeint. Die Schule muss allen einen vergleichbaren hohen Bildungsstand vermitteln, und sie muss dies tun als Institution der Öffentlichkeit und nicht in der Form privilegierter Angebote für Besserverdiener. Ein Nebeneffekt der öffentlichen Schule ist es ja immer wieder, dass die Großkopfeten wenigstens ein paar Jahre ihres Lebens in Tuchfühlung mit normalen Menschen kommen, und wenn wir auf diese schichten- oder klassenübergreifenden Instrumente verzichten, dann können wir den Krieg in absehbarer Frist eben auf anderen Ebenen ansetzen. Meinetwegen! Ein schöner Klassenkampf ist auch etwas schönes, und wir warten ohnehin seit einhundertfünfzig Jahren darauf, dass endlich mal die richtigen Klassen die Ernte einfahren und nicht immer die Eliten, wo die Kinder oft schon zur Stunde ihrer Geburt über eine Apanage in Millionenhöhe verfügen. Chancengleichheit ist unter solchen Umständen zum Vornherein ein Hohn, und wenn die Schule dann noch zu jenem Ort degeneriert, wo die Chancenungleichheit umgegossen wird in eine gesellschaftliche Ungleichheit, dann ist das politische Programm für die nächsten fünfzig oder eben hundertfünfzig Jahren bald wieder geschrieben.

Ebenfalls tiefsee-exotisch mutete mich ein Inserat der Hochschule St. Gallen an, in welchem sie ihre berühmte Kinder-Uni anbot. Da sollen also Primarschülerinnen sozusagen spielerisch an die Brutstätte der allergrößten Wirtschaftsidioten herangeführt werden. Die HSG hat völlig zu Recht den Ruf, die absolut verbohrtesten Wirtschaftseliten zu produzieren, welche, verbrämt mit den Theorien liberaler und neoliberaler Klassiker von Adam Smith bis August von Hayek, nichts anderes als die Praxis des primitiven Geizes produzieren. Geiz ist Geil, hochgerechnet auf das Finanzmanagement; das soll nun also dem Kindergut möglichst früh eingetrichtert werden – beziehungsweise artgerecht eben nicht; im Angebot steht da neben Daniel Düsentrieb als dem Urvater aller Erfinder auch Robin Hood als dem Urvater der sozialen Gerechtigkeit, und das ist effektiv ein Skandal, für den das Rektorat dieses Apostolats der sozialen Ungerechtigkeit direktemang in der Tiefsee schmoren wird.

Ganz grundsätzlich beobachte ich, wie wir nach wie vor zu kämpfen haben mit den Spätfolgen der Ideologie vom spielerischen Lernen und, auf institutioneller Ebene, der Machtübernahme des pädagogischen Personals in der pädagogischen Verwaltung mit anschließendem ungeheurem Ausbau derselben. Mindestens bei uns ersticken die Lehrpersonen in administrativem Kram, aber auch in endlosen Sitzungen, anstatt dass sie sich ihrer Kernaufgabe widmen täten, für welche sie hoffentlich auch Kernkompetenzen vorzuweisen hätten, nämlich den Schulunterricht. Was ist denn so behämmert daran, einfach Kinder in der Schule gemäss einem zuvor festgelegten Lernplan zu unterrichten? – Wohl nicht allzu viel, also sorgt doch dafür, dass dies endlich auch mal stattfindet. Es braucht dafür nicht mal eine Kasernenhof-Disziplin; die meisten Schülerinnen und Schüler wollen ja letztlich etwas lernen, bloß ist leider die Schule unterdessen häufig zum Ort geworden, wo man ihnen dies austreibt, und sei es mit den Methoden des spielerischen Lernens. Da reagiert so ein Schüler-Organismus halt allergisch mit allerlei Allotria und Schabernack. Ebenso effizient weg von allen Bildungszielen führt eine konsequente Unterforderung des Schülergutes und seine Verhätschelung sowie die Psychologisierung eines ganz normal knüppelhart lebensrealen Lernbetriebes. Was soll das? Es braucht bloß ganz wenige Zutaten für eine gute Schule: Gute Lehrpläne und Unterrichtsmittel sowie gutes Lernpersonal, wobei ich beim Lehrpersonal von der berühmten Mischung spreche zwischen fachlicher Kompetenz und der Fähigkeit, das Schülergut mit der gebotenen pädagogischen Distanz auch wirklich gern zu haben. Eine Lehrerin oder ein Lehrer, welche ihre Schülerinnen wirklich lieben, würden diese auch niemals in die Fänge des schulpsychologischen Dienstes geben, bis auf ausgesprochene Notfälle natürlich, aber sicher nicht wegen einer nur halb so guten Zeugnisnote.

Naja. Irgendwann werden wir auch diese Institution wieder in den Griff bekommen. In der Zwischenzeit warne ich vor übereifrigen Erhöhungen des Bildungsbudgets, wie sie selbstverständlich von allen Beteiligten im Sektor immer wieder gefordert werden. Angeblich zeigt der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandprodukt, wie zukunftsfähig eine Gesellschaft qua ihrer Ausbildungsmöglichkeiten sei. Aber die bloße Zahl nützt überhaupt nichts. Man muss genauer angeben, wohin die Gelder wirklich fließen. Sind es wirklich Investitionen in eine qualitativ hoch stehende Volksbildung, oder handelt es sich nicht viel eher um Ausgaben für pädagogische und psychologische Fisimatentchen oder aber um Investitionen, welche der Bildungssektor geradewegs dem Privatsektor abnimmt, damit dieser dann aus seinen Gewinnen an den Universitäten einen Lehrstuhl sponsorn kann? – Das hat zwar mit der Volksschule nicht direkt etwas zu tun, gehört aber am Rand auch in dieses Kapitel, nämlich in jenen Bereich, wo Staat und Gesellschaft darauf verzichten, ein kohärentes und spitzenmäßiges Bildungssystem anzubieten, das grundsätzlich frei von jeglicher Interessenseinmischung und vor allem völlig ohne unnötige Elitenbildungen eingerichtet ist. Grundsätzlich gilt: In einer wirklichen Demokratie zählen alle zusammen zur Elite. Das ist übrigens ein Grundsatz, der auch von den stets steigenden Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft an den Bildungsstand der einzelnen Individuen gestützt wird. Und darauf aufbauend benötigt diese Gesellschaft wie jede andere dann selbstverständlich jenes Personal, das mehr weiß und mehr kann als andere bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Funktionen; das erscheint mir selbstverständlich, und gegen solche Formen von Eliten ist nix einzuwenden. Beruft man sich aber auf angebliche intellektuelle Vorsprünge, dann möchte ich doch mal nachhaken und fragen: Was wird denn aus den so genannten Hochbegabten, welche in der Regel unterschwellig als Argument gegen eine Volksschule aktiviert werden. Was ist mit denen? Werden aus diesen am Schluss nicht ebenfalls Steuerrevisorinnen, stellvertretende Projektmanager oder Pressesprecherinnen von um vieles Dümmeren, aber um vieles reicheren oder sonst wie erfolgreicheren Personen? – Doch, genau so ist es; wir haben es noch nicht mal geschafft, die Förderung der Hochbegabten so einzurichten, dass daraus auch zum Beispiel die allerbesten Gesetzesschmiede würden.








Albert Jörimann

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Albert Jörimann
28.02.2011

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