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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Das Bene Commune"

[26. Kalenderwoche]
Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise steckte das Nobelpreiskomitee ziemlich dick im Schlamassel, als es darum ging, einen Preisträger für den Bereich Wirtschaft zu finden.



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Niemand hatte den Absturz kommen sehen, alle Professoren und Koryphäen standen nackt und ungewaschen in der Gegend herum bzw. suchten sich möglichst gut zu verstecken. Eine Alternative war dringend gefragt, möglichst nicht eine aus jenem Lager, das den Casinokapitalismus seit eh und je kritisiert und nun auf dramatische Art und Weise Recht erhalten hatte; das ging selbstredend nicht in diesen Salons. Also benötigte man ein etwas entlegenes Feld, das keinerlei direkte Bedrohung für die üblichen Preisträger, das heißt für die allergrößten Versager der jüngeren Wirtschafts¬theorie¬ge¬schichte darstellte, und man fand dieses Feld bzw. die Preisträgerin in der Person von Elinor Ostrom, die zusammen mit Oliver Williamson für ihre Arbeiten über die Verwaltung von gemein¬schaft¬lichem Eigentum ausgezeichnet wurde. Einen Geniestreich würde ich diese Auszeichnung auch im Nachhinein nicht nennen; sie stinkt noch heute, bilden doch die Allgemeingüter sowohl vor als auch nach der Finanzkrise bzw. dem Finanzkrisen-Nobelpreis nur insoweit einen Gegenstand des Interesses der Wirtschaftswissenschafter, als man sie privatisieren kann. Dies sollten sich die begeisterten Verfechter der Kommunalwirtschaft bei all ihrer Freude an diesem Nobelpreis mit dicker Tinte aufs iPad schreiben. Letztlich ist es sogar so, dass die Idee der Commons niemals eine derart schmähliche Niederlage erfahren hat wie in dem Moment, da sie den Nobelpreis erhielt und damit die internationale Weihe als Deckmäntelchen für das Versagen der Wirtschaftswissenschaften, die ansonsten weitermachten wie zuvor.

Wie immer, ist auch dieser einleitende Giftpfeil auf die Ökonomen nur die halbe Wahrheit, denn sie untersuchen oft Felder, die abseits von den praktischen Forderungen der Wirtschaftselite liegen, und deshalb kommen durchaus auch Forscher zum Zuge, die sich gedanklich abseits der Profitmaximierung bewegen, z.B. Paul Samuelson, Gunnar Myrdal, James Tobin, Amartya Sen, Joseph Stieglitz und so weiter. Trotzdem schert sich die Wirtschaftswissenschaft sonst nicht besonders um die Commons oder über die Common Goods, auf Deutsch: Gemeinden oder Gemeinschaften oder Kommunen sowie die Güter der Allgemeinheit oder das Allgemeingut. Dieses nehmen seit je die oppositionellen Gruppen für sich in Anspruch; zuletzt habe ich es auf dem 110. Jahrestag der Gewerkschaft FIOM in Bologna gesehen auf einem Spruchband, auf dem stand: Arbeit ist Allgemeingut. Das ist nun eine Auffassung, die ich durchaus nicht teile.

In diesem Zusammenhang erwähne ich die Referendumsabstimmung vom 12. und 13. Juni in Italien, bei welcher der italienische Ministerpräsident, Quakfrosch, Dauererigent und Ihr wisst schon eine scheppernde Niederlage eingefahren hat. Die Simmberechtigten nahmen bei einer Beteiligung von 57% sämtliche Referendumsvorlagen mit riesigen Mehrheiten an, u.a. den Ausstieg aus der bzw. den Nichteinstieg in die Atomenergie; Italien hatte zum gleichen Thema bereits ein Jahr nach Tschernobyl eine Referendumsabstimmung durchgeführt und schon damals die Atomenergie verboten. Das zweite Referendum betraf ein weiteres Gesetz von Berlusconi, mit dem er seine unzähligen Prozesse vorzeitig beenden wollte; nun muss er bzw. sein Justizminister Angelino Alfano schnell ein neues Gesetz basteln, sonst wird uns der tatsächlich noch während Lebzeiten rechtsgültig verurteilt. Die zwei anderen betrafen die Wasserversorgung und damit eben ein Herzstück des Allgemeingutes. Mit dem einen Referendum wurde ein neues Berlusconi-Gesetz gekippt, gemäß dem die Gemeinden bis Ende 2011 ihre Wasserwerke hätten privatisieren müssen; gegenwärtig befinden sie sich teils im Besitz der öffentlichen Hand, und zum Teil werden sie als private oder gemischtwirtschaftliche Unternehmen betrieben, und dies bleibt nun vorderhand unverändert. Mit dem zweiten Referendum wird es den Wasserwerk-Betreibern verboten, in Zukunft Gewinne zu erzielen. Damit sollten die Wasserpreise tendenziell sogar sinken. Das tönt zunächst gut und ganz im Sinne der Erfinder, also die Heiligsprechung der Wasserversorgung als Teil des Allgemeingutes. In der Praxis zeigt sich nun aber, wie viel Wert solche schöne Forderungen haben, wenn man sie konkret umsetzen muss. Ich berufe mich auf die Zeitung Repubblica vom 14. Juni: Die öffentlichen Wasserwerke sind heute in Italien finanziell nicht in der Lage, mehr als 50% der projektierten Arbeiten zu erledigen. Dem Staat stehen von den eigentlich notwendigen 64 Mia. Euro für den Ausbau und den Unterhalt des Leitungsnetzes nur gerade 14% zur Verfügen; den Rest müsste man über Tariferhöhungen (um insgesamt 18% bis im Jahr 2020) oder aus dem allgemeinen Staatshaushalt aufbringen. In der politischen Praxis steht aber die Abwasserreinigung im Vordergrund, da die EU-Kommission diesbezüglich bereits ein Verfahren gegen Italien eingeleitet hat. Und somit präsentiert sich in Italien die öffentliche Wasserversorgung – gleich wie andere öffentliche Bereiche – im Wesentlichen in zwei Gestalten: Die eine umfasst jene lokalen Werke und Betriebe, welche die Versorgung effizient und transparent erbringen, und die andere betrifft jene Betriebe, welche sich kaum um die Wasserversorgung selber kümmern, dafür umso mehr um die damit verbundenen Stellen und Chefpositionen, welche man den Verwandten, Günstlingen und politischen Partnern zuhalten kann. So einfach ist die Sache und so einfach verhält es sich mit den Commons oder dem Bene Commune: Solange sie in diesen mindestens zwei Gestalten existieren, darf man sie eben gerade nicht heilig sprechen, da man mit einer solchen Generallaudatio die Ursachen für das Male Commune absegnet und zudeckt. Genau das gleiche gilt für Griechenland, für Afrika, für Teile von Lateinamerika. Die Regel heißt: die öffentlichen Bereiche sind, entgegen den Leitsätzen des Common Goods und der Commons, nicht per se gut, sondern nur in ihrer effizienten und transparenten und idealerweise demokratischen Form. Wer diese Präzisierung nicht anbringt, kämpft letztlich für Miss- und Vetternwirtschaft in der Politik bzw. in der öffentlichen Verwaltung.

So liegen die Dinge. Sie liegen aber auch anders, nämlich indem die Referendumsabstimmung in Italien mit Sicherheit ein Votum für eine effiziente Wasserversorgung war und nicht für jenen Postenschacher, der unter der Regierung Berlusconi ganz offensichtlich ist, aber unter anderen Ministerpräsidenten durchaus nicht anders gehandhabt wird, und das ist die bitterste Pille, die man zusammen mit der Freude über den Referendumssieg herunter schlucken muss: Zwar zeichnet sich das Ende der Ära Berlusconi ab (wenn auch solche Aussagen immer mit Vorbehalt gemacht werden müssen, der Affe findet immer wieder eine Liane, an der er sich auf einen nächsten Baum schwingen kann), aber eine Besserung ist absolut nicht in Sicht. Die kleinen und Kleinstparteien gruppieren sich fliegend um, die Ex-Faschisten haben sich zweigeteilt in einen Berlusconi- und einen Fini-Flügel, aus dem Partito Democratico ist jener Rutelli schon vor längerer Zeit ausgeschieden, der gar nie hätte dazu stoßen dürfen, die Partei Italia degli Valori von Antonio Di Pietro verfügt zwar über den aufrichtigsten italienischen Politiker, aber in seinem Windschatten hat sich in dieser völlig neuen Partei allerlei Schrott angesammelt, der von Zeit zu Zeit von Berlusconi wieder weggekauft wird; schließlich bleibt als einziges halbwegs taugliches Überbleibsel aus einer sozialistischen Bewegung der Präsident der Region Apulien, Nichi Vendola mit seiner Partei Sinistra e Libertà, der ich mich noch am ehesten zuneigen täte, wenn sie bloß nicht so verdammt klein wäre – Italien wird somit auch nach Berlusconi jene große Wurschterei bleiben, die es schon seit den sechziger Jahren war. Zu den Referenden bleibt noch der Nachtrag, dass die Medien von einer Niederlage der traditionellen Kommunikationskanäle, vor allem des von Berlusconi vollständig dominierten Fernsehens sprechen und den Abstimmungserfolg zu schönen Teilen den sozialen Netzwerken zuschreiben. Wenn man das auf die übrigen entwickelten Länder hochrechnet, dann kann man sich ungefähr vorstellen, welche Veränderungen auch hier in absehbarer Zeit bevorstehen könnten. Ich selber bin nicht ganz so sicher; ich glaube doch, dass der Berluscazz nun auch für die Öffentlichkeit sichtbar durchgedreht ist und seine Potenz immer und überall, in erster Linie aber für sich selber andauernd demonstrieren muss mit der Gegenwart möglichst vieler möglichst schöner, junger und möglichst nackter Frauen, zu Erde, zu Wasser und in der Luft. Das hängt mit der Zeit sogar dem übelsten italienischen Macho zum Hals raus.

Und dann hätten wir noch den Nachtrag, dass die oppositionellen Medien seit zehn Tagen über eine neue Geheimloge berichten, die sogenannte P4, in deren Zentrum Luigi Bisignani steht, ein Vermittler, der Berlusconi noch aus alten Zeiten kennt, der mit dem korrupten Craxi verbandelt war, Ende der 90-er Jahre selber wegen Bestechung verurteilt wurde und offenbar auch heute munter Projekte und Personen vermittelte, dass es eine wahre Freude war, eben all das, was man so machen kann im Rahmen des Bene Commune. Bisignani handelte in erster Linie mit Informationen, z.B. mit Hinweisen auf bevorstehende Prozesse oder mit geheimen Aktenstücken, und er zog die Fäden für einen ganzen gemischten Chor aus der italienischen Politik und Unternehmerwelt. Im Gegensatz zur P2 von Licio Gelli war aber das Ziel offenbar nicht die Errichtung eines autoritären Staates; das ist für die Verbandelmeier in der Regierung und im Zivilschutz und in der Verwandtschaft und Bekanntschaft der Regierungs- und Parteichefs durchaus nicht mehr nötig.

Und noch einen habe ich: Ebenfalls anfangs Juni geschah es der italienischen Post, übrigens einem jener Betriebe, dessen Chefposten von der jeweils die Macht ausübenden Clique frei vergeben werden kann, dass sie während 4 Arbeitstagen leider auf dieses neumodische Werkzeug verzichten musste, das da «Computer» heißt. Leider war das Netz oder der zentrale Server oder die Software oder alle drei so lange nicht zu haben. Es versteht sich von selber, dass die Medienabteilung der italienischen Post die Schuld dafür der IBM in die Schuhe schob.

Und zum Abschluss noch ein Wort zur Volksrepublik China: Jetzt sind zwei Regierungskritiker vor der Europareise des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao freigesetzt worden. Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Aktivitäten von Ai Weiwei und Hu Jia der chinesischen Staatsführung eigentlich recht gleichgültig sind. Jedenfalls haben sie objektiv gesehen weit weniger Bedeutung als die Aufstände, die in Südchina ausgebrochen sind und offenbar erhebliche Teile der Arbeiterschaft erfasst haben. Ich würde mir wünschen, dass sich diese Aufstände möglichst schnell massiv verbreiten und das angeblich kommunistische Land zu einer sozialdemokratischen Reform seiner Produktions- und Klassenverhältnisse zwingen. Wenn ich an dieser Stelle China immer eine Kulturnation nenne, so bedeutet dies selbstverständlich keineswegs, dass hier kein Handlungsbedarf besteht. Gerade in den industriellen Betrieben und in der Reichtumsverteilung sind Reformen überfällig, und wenn sie nicht bald eingeleitet werden, dann wird aus den Aufständen eine Revolte; diese dürfte angesichts der herrschenden Machtverhältnisse wiederum blutig niedergeschlagen werden, worauf ein paar Monate später dann doch die Lehren gezogen und der Reformprozess eingeleitet wird. Lernen mit Blut, Lernen durch Blut, Lernen im Blut – schön ist das zwar nicht, aber immerhin, ein Lernprozess findet letztlich dann doch statt, und ganz am Schluss winken dann Verhältnisse, in denen auch der Erkenntnisgewinn in demokratischer Form von sich gehen kann.




Albert Jörimann

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Albert Jörimann
28.06.2011

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