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Guido Sloterdijk

Peter Sloterdijk surft die Westerwelle obwohl der Surfer hier zuerst da war und später erst die Welle kam, oder doch nicht...


Kommentar Guido Sloterdijk


Seit gut eineinhalb Jahren, also seit Ausbruch der Krise, werden unablässig deren Ursachen diskutiert und publiziert. Vorallem aber wird auch wieder tüchtig über das Innerste unserer Welt philosophiert. Unsere kapitalistische Bürgerexistenz ist plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr, ihr vermeintlich ewiger Rückenwind scheint aus den Segeln unseres Bootes. Die Wirtschaftsforscher, deren Theorien und Prognosen an der gegenwärtigen Situation so jämmerlich gescheitert sind, waren bis vor kurzem noch die Meteorologen im Ausguck, die diesen ewigen Wind wieder und wieder vorhersagten... Entschuldigung: berechneten. Nun, da bei wirtschaftlicher Flaute von ihnen nur noch ein eher leises Pfeifen zu hören ist, treten wieder verstärkt andere an Deck, die uns erklären, was passiert ist und in Zukunft geschehen muß, damit das Boot wieder Fahrt aufnimmt. Soviel ist bereits klar: wichtig ist und bleibt, daß überhaupt ein Boot weiterfährt. Ob das bei wenig Wind dann nicht ein viel kleineres Boot ist, auf dem nur die Wenigsten Platz haben, ist nicht die Frage. Wichtig ist allein das Boot überhaupt.

Und zumindest hier in Deutschland hat sich auch aktuell jemand bereit erklärt in dieser misslichen Lage navigatorische Verantwortung zu übernehmen, und zwar laut und deutlich: unser Außenminister Guido Westerwelle.

Gut, seine Sozialschmarotzer-Argumention ist auch nicht wirklich neu, schließlich bot diese kleinbürgerliche Stammtisch-Ideologie ja auch schon der Regierung Schröder den ideellen Hintergrund für zum Teil drastische Einschnitte in den Sozialstaat. Neu oder zumindest anders als damals erscheint jedoch die ökonomische Situation, in der Westerwelle nun das ganz grobe Werkzeug auspackt. Waren damals noch ständige Wachstumsraten in der Lage den Fokus auf die parasitären Faulpelze unserer Gesellschaft abzulenken, obwohl die prosperierende Wirtschaft in keinster Weise entsprechend mehr Arbeit geschaffen hat, ist es heute auf den ersten Blick umso erstaunlicher, ja fast schon bizarr, daß Guido genau jetzt jene Keule auspackt. Aber eben nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten wird klar, daß es nämlich gar nicht darum geht arbeitslose Massen wieder in den Marktkreislauf der Gesellschaft zu integrieren, sondern sie zu diffamieren um sie dann schlicht und einfach ökonomisch abzuhängen. Denn eines beginnen vermutlich jetzt auch die verbrämtesten Liberalen zu begreifen: die Arbeit, die zuvor breiten Massen Auskommen und dem Staat Steuern gebracht hat, letztlich aber schon seit den 70ern des letzten Jahrhunderts mehr und mehr verschwindet, kommt niemals wieder. Das eigentlich bizarre in den gegenwärtigen Ursachendebatten ist vielmehr, daß die Arbeit, die auf wirtschaftlicher Ebene immer mehr von uns geht, auf ideologischer Ebene jedoch umso mehr zur heiligen Kuh erklärt wird. Das ist ein bißchen wie bei Papst Johannes-Paul II: je länger er tot ist, desto heiliger wird er.

Was wir nun beobachten können ist nichts anderes als der nun offen und aggressiv geführte Überlebenskampf bürgerlicher Eliten. Die Angst vor dem Absturz ins Prekäre greift um sich. Westerwelle ruft auf, den Ballast von Bord zu verscheuchen. Der Hauptvorwurf aus den nun empörten Kreisen bürgerlicher Medien und Politikerkollegen richtet sich jedoch nicht gegen Guidos Sozialdarwinismus sondern lediglich gegen seine rhetorische Unbeholfenheit: „So könne man das nicht sagen“, heißt es mehr oder weniger, aber gleichzeitig ist man ihm dankbar, daß er den Mut hatte, die ach so überfällige Debatte um die Verteilungsschlüssel unseres Sozialstaats anzuregen. Eine Debatte, die nur ein Ziel hat: Trotz oder gerade wegen des „angsteinflößenden“ Karlruher Urteils zu den Hartz-IV-Gesetzen muß der Rückbau des Sozialstaates weiter beschleunigt werden. Denn mit einem, aber auch wirklich nur damit, haben die Sprachrohre der bürgerlichen Eliten vollkommen Recht: Das Geld dafür ist tatsächlich nicht mehr da. Das stimmt jetzt in der Krise mit all den Bankenrettungsaktionen und Konjunkturprogrammen umso mehr, war aber auch schon in den Jahren zuvor der Fall. Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert und nach der mikroelektronischen Umgestaltung der Wirtschaft seit den 1970ern wirft schlicht nicht mehr genug für alle ab. Also: Rette sich, wer kann!

Aus kritischer Sicht, wäre es jedoch viel zu kurz gegriffen, sich nun allein auf Guido Westerwelle einzuschießen. Er ist tatsächlich nur der taktische Phrasen-Depp eines Idelogieschwamms, der sich von noch-verdienenden Kleinbürgerstammtischen über Politik und Medien bis hinauf in die Wissenschaften, speziell die Philosophie, ausbreitet. Dabei läßt sich nicht so einfach sagen, von wo aus dieser Schwamm seinen Ursprung nahm.

Stammtische kann man meiden. Bei Politik und Medien wird’s schon schwieriger. Und hat man sich erst einmal auf irgendein bürgerliches Medium eingelassen ist einer ganz unvermeidlich: Peter Sloterdijk, der Captain Jack Sparrow der Philosophie.

Peter Sloterdijk nämlich war es der schon vor über einem Jahr in der F.A.Z. und davor in einigen seiner Bücher und Essays dazu aufrief, die vermeintlichen Leistungsträger von der Last der Steuern zu befreien und damit, wie er sagt, ebenso von ihrer Scham gegenüber dem eigenen Reichtum, der den Gewinnern sowieso nur von den Faulen und Schwachen aufgenötigt wurde. Im Vollbesitz des Ertrages ihrer großen Leistungen könnten sie dann endlich als freie und selbstbestimmte Gönner auftreten und Almosen an die verteilen, die es laut Sloterdijk in den letzten Jahrhunderten geschafft haben, ihren niederträchtigen Neid auf die Besseren in Gesetze der Gleichmacherei zu zwingen. Hört man dieser Tage nun Westerwelles Sozialismus-Geschwafel scheint dies auch einen kurzen Blick auf sein Bücherregal zu gewähren.

Nähme man Sloterdijk ernst und wiese ihn darauf hin, daß der wahrscheinlich weitaus größere Teil der heutigen Crème des Bürgertums viel weniger durch besonders viel Arbeit bzw. große Leistungen auf der Sonnenseite steht, sondern viel eher durch „bessere“ Geburt und die entsprechend bessere Ausstattung mit Bildung, Beziehungen und eben Geld, würde man der gefährlichen Ignoranz dieses Fernsehphilosophen zuviel Ehre erweisen.

Gefährlich ist dessen sogenannte Philosophie allein schon deshalb, weil er die tatsächliche Synthese unserer Gesellschaft ignoriert; oder anders: Er weiß schlicht nichts von der abstrakten Herrschaft des Kapitals, als das, was unsere Welt eigentlich und wesentlich zusammenhält. In letzter Konsequenz seiner Erkenntnis schließt Sloterdijk, und mit ihm viele, viele andere, nämlich auf Äußerungen des menschlichen Willens oder menschlicher Triebe, wie z.B. Geiz, Neid und Gier. Solches Denken negiert, was in unserer Zeit jedem Trieb, jedem Denken und jedem Handeln bereits vorausgesetzt ist. Solches Denken, dem menschliche Begierden der letzte Grund der Welterklärung sind, wird dann, wenn es ernst wird auch die vermeintlich schuldigen Menschen finden. Sicher, Sloterdijk ruft nicht zu Mord und Totschlag auf. Aber er bietet die denkbaren Anschlußstellen für eine Ideologie, die im Krisenzustand durchaus zu Ausschluß, Verfolgung und im Äußersten in die Gaskammer führt.

Hagen
19.02.2010

Kommentare

  1. Seien Sie gegrüßt,
    zuerst meinen Dank für Ihre Worte!
    1. Eine klarere Warnung vor Slterdijks esoterischen Blasen habe ich bisher nicht vernommen.
    2. Der Bezug auf die politische Vorlage der vulgäre Schröder-Ideologie wird deutlich und mithin klar, dass eine SPD, die sich nicht konsequent davon abkehrt (inclusive Steinmeyer u. a. aus der Clique), schlicht nichts dagegen zu sagen hat bzw. besser schweigen sollte.
    3. Ich habe aber auch drei Punkte der Kritik:
    3.a) Weshalb so pessimistisch? Macht uns die "abstrakte Herrschaft des Kapitals" klüger? Solche antiquiert-marxistische Behauptungen vernebeln leider nicht minder. Klüger werden wir dadurch nicht, lediglich fatalistische Hilflosigkeit kann sich ausbreiten.
    3.b) Die "Arbeit kommt niemals wieder"? Auch Vollbeschäftigung war stets und ist weiterhin eine Verteilungfrage, mithin eine politische, denn das Arbeitsvolumen kann breit gestreut werden, natürlich wäre der "Arbeitstag" dann sehr kurz bzw. der Urlaub sehr lang.
    3.c) Glauben Sie wirklich, das Geld für die Armen "ist tatsächlich nicht mehr da"? Nichts ist politischer als Geld. Mikroökonomische gilt, wer das Geld hat, der hat auch Macht. Makroökonomisch ist es - wie so oft - umgekehrt: Wer die Macht hat, kann sowohl über den Wert wie über die Verteilung des Geldes bestimmen. Das klingt fast unglaubwürdig banal, aber solange die Geldillusion nicht durchschaut wird, wirkt die Lage aussichtslos, kein Ausweg scheint möglich.
    In den USA wird vertrauensvoller auf den Kapitalismus geblickt, der Mut zu Staatsschulden ist sogar bei Konservativen vorhanden. Deutschland hat nicht einmal Probleme mit der Handelsbilanz. Was wäre da alles möglich, wenn man politisch wollte?
    Kurz: Die deutschen Eliten sind reaktionärer als Sie sich zu glauben getrauen. Sie fürchten den Wettbewerb mehr als alles andere.
    Wozu sonst z. B. Studiengebühren? In den 70er Jahren trat die FDP noch für die Erhöhung der Erbschaftssteuer ein, da nur so der Wettbewerb unter angenäherten Startchancen befördert werden kann.
    Es gibt (von wenigen Lichtgestalten wie Leuthäuser-Schnarrenberger abgesehen) keine Liberalen mehr, Linksliberale schon gar nicht. (Auch die Grünen haben unter Schröder linksliberale Positionen weithin aufgegeben. Die heutige Grünen-Führung dürfte schon intellektuell Probleme haben, solche rückzuerobern.)
    Darin sehe ich die größte Gefahr für die Zukunft. Die SPD ist noch immer auf Schröders CDU-Kurs. Die FDP bedient den rechten Rand und wirbt um die Parteispenden der Milliardäre. Die CDU kann sich vergleichsweise human darstellen, sägt weniger laut am Sozialstaat. Die Gewerkschaften verstehen nicht, dass sie ohne Steigerung der HartzIV-Sätze auch keine Verhandlungsmacht für Lohnsteigerungen bzw. Arbeitszeitverkürzungen gewinnen. Der Rest ist Rest, d. h. politisch irrelevant. Wie kann der Kapitalismus ohne Umverteilung zugunsten derer mit ungesättigten Bedürfnissen nach Massenprodukten aber dauerhaft fortbestehen? Das ist die entscheidende Frage der Gegenwart.
    Es dankt für Ihre Aufmerksamkeit
    Oliver Adam

    Oliver Adam - 22.02.2010, 13:54