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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "General Electric"

[14. Kalenderwoche]
Im Kulturbeutel sollten eigentlich neben den Artikeln für die Körperhygiene noch weitere grund¬legende Dinge für das bürgerliche Leben stecken.



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Gesetzt der Fall, ein solcher Kulturbeutel enthielte auch eine Tiefkühlabteilung, könnte man zum Beispiel eine Notration Spinat auf sich führen. In der Regel geht es aber nur um unverderbliche Güter; unverzichtbar für den modernen Menschen ist heute zum Beispiel ein Mobiltelefon, das denn auch locker Platz hätte im Kulturbeutel, ja, vielmehr erscheint der Kulturbeutel geradezu geschaffen für ein Mobiltelefon und nicht etwa für Zahnpasta und Zahnseide. Wenn man konsequent wäre, würde man auch Wörterbücher mit den obligatorischen Grundbegriffen in allen Sprachen mit sich führen und hier selbstverständlich zuvörderst in der eigenen. Bei einem konservativen US-Ökonomen hätte ein solches Wörterbuch nur gerade eine Seite für einen Begriff: Steuern. Seit Ronald Reagan kommt alles Leid der Wirtschaftswelt vom Steueramt. Seit Ronald Reagan hauen die Republikaner die Steuern für die reichen Säcke herunter und finanzieren unglaubliche Staatsaufträge für die Großunternehmen mit Staatsschulden. Nach den Verheerungen aus der Regierung von Wilhelm Busch mit der idealen Konjunktion eines Erdölkrieges mit der gigantischen Finanzkrise müht sich sein demokratischer Nachfolger Barack Obama am Schuldenberg ab, während die republikanischen Verursacher des Desasters umso schriller gegen die Steuerbelastung und natürlich gegen den Zentralstaat wettern; in einigen Bundesstaaten planen die Regierungen sogar die Einführung eigener Dollar-Standards, die durch Edelmetallbestände gedeckt sind. Dabei muss sogar ich einräumen, dass ich solche Bemühungen angesichts der wirklich immensen Verschuldung sogar begreife; auf ihre Art unternehmen diese Bundesstaaten nichts anderes als jene Gebiete in Deutschland, die ein eigenes Regionalgeld einführen. Aber das führt zu weit. Hier will ich noch ergänzen, dass der Konzern General Electric auf seinem Gewinn von 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 nicht einen müden Cent an Bundessteuern entrichtete. Dies ist laut dem Unternehmen dem Umstand zuzuschreiben, dass es im Vorjahr Verluste von über 30 Milliarden US-Dollars schrieb, die offensichtlich nicht auf die laufende Rechnung 2010 übertragen wurden, sondern vom Gewinn noch abzuziehen sind. Aus diesem Grund erhielt General Electric denn für 2010 auch eine Steuerrückerstattung von 3.2 Milliarden US-Dollar. Damit wurden umgehend 90% Aktien des französischen Energiekonzerns Converteam Group SAS erworben, wobei umgehend heißt: Der Deal wird formell im 3. Quartal dieses Jahres über die Bühne gehen.

Das Wall Street Journal rechnet nach oder vor, wie man als Selbständigerwerbender ein Jahreseinkommen von 150'000 US-Dollar porentief von Steuern reinigen kann. Voraussetzung ist dabei die Neugründung, denn dafür kann man bereits 10'000 Dollar abschreiben – in den Folgejahren sind es nur noch 5000 US-Dollar. Das Wall Street Journal nimmt hier einen Durchschnittswert von 7000 Dollar. Dann kommen Geschäftsaufwendungen von 10'000 Dollar für Reisen, Computer und so weiter. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge für Krankenkassen und Sozialversicherungen sind zur Hälfte absetzbar, das sind 9500 Dollar. Da bleiben zunächst mal 123'500 Mücken. Jetzt geht’s zur privaten beruflichen Vorsorge gemäß Art. 401 (k): Hier kann man 43'100 Dollar in einen Anlagefonds einspeisen. Weitere 10'000 Dollar gehen weg für die private Altersvorsorge, je 5000 Dollar für den Betroffenen und für die Ehefrau; bleiben knapp 70'000 Dollar. Anschließend kann man die Steuern für den Bundesstaat und für die Kommunen abziehen, Größenordnung weitere 10'000 Dollar; die Anteile für Hypothekarzinsen, erneut 10'000 Piepen; dann geht’s weiter mit Krankenkassen-Zusatzversicherungen, für eine Familie etwas über 6000 Dollar, wenn es sich um eine Krankenkassen-Kapitalsparversicherung handelt, deren Kapitalerträge oder Wertzuwachs von der Steuer nicht erfasst werden, plus 10'000 Dollar an normalen Prämien, und der Steuerpflichtige ist bei 34'000 Dollar. Weiter abzugsfähig sind Zinsen für frühere Studiendarlehen bis zu 2500 Dollar sowie 4000 Dollar an Studiengebühren für die Kinder; dann kommen persönliche Steuerfreibeträge dazu für den Steuerpflichtigen, den Ehepartner und Kinder, was mit einem Kind zusammen rund 11'000 Dollar ergibt, und damit sind wir bei einem steuerbaren Einkommen von unter 17'000 Dollar. Und jetzt kommen noch die Steuergutschriften aus einem System, das in Kontinentaleuropa nicht bekannt ist, Abschreibungen usw.; schließlich gibt es noch Abzüge für Weiterbildungs- und Schulungsmaßnahmen im Umfang von 20% der effektiven Kosten, maximal 2000 Dollar, sodass wir auf null Steuern angelangt sind. Wie das Wall Street Journal schreibt: Damit hast du einen General Electric gezogen.

Das ist natürlich ein hypothetisches Beispiel, und sowieso ist es das gute Recht aller Menschen, ihre Steuern zu minimieren; die Politik hat dafür zu sorgen, dass die legalen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, und das funktioniert nicht nur in den USA ganz ausgezeichnet. Nicht hypothetisch dagegen ist der absolute Antisteuer-Furor, welcher einerseits die US-amerikanische Antistaats-Bewegung und anderseits mindestens in der Schweiz gewisse Wirtschaftswissenschaftler und Kommentatoren erfasst hat. Der wichtigste Schritt dabei erscheint mir jener, dass sämtliche Gelder, die nicht innerhalb des freien Marktes zirkulieren, als Steuern bezeichnet werden, also eben auch Sozialversicherungsbeiträge, Bußen, Zölle usw. usf., das macht das Denken etwas einfacher und eben auch das Wörterbuch klein, sodass es in einen Kulturbeutel passt.

Ich gehe mal davon aus, dass diese Vögel, mindestens soweit es sich um studierte Ökonomen handelt, bewusst provozieren und in Ideologie und Politik machen in der Absicht, der expansiven Tendenz des Staatswesens entgegen zu treten, was sich offenbar in der aktuellen Situation nicht mit einem objektiven und neutralen Beitrag erledigen lässt, sondern nur mit einem, leider wahrheitswidrigen, aber immerhin polemischen und eben politisch-ideologischen. Und dass der Staat eine natürliche Tendenz zur Expansion hat, das lässt sich nun mal nicht bestreiten. Insofern vermag ich diesen studierten Herren sogar noch zu folgen, aber eben nur insofern. Schließlich ist die Expansionstendenz nicht eine Exklusivität des bürgerlichen oder auch Sozialstaates, sondern es handelt sich um ein universales Prinzip, das wir auch in kleineren Einheiten verfolgen können wie zum Beispiel bei General Electric. Nun sind wir natürlich erwachsen genug, um nicht in Erstaunen darüber auszubrechen, wieso die gleichen bürgerlichen Ökonomen kein Zeter und Mordio schreien gegen die Expansionstendenzen bei immer größer werdenden Unternehmen – denn, meiner Treu, die Grundregel ist exakt die selbe, und wenn auch der Staat mehr oder weniger die Exekutivgewalt der Allgemeinheit darstellt, so spielen Großkonzerne eben mit zunehmender Größe ebenfalls eine recht wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, sowieso als Arbeitgeber, aber auch mit ihren Steuergeldern, sofern sie welche bezahlen, vor allem aber mit ihrer so genannten Lobbyarbeit, auf Deutsch: mit der legalen Bestechung von Politikern und leitenden Staatsbeamten.

Die erwähnten bürgerlichen Ökonomen bilden in Europa außerhalb der Schweiz wohl eine Minderheit, und dies mit gutem Grund, denn dass der Staat zahllose Gebiete zur Verfügung stellt, auf denen sich die radikal freie Marktwirtschaft überhaupt erst entfalten kann, dass also der Staat nichts anderes als eine tragende Voraussetzung und auch die letzte Versicherung dieser freien Marktwirtschaft bildet, das ist so sicher wie der Schaum auf der Krone. Nehmen wir doch mal General Electric: Deren Finanzabteilung GE Capital erhielt vor drei Jahren wie mehrere andere Institutionen staatliche Schuldengarantien, welche ihr das Überleben in der Finanzkrise überhaupt ermöglichten. Und etwas aktueller: GE ist unter anderem ein Lieferant für die Kraftwerke in Fukushima; und in Fukushima gehen sämtliche Folgekosten weder auf die Rechnung des AKW-Betreibers Tepco noch auf jene von General Electric, sondern zu einem kleinen Teil auf jene der Rückversicherer und zum großen Teil zulasten des ganzen Landes, finanziell vertreten durch den Staat. – Das ist ja auch in Europa bzw. mindestens in der Schweiz eine Eigenart in diesem Energiegeschäft: Unsere AKWs sind versichert und rückversichert bis zu einer allfälligen Schadenshöhe von etwa 250 Mio. Franken; wenn aber so ein Ding in die Luft fliegt, fallen das zehn-, hundert- oder tausendfache an Schäden an, für welche die freie Marktwirtschaft wohl kaum einen Reservefonds geäufnet hat.

All dies wissen die kläffenden Ökonomen, mindestens in der Schweiz, ganz genau, wenn sie gegen den Staat und natürlich vor allem gegen die Sozialversicherungen wettern. Eben: Es handelt sich um ideologisch/politische Arbeit, die mit Wissenschaft und somit auch mit Ökonomie überhaupt nichts mehr zu tun hat. Der kapitalistischen Wirtschaftsordnung selber ist es nämlich absolut egal, ob sie mit einer Staatsquote von 30%, 50% oder 70% funktioniert, Hauptsache, sie funktioniert; dabei setzen hohe Staatsquoten eigentlich nur eines voraus, nämlich eine relativ dichte Verflechtung der wirtschaftlichen und der politischen Führung. Dann kann man auch mit sehr hohen und sogar sozialen staatlichen Anteilen durchaus Kapitalismus spielen, wie es die skandinavischen Länder seit Jahr und Tag belegen. Man kanns aber auch anders machen wie z.B. in den USA, wo sich ein ansehnlicher Teil auch der einfachen Bevölkerung fast zerreißt vor Ärger, nur schon wenn ein Krankenkassen-Obligatorium eingeführt wird. Aber in dieses verwirrte und verwirrende Land sollte man vielleicht gar nicht allzu sehr versuchen, analytisch einzudringen.

Daneben habe ich erfahren, dass es die berühmte Webseite «Fuck my Life» jetzt endlich auch auf Deutsch gibt unter de.fmylife.com. Ich bin eigentlich kein besonderer Fan der ungelenken Publikation der Missgeschicke des Alltags, aber manchmal kann einen so was durchaus erheitern. Am 31. März meint da FML: «Heute hat sich mein Freund nach einem Jahr von mir getrennt. Er meinte, er hätte nie Gefühle für mich gehabt.» Es muss sich um einen Berufs-Pechvogel handeln. Tags danach geschieht ihm folgendes: «Heute habe ich einen Freund auf der Straße gesehen. Er sah mich nicht, und ich rief ihn kurz an. Er nahm sein Handy aus der Hosentasche, schaute aufs Display, seufzte und ging nicht ran.» – Immerhin war FML da schon auf Seufznähe am Freund dran, anstelle eines Anrufs hätte es ein kurzer Ruf auch getan; war aber vielleicht als Scherz gedacht. Aber FML hat auch einen Hund: «Heute war ich mit dem Hund Gassi. Ich versuchte, ihn zum Pinkeln zu animieren, doch leider vergebens. Als wir zurück zum Haus liefen, unterhielt ich mich noch mit einem Nachbarn. Im Gespräch bemerkte ich, dass mir mein Hund auf die Schuhe pisste.» Das ist vom 2. April, und ebenso der nächste: «Heute musste ich Fernseher in einem Krankenhaus installieren. Ich klopfte an die Zimmertür eines Patienten, und eine weibliche Stimme sagte herein. Ich ging rein, und eine ca. 80-jährige Frau stand splitternackt vor mir. Sie wurde wütend, als ich zögerte, ihr beim Anziehen zu helfen.» – Ja, das ist dann halt schon sehr lustig. Sehr erfreulich aber ist auch die Bewertung der Beiträge. Auf Facebook kann man in der Regel auswählen zwischen «gefällt mir» und «gefällt mir nicht»; hier heißen die zwei Varianten «Ja, das ist scheiße» oder aber «Du hast es voll verdient!» – Und bei der Geschichte mit der nackigen 80-Jährigen finden 7 Voter, dass FML es voll verdient hätte, während 51 Voter es scheiße finden. Beim Hund, der FML auf die Schuhe pisst, ist das Verhältnis dagegen 30 Scheiße zu 15 Verdient, und beim Freund, der nach einem Jahr nie Gefühle gehabt hatte, beträgt die Quote 92 Scheiße zu 16 verdient.

Naja: FML steht wohl nicht für eine spezifische Person, sondern halt einfach für Fuck my Life.

Wieso erzähle ich Euch das alles überhaupt? – Das ist mir gerade entfallen. Ich wünsche aber dennoch einen schönen Tag.





Albert Jörimann

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Albert Jörimann
04.04.2011

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