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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "King Roman"

[20. Kalenderwoche]
Menno, was ist los?



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Letzte Woche gab die US-Post bekannt, dass sie im ersten Quartal 2011 einen Verlust von über 2 Mia. Dollar eingefahren hat. Einzelne Bundesstaaten stehen kurz vor dem Bankrott, z.B. New Jersey; andere sind möglicherweise schon voll darin, z.B. Kalifornien; weitere wollen ihr Budget sanieren und dabei gleichzeitig den Einfluss der Gewerkschaften zerschlagen, wie in Wisconsin. Hier handelt es sich aber nicht immer um den definitiven Kollaps maroder Strukturen wie in Griechenland; die US-Bundesstaaten wurden schlicht und einfach von der Finanzkrise erschlagen, welche den ganzen Bereich der öffentlichen Verschuldung unterspült hat. Wenn dann nicht eine starke Wirtschaft mit soliden Erträgen aus der Lohn- und Unternehmens¬steuer für ordentliche Einnahmen sorgt, dann ist der Mist geführt. In Kalifornien balgen sich die verschiedenen Interessengruppen um die noch verfügbaren Anteile der Staatsfinanzen, das heißt, eine Lösung innerhalb der bestehenden Strukturen erscheint absolut unmöglich. Die Rolle des Terminators übernimmt am Schluss der Konkursrichter, und das ist ebenso spannend wie ernüchternd oder auch empörend; schließlich geht unsereins trotz aller grundsätzlicher, nämlich philosophischer und theoretischer Kritik am Staat als Herrschaftsinstrument, davon aus, dass im Kern oder im Prinzip ein Staat unerlässlich ist für eine moderne Gesellschaft und dass es einen gesell¬schaft¬lichen Konsens darüber gibt, dass alle nach ihrem Leistungsvermögen zu seinem Funktionieren beizutragen haben; diese Seite der Gleichung scheint aber in den Vereinigten Staaten unter dem Druck tollwütiger Teeinsüchtiger, aber wohl schon seit der Verbreitung der neoliberalen Phantasmen durch den Alzheimer-Träger Ronald Reagan völlig verschwunden zu sein. Hätte sich doch Ronald Reagen auch in den Kopf geschossen wie Gunther Sachs! – Aber das hätte wohl nichts genützt, bei Reagan war eh nix drin. Ein Schuss ins Nichts; und jetzt bleibt uns nur abzuwarten, wie sich die USA aus dieser Situation heraus winden. – Im Übrigen sind mindestens im Fall Kalifornien durchaus nicht nur die Republikaner befallen von der Auffassung, dass man den Staat nach Leibeskräften ausbluten müsse, das können die Demokraten ebenso gut, und die Gewerkschaften will ich in keiner Art und Weise davon ausnehmen. Damit dies auch noch gesagt ist.

Ich verstehe es nicht, und ich verstehe auch die Griechen nicht. Wenn ich immer wieder betone, dass in Griechenland von Strukturreformen nicht die Rede sein kann, solange der Staat nicht mindestens 50% seiner Beschäftigten auf die Straße stellt, so spreche ich natürlich nur von einem Teil des Problems. Mindestens ebenso schwer wiegt die Einstellung, dass man dem verfluchten Staat möglichst keine Steuern abliefern soll. Hier existiert offenbar eine Solidargemeinschaft von Reich und Arm, von der am meisten profitiert – na, wer wohl: der kleine Fisch, der seine Steuererklärung so lange manipuliert, bis er statt 2000 Euro nur noch 500 Euro bezahlen muss, oder die Ärztin, die anstelle ihrer 100'000 Euro nur 20'000 Euro versteuert? Oder die Erbin mit 300 Mio. Euro Vermögen, welche vermutlich Zuschüsse in Höhe von ein paar Millionen Euro erhält? – Nä, so war das nicht gemeint mit all der schönen Staatskritik, und wenn das griechische Volk nicht bereit ist, seinen Aristoteles zu lesen, dann muss man ihn ihm halt eintrichtern mit fremder Hilfe. Also: Was habt Ihr zu bieten, Kolleginnen und Kollegen in Deutschland? – Im Februar war ich mal in Ottobrunn bei München, wo es ein echtes Otto-Museum hat, nämlich für König Otto den ersten von Griechenland. Könntet Ihr nicht zum Beispiel einen Eurer Moderatoren als General¬bevoll¬mächtigten abstellen? Wenn ich mich richtig erinnere, nennt ihr den Herrn Pastuschka eh schon King Roman, also: an die Säcke, Herr Kollege!

Ich höre immer wieder, dass es die Griechen leid sind, auf ihren desolaten Staatsapparat hingewiesen oder sogar darauf behaftet zu werden. Da habe ich volles Verständnis für, nicht aber für die unmittelbar anschließende Tatenlosigkeit. Diese Tatenlosigkeit nimmt die Form von Generalstreiks an. Das finde ich paradox: ein Generalstreik und nichts dahinter, keine Forderung nach einem effizienten und bürgerInnennahen Staat, keine Vorschläge zum Ausbau der Infrastruktur und des Bildungswesens, einfach nix, mindestens nix, was bis zu den Ohren eines neutralen Beobachters in Zentral-Westeuropa dringt. – Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass schöne Programme wohlfeil zu haben sind, Ihr erinnert Euch vielleicht an das humanistische Programm von François Bayrou, dem man gar nicht genug zustimmen kann, solange er nicht dazu gezwungen ist, es in die politische Praxis umzusetzen. An diesem historischen Ort, also in der politischen Praxis sind in den letzten Jahren praktisch alle Grundsatzerklärungen aufgelaufen, wenn man einmal von Spanien absieht, wo die politische Politik in den letzten Jahren tatsächlich ein paar wesentliche Flurbereinigungen vorgenommen hat. Ansonsten klafft ein betrüblicher Gegensatz zwischen lieblichen Deklamationen und der Realität der Interessenvertretung, also der Parteilichkeit einerseits und den Sachzwängen einer internationalen, wo nicht überhaupt und sogar globalen Welt anderseits. Eine plausible Synthese hat bisher noch niemand auf den Tisch gelegt.

Aber der Griecherer würde nicht mal eine so hoch trabende Synthese benötigen – in Griechenland würde es schon voll ausreichen, wenn der Staat bloß seine Steuern eintreiben und damit seine Kernaufgaben finanzieren täte, nämlich die Bereitstellung der notwendigen Institutionen und darunter in erster Linie einer anständigen Grundsicherung. Wieso geht das nicht? Ich hoffe, dass mir das griechische Generalkonsulat innerhalb von vierzehn Tagen eine glaubwürdige Antwort auf diese Frage präsentiert, denn die interessiert eigentlich nicht mich persönlich, sondern sie inter¬essiert in erster Linie jene TeilnehmerInnen an der Europäischen Union, von denen der griechische Griecherer unter den verschiedensten Titeln die Perpetuierung eines schlechten, ineffizienten und vertrottelten Staatswesens durch anhaltende Geldeinschüsse auf Nimmerwiedersehen fordert. So haben wir das nicht gemeint, meine Damen und Herren, oder ums mal auf Deutsch und deutlich zu sagen: Die Zeiten, da Griechenland ad libitum unterstützt wurde, weil es als letztes Bollwerk gegen die Osmanen-Türken galt, sind seit nunmehr vierundzwanzig Stunden vorbei.

Ach, Roman, was würdest du machen mit dem schönen Griechenland! – Zunächst, nehme ich an, würde König Roman die Amazonen-Leibwache von Oberst Gaddhaffi preiswert übernehmen; selbige würden dann als erste Maßnahme sämtliche Staatsbüros von arbeitslosen Beschäftigten reinigen. Diese Beschäftigten hätten Anspruch auf eine Mindestrente in der Form eines existenzsichernden Grundeinkommens, das versteht sich von selber, aber nicht auf mehr. Und dann würden die Touristenorte gepiesackt: Die müssten endlich ihre Steuern bezahlen! Das gleiche gilt für die Reichen, die darauf allesamt auswandern würden; das ist übrigens eine schöne argumentative Schlaufe der internationalen versammelten reichen Säcke: Wenn wir Steuern bezahlen müssen, wandern wir aus!, und wenn man sich das genau überlegt, dann kommts exakt auf das gleiche heraus, bloß die moralische Hygiene ist besser oder schlechter. Sie würden also emigrieren, vermutlich in die Schweiz, welche sich gegen diese Sorte von Steuerflüchtlingen noch nie fremdenfeindlich gezeigt hat, aber das Land Griechenland wäre endlich diesen Ballast los und würde als echter Freistaat über den Balkan schweben. Athen würde innerhalb von Rekordzeit von allen Automobilen gesäubert, mit Ausnahme natürlich der Taxis und der öffentlichen Autobusse; nach Genf, Stockholm, Bordeaux und weiteren wichtigen europäischen Städten würde auch in Athen ein funktionierendes und flächendeckendes Straßenbahnnetz eingerichtet. Und dann könnte man zum Beispiel eine Post aufbauen! Die Schienenverbindungen durch das ganze Land instand stellen bzw. überhaupt aufbauen und ans internationale Schienennetz anbinden. Man könnte das Spitalwesen sanieren, zusammen mit dem gesamten Gesundheitswesen, das im Moment wohl hauptsächlich aus Kräuterschnaps besteht. Allerdings leben die Griechinnen und Griechen dank der mediterranen Küche relativ gesund. Die habens überhaupt schön in ihren Dörfern, diese Typen, also lasst sie doch in Ruhe. Vielleicht handelt es sich bei Griechenland sowieso um einen extra¬terri¬torialen und sowieso extratemporalen Raum, über den auch ich mich nicht aufhalten sollte.

Ich war persönlich noch nie da, ich wurde immer in Italien aufgehalten. Dort bewegt sich die Zeit auch gemäß eigenen Gesetzen, aber hier gibt’s immer wieder vereinzelte Figuren, welche etwas auf der Platte haben; so las ich letzte Woche einen Spruch des gescheiterten Regierungschefs Romano Prodi, wonach sich nämlich die Mischung aus Reichtum und Dummheit gerade mal eine Generation halten könne, und wenn ich das auf die gegenwärtige Steuer- und Ausländerdebatte in der Schweiz anwende, dann müsste ich unserer Alpenrepublik für das Jahr 2050 die allerdüstersten Prognosen stellen, ganz im Gegensatz zu Euch Deutschen, die Ihr die Dummheit nie wieder aufkommen lässt.
Als nicht besonders dumm gilt Niall Ferguson, der zu jener Sorte Menschen gehört, welche die imperialistische und koloniale Vergangenheit der westlichen Länder in ein freundlicheres Licht rückt, als dies die meistens eher schuldbewusste Geschichtsschreibung tut. Ohne die Kolonialisierung wäre die Entwicklung in den meisten Ländern nicht besser verlaufen als mit, sagt er und stellt sich damit in eine wunderbare Opposition zu Eduardo Galeano, der mit «Die offenen Adern Lateinamerikas» mehr oder weniger das große Schuldenregister von Europa geschrieben hat. Allerdings sticht ins Auge, dass die beiden eigentlich von zwei verschiedenen Lagern schreiben, nämlich vom englischen Empire der Schotte Ferguson und vom spanischen Kolonialismus der Latino Galeano, wobei die Vereinigten Staaten von Amerika in jedem Fall eine glückliche Quintessenz der beiden darstellen und auch in Lateinamerika eine Präsenz entwickelt haben, die weit über das spanische Erbe hinaus reicht. Trotzdem gilt für Lateinamerika genau gleich wie für Indien, dass zum Beispiel die Eisenbahnlinien nach den ersten kolonial-imperialistischen Grundlagen um keinen Millimeter weiter entwickelt wurden; auch in Afrika gibt es in dieser Beziehung nur gerade ein paar Ansätze der Volksrepublik China zu verzeichnen. Ferguson ist natürlich ein klassischer Apologet des westlichen Fortschrittsglaubens, aber ich sehe darin noch keinen Grund, ihn abzulehnen; wenn es nämlich eine autochthone Staats- und Gesellschafts¬entwicklung gäbe jenseits des kolonialen und imperialistischen Erbes, dann hätten die Staaten Afrikas mindestens in den letzten zwanzig Jahren Ansätze dazu ausbilden müssen, und dies war nicht der Fall, ganz unabhängig von der Verflechtung der Eliten mit den Interessen multinationaler Konzerne. In Brasilien fand eine solche Entwicklung statt, aber die war wohl ebenso wenig autochthon wie jede andere; sie war, wie jede andere auch, rein sozialdemokratisch, und sie wird zur höheren Reife gelangen, wenn die reichen Säcke auch dort gezwungen werden, Steuern zu bezahlen.






Albert Jörimann

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Albert Jörimann
16.05.2011

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