Mediathek

Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Beef!"

[25. Kalenderwoche]
Man nehme 4 EL weiße Pfefferkörner,



> Download


660 g Schweinsschulter, 660 g Schweinenackenfett, 660 g Rinderbauch, 20 g Meersalz, ½ geriebene Muskatnuss, fein abgeriebene Schale von 1 unbehandelter Zitrone, 1 extrafrisches Ei und 500 g Schweinenetz, ca. 20 min in kaltem Wasser eingeweicht. Die Zubereitung geht wie folgt: Pfeffer anrösten, in einem Mörser fein zerstoßen, Fleisch und Fett in längliche Streifen schneiden, Salz, Pfeffer, Muskatnuss und Zitronenschale zum Fleisch geben und alles gut vermischen. Mischung durch die grobe Scheibe des Fleischwolfs drehen, die große Fülltüte aufsetzen. Schweinenetz vor der Wurstfüllmaschine längs ausbreiten. Etwa 31 cm lange Würste formen, mit ca. 2 cm Abstand zueinander längs auf das Schweinenetz auflegen. Würste ins Schweinenetz einrollen, sodass das Gewebe die Würste 2- bis 3-mal umhüllt. Würste mit einem Messer voneinander trennen. Und schon hat man viele, viele Exemplare einer – Coburger Bratwurst.

Wie bitte, das interessiert Euch nicht? Müsste es aber. Wollt Ihr das Rezept einer Auerochsen¬brat¬wurst mit Morchel und Walnuss? Einer fränkischen Bratwurst? Einer Geflügelbratwurst – für die Mädchen? Gar von ausländischem Zeuchs wie Merguez, Salsicca oder einer spanischen Blutbratwurst, der Morcilla? Vielleicht sogar der Schweizer Olma-Bratwurst? Einer Pfälzer Bratwurst? – Nein, all das interessiert Euch nicht, Ihr wollt bloß endlich das Originalrezept für eine echte Thüringer Bratwurst hören. Na, dann passt mal auf: Die Zutaten sind 3 EL weiße Pfefferkörner, 3 EL Kümmelsamen, je ½ Bund Petersilie und Majoran, 1,3 kg fette Schweineschulter oder Schweinebauch, 0.7 kg durchwachsene Kalbsfleischabschnitte, 3 Knoblauchzehen, 20 g Salz, ½ geriebene Muskatnuss sowie feine Schweinedärme 26/28 (ca. 20 Minuten in warmem Wasser eingeweicht). Zubereitung: Pfeffer und Kümmel in einer heißen Pfanne anrösten und in einem Mörser fein zerstoßen, Petersilien- und Majoranblättchen abzupfen, Fleisch in längliche Streifen schneiden. Knoblauch abziehen. Pfeffer, Kümmel, Majoran, Petersilie, Salz, Muskat und Knoblauch auf das vorbereitete Fleisch geben und alles gut miteinander verkneten. Das marinierte Fleisch durch die feine Scheibe eines Fleischwolfs drehen. Wurstmasse mit den Händen gründlich vermengen und in eine Wurstmaschine füllen. Die feine Fülltülle ansetzen und den vorbereiteten Schweinedarm auffädeln. Den Darm nicht zu fest mit der Masse füllen. Etwa 15 cm lange Würste abdrehen.

Bitte sehr, diesen Service erbrachte Euch die Feinkostabteilung von Radio F.R.E.I. mit freundlicher Unterstützung eines Presseerzeugnisses mit dem schönen Namen «Beef», konkret der Nummer 2/2011. Der Name passt vorzüglich zum Thema Schweinefleisch. «Beef» ist ein Magazin für Männer mit Geschmack, und der Geschmack der Männer dreht sich zweifellos um Schweinereien, das heißt, es handelt sich um ein sublimiertes Pornoheft. Durch die Sublimation hindurch dringt das eigent¬liche Thema im Beitrag «Sex in der Küche» oder im PR-Artikel «Für davor und danach» über Spirituosen, Liköre und Weinbrände. Daneben aber werden all die Dinge angesprochen, welche den Mann davon abhalten können, auch beim Sex nur an die Arbeit zu denken, namentlich Pizza (man beachte den Bezug zum Rindfleisch), Bier (desgleichen), Pesto (bis), Erdbeermarmelade (idem), Grappa, Rum, Cocktails sowie Eichhörnchen, Lachs, Seeigel, Pilze, Kresse (sozusagen ibidem) plus als Zugabe 150 Seiten Werbung. All das zum Preis von nur 9 Euro 80, was in der Schweizer Übersetzung 20 Franken heißt. Aber den Rest haben wir verstanden beziehungsweise die Hauptsache: Der Mann ist ein Rindviech, das Schweinefleisch isst. Und die Schlagzeile von «Beef» heißt dementsprechend: So werden Sie zum Grill-Gott!

Ich meine mich zu erinnern, an dieser Stelle bereits über die verschiedenen Erscheinungsformen der Dinge extemporiert zu haben, begonnen mit ihrer dinglichen Gestalt über die chemisch-physikalische Beschaffenheit und die Geldform bis hin zur digitalen Existenz, die vermutlich die kompletteste Emanation jeglichen Dinges ist, obwohl die Vernunft an dieser Feststellung berechtigte Zweifel anmeldet, denn so wie das Ganze in der Regel mehr ist als die Summe seiner Teile, so muss hinter jedem Ding neben den digital erfassbaren Eigenschaften auch noch seine Gesamt- oder Ganzheit liegen, sonst bräuchten wir die Vernunft ja gar nicht mehr. Es gibt nun Dinge, die seltsam auftreten, zum Beispiel das Kollektivbewusstsein, mit dem ich durchaus keine psychologische Kategorie fassen will, sondern nur, na ja, eben, das Kollektiv¬be¬wusstsein an sich. Es pflegt sich zu seiner Erscheinung vornehmlich in die Gewänder der Massenmedien zu werfen, und insofern darf man «Beef» wohl als halb dekolletiertes Abendkleid für die Männerseele bezeichnen. Die Arbeitsbekleidung für den Mann besteht dagegen in Magazinen wie dem Kicker, zur Not die Bild-Zeitung oder ebenfalls zur Not Erzeugnisse wie das Manager-Magazin. Wer dagegen zu Erscheinungen wie dem Spiegel oder vollends dem Focus greift, dessen Identität möchte ich hier nicht vorschnell festlegen, weder im geschlechtlichen noch im intellektuellen Bereich, vielleicht sind diese Hefte so etwas wie das Kollektivbewusstsein an sich, gänzlich jenseits eines allfälligen Inhaltes; meines Wissens ist sich die Wissenschaft sowieso nicht einig, ob Inhalte überhaupt möglich sind in einem Kollektivbewusstsein oder ob das Kollektivbewusstsein nicht vielmehr so etwas wie eine Schwurbelmasse ist, welche das Schweinefleisch in der Bratwurst zusammen hält. So oder so wird mit «Beef» ein eigenartiges Stadium dokumentiert im Kampf der Männer-Libido um eine möglichst kultivierte Umformung. Rindsfilet in der Form einer Coburger Bratwurst. Das ist allerdings komplex und belegt, wie schwer sich das durchschnittliche Männerhirn tut im Kampf um eine höhere Kulturstufe. (Kalbshirn fehlt übrigens mindestens in dieser Ausgabe völlig.) Immerhin können wir bei der Werbestrecke die völlige Abwesenheit von Raucher-Reklame konstatieren, immer unter der Voraussetzung, dass der Beitrag zum Lachs-Räuchern nicht etwa ein verklemmtes Bekenntnis zu kubanischen Zigarren darstellt.

Ich weiß nicht, welcher kommerzielle Erfolg diesem Magazin aus dem Verlag Gruner+Jahr winkt; die nächste Ausgabe ist jedenfalls für August 2011 vorgesehen, vielleicht könnt Ihr mal in der Stadtbücherei ein Auge rein werfen, wenn Ihr sonst nichts zu tun habt. Ansonsten fragt man sich immer wieder, welches das Äquivalent eines solchen Genussblattes für mittelständische Männekens im weiblichen Bereich sein mag. Leider habe ich jetzt die letzten zweihundertdreißig Ausgaben der «Brigitte» verpasst, aber immerhin ist mir ein Typus mittelständischer Emanzi¬pa¬tions¬frau aufgefallen, und zwar hält sich der hartnäckig seit mehreren Jahren. Es handelt sich um ursprüng¬lich gut aussehende jüngere Exemplare, welche auf eine feste Beziehung pfeifen und es sich zum Perlen des Prosecco oder zum Knistern der Kokslinien in der Gesellschaft schöner und einflussreicher Männer und Frauen wohl ergehen lassen, hin und wieder mit selbigen Körperflüssigkeiten austauschen und sich dabei völlig frei fühlen. Wenn sich die Schönheit in Reife zu verwandeln beginnt und die Schlange der Anbeter kürzer und deren durchschnittliches Privatvermögen oder ihre durchschnittliche gesellschaftliche Reichweite geringer werden, dann setzt bei diesen Damen der abschließende Emanzipationsprozess ein, nachdem sie sich schon zuvor für völlig gleichberechtigt gehalten hatten. Dann bricht aus ihnen das volle Bewusstsein heraus dessen, dass sie eigentlich bloß als billige Putzfrauen oder Mätressen gehalten werden sollen, und das wird analytisch auf das gesamte weibliche Geschlecht hochgerechnet. Im Libido-Bereich entsteht eine eigenartige Mischung, indem sich zum Begehren nach einem Mann als Sexobjekt die Sehnsucht nach einem Mann als Lebenspartner gesellt, dies übrigens seinerseits aufgeteilt in einen emotionalen Kachelofen, an dem man sich nach dem anstrengenden Partygeschehen wärmen kann, und in den Geldsack, der jedem Mann als dritte Hode je nach Typ am Arsch oder auf dem Herz wächst mit Ausnahme von Cristiano Ronaldo, dessen dritter Hoden zwischen Kinn und Schlüsselbein tanzt. Gleichzeitig explodieren bei solchen Frauen, die sich im Übrigen immer häufiger Singles nennen, Spott und Häme für all die oberflächlichen, vergesslichen und ohnehin impotenten Gockel exponentiell zur abnehmenden Nachfrage. Das ergibt die unangenehme Situation, dass die Veröffentlichungen dieser Zeitgenossinnen, mit Vorliebe in Form von saloppen Kolumnen, geprägt sind von einem unentwirrbaren Durcheinander von Verachtung und Anbetung. Ich glaube nun nicht, dass solche Autorinnen repräsentativ sind für das weibliche Geschlecht, aber gegenwärtig bzw. eben seit einiger Zeit sind solche Vernehmlassungen in verschiedensten Magazinen wirklich sehr gerne gesehen, und solange dies fast die einzige Emanation einer weiblichen Lebensart bzw. Eigenmeinung ist, die aus der Nebeldecke der normalen publizierten öffentlichen Meinung ragt, so lange bleiben uns die Frauen nur das gleiche Rätsel wie jene Männer, welche im Ernst Zeitschriften wie «Beef» kaufen und ihren eigenen Pazifik-Lachs räuchern; übrigens ließ sich für die mir vorliegende Nummer kein geringerer als Christian Ulmen unter dem Prädikat «Moderator, Schauspieler und Schriftsteller» interviewen und für den Rum «Diplomatico Reserva Exclusiva» Werbung machen. Was die Frauen angeht, so würde ich mir jedoch wünschen, dass die endlich von ihrer Fixierung auf reiche und schöne Männer und Frauen und später auf den Hochadel oder die Fernsehprominenz abrücken würden und sich dort, wo die Männer die Küche als neuen Lebensraum für sich erschließen, ihrerseits in Hobbies wie Schreinern, Zimmern, Hageln und Nageln und Löten und Schweißen dilettieren würden. So würden wir gleichzeitig das Problem der Industriebrachen lösen, welche als traurige Ruinen der Desindustrialisierung das ganze Land überziehen. Frauen auf die Industriebrachen! – Das scheint mir ein ehrenwertes Motto zu sein, und es würde wohl zur Entstehung einer ganz neuen Sparte an Illustrierten und Magazinen führen, in denen die verehrten Damen mit verchromten Silberhämmern Nägel aus Spezialaluminium in drei Mal gewässerte finnische Raubkiefer schlagen würden, alles erhältlich im so genannten «Werkraum» von Gruner+Jahr zu Preisen, welche eine tausendjährige Inflation vorweg nehmen. Drillbohrer mit Goldbeschlägen, mundgedrechselte Handgriffe an der Stahlsäge und solche Späße würden es erlauben, dass die verehrte Frauenschaft in Zukunft nicht mehr Tupperwareparties feiert, sondern Handwerks-Adorationsveranstaltungen in mehrere Quadratkilometer großen Ausstellungshallen, aber ich merke gerade, dass meine Lebenspartnerin hinter mir steht.





Albert Jörimann

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann des Jahres 2007-2010

Albert Jörimann
21.06.2011

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.