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Der Obamamat

Die großen Börsen- und Finanzmarktplätze laufen wieder rund.

Wieder einmal hat Barack Obama Großes vor. Und erneut können wir uns sicher sein, daß am Ende nur Kleines dabei herauskommt. Der US-Präsident plant unter dem innenpolitischen Druck schmerzlicher Niederlagen bei Senatorenwahlen einen radikalen Schnitt quer durch die Finanzwelt. Die hochspekulativen Anteile des Investmentbankings sollen in Zukunft vom klassischen Bankkundengeschäft getrennt werden. Zur Folge hätte das faktisch die Zerschlagung der amerikanischen Großbanken. Geldhäuser, die fortan nur noch das klassische Geschäft mit den Einlagen ihrer Kunden betreiben würden, könnten nur noch eher moderate Gewinne erwirtschaften, durch den dann gesetzlich verordneten Wegfall ihres sogenannten Eigenhandels, also riskanter Investitionsgeschäfte, Derivatgeschäfte oder der Beteiligung an Hedgefonds. Ließen sie sich darauf ein, wären Riesen wie Goldman-Sachs plötzlich biedere Unternehmen wie die deutschen Sparkassen, aber eben auch ähnlich solide, könnte man meinen. Gleichzeitig, so der Plan Obamas und seiner Berater, dürften die Finanzprodukte im Investmentgeschäft, die in ihrer Unüberschaubarkeit das drohende Platzen der letzten Blase für die meisten Beteiligten solange verschleiert haben, weiter gehandelt werden. Allerdings unabhängig vom Kundengeschäft, d.h. ohne das Geld der klassischen Bankkunden. Und da dieses Geld den Investmentbankern dann fehlt, würden Umfang und Gewinne dieser Risikogeschäfte ebenfalls deutlich schrumpfen.
Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet Obamas Vorhaben nichts weniger als den kühnen Versuch den Kapitalismus wieder stärker oder überhaupt in einen staatlichen Griff zu bekommen. Doch genau in diesem Ziel liegt letztlich auch der Trugschluß. Das notwendige Scheitern des Unterfangens läßt sich im Wesentlichen auf zwei Ebenen beschreiben: einer grundlegenden Ebene der Systemlogik der globalen Marktwirtschaft und in Abhängigkeit davon auf einer realpolitischen.
Auf der realpolitischen Ebene werden derart geplante Eingriffe in die Funktionsweise der Wall Street bereits scheitern bevor sie überhaupt als Gesetze wirksam werden können. Glaubt man dem Spiegel, haben die US-amerikanischen Kreditinstitute allein im Krisenjahr 2009 nicht weniger als $ 340 Mio. an Spenden- und Lobbygeldern in Richtung Washington fließen lassen um damit jegliche Regulationsbemühungen von Anfang an zu verwässern und aufzulösen. Und selbst wenn die Regierung Obama nicht nur hoch pokern sondern auch noch gewinnen würde, stellt sich dann das Problem, daß Gesetze, die lediglich die Finanzmärkte eines Nationalstaates regulieren, unter den längst globalisierten Märkten hindurch ins Leere laufen. Die Folge wäre die Abwanderung großer Kapitalmassen von amerikanischem Boden an Plätze dieser Welt, die schlicht weniger eingeschränkt und reglementiert sind. Die Konsequenzen für die amerikanische Realwirtschaft, also die warenproduzierende, allein wertschöpfende Industrie, die schon längst nur noch in vollständiger Abhängigkeit von den Krediten der Geldinstitute existieren kann, muß man niemandem mehr erklären.
Nun ist es natürlich immernoch so, daß ein Vorstoß aus Washington zumindest in Europa eine gewisse Signalwirkung in den jeweiligen Regierungskreisen erzeugt. Aber selbst wenn Europa Obama uneingeschränkt folgen würde: Sollten solche Gesetzesvorschläge auf einer G-20-Ebene diskutiert werden, muß man sich deren letztendlichen Verwässerungsgrad gar nicht erst vorstellen, angesichts der dann noch einmal vervielfachten Einflußnahme unterschiedlichster Lobby-Interessen. Der Weltklimagipfel läßt grüßen.
Die letzten Ursachen hierfür sind jedoch nicht in schlechten und böswilligen Charakteren einflußreicher Lobbyisten aus der Wirtschafts- und Finazwelt zu suchen. Schließlich exekutieren alle Ackermanns dieser Welt, genauso wie jeder sonst unter uns lediglich eine Entscheidung, die wir nicht selbst treffen, sondern die schon vor dem ersten bewußten Gedanken, schon vor dem ersten Handschlag getroffen ist: Es ist die Entscheidung eines Subjekts, das uns alle letztlich zu Objekten macht. Marx nannte es im Kapital das automatische Subjekt, weil es sich dabei nicht um ein bewußtes, denkendes und greifbares Wesen handelt. Gemeint ist das Bewegungsgesetz des Kapitals: Am Anfang steht das Geld, als Vorschuß für die Produktion einer Ware, die verkauft werden soll mit dem einzigen Ziel am Ende der Bewegung aus dem anfänglichen Geld mehr Geld gemacht zu haben. Nur ist die Bewegung hier eigentlich nicht zuende, sondern läuft weiter, setzt erneut ein, mit dem Mehr an Geld auf neuer Stufe. Geld ist demnach nicht Medium, wie es uns unser Alltag ständig vorgaukelt, Geld ist Zweck. Und so wie dieses Gesetz uns zu Objekten macht, so vertauscht es Mittel und Zweck. Gemeinsam mit dem Konkurrenzprinzip, das zwischen allen Warenproduzenten auf den Märkten herrscht, erzeugt es einen unumkehrbaren Expansionsdrang. Marx beschrieb vor 150 Jahren die Ursache für diesen Drang anhand des Begriffs des tendenziellen Falls der Profitrate. Seine Analyse kommt zu dem Schluß, daß nur eine immer weiter gesteigerte und beschleunigte Massenproduktion von Waren überhaupt die Möglichkeit von Profit auf längere Sicht erhält.
Auch wenn ein solcher Radiokommentar vergleichsweise ungeeignet ist in analytische Tiefen zu tauchen, eines läßt sich aus heutiger Sicht mit Sicherheit sagen: Der Verlauf der Geschichte gibt Marx recht. Und das müssten spätestens jetzt auch die Ökonomieakademiker einsehen, die ihn der philosophischen Spinnerei bezichtigt und seine Begriffe und Kategorien aus der modernen Volks- und Betriebswirtschaftslehre verdrängt haben. Allen voran die Wirtschaftsforschungsinstitute, die mit ihren Denk- und Rechenmodellen an der gegenwärtigen Krise gescheitert sind und sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben haben.
Das Problem an der unumkehrbaren Expansion kapitalistischen Wirtschaftens für uns: Sie hat Grenzen: eine natürliche Ressourcengrenze, eine Konsum- oder Sättigungsgrenze derer, die noch zahlen könnten, vorallem aber eine logische Grenze, die dem Wesen des Kapitals von Beginn an innewohnte.


Kommentar: Der Obamamat




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Hagen
05.02.2010

Kommentare

  1. Hier wird sicher ein Problem nicht nur Obamas, sondern unserer Zeit ohne ideologischen "Scheuklappen" angesprochen. Natürlich ist ein Rundfunkbeitrag kein Ort für eine erschöpfende Betrachtung dieser Materie, der vom Autor eingeschlagene Weg nötigt aber Respekt ab!

    J. Schulz - 05.02.2010, 20:00