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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Librum Libra

Eins vorweg: Ich hatte unsere Kollegen von rechtsaußen bisher immer für beschränkt und humorfrei gehalten, gerade mal fähig zum in der Masse herumbrüllen und einer besonderen Form der Bierzelt-Innigkeit zu frönen, nämlich besoffen Nazi-Parolen zu skandieren. Umso größer war meine Überraschung, als ich zum ersten Mal das Wort vom «Staatsstreichorchester» vernahm.



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> Download Zwar ist der Anlass nicht besonders erfreulich, indem unter diesem Absender Morddrohungen an ganz unterschiedliche Menschen versandt werden; aber die Kreation selber enthält eindeutig Elemente von Witz. Muss ich mein Weltbild korrigieren? Das «Staatsstreichorchester», um es allfälligen Zuhörerinnen von rechts auseinander zu dröseln, enthält einerseits den Begriff des Staatsstreichs und anderseits den Begriff des Streichorchesters, zu solchen Wortschöpfungen sind ausschließlich Leute mit einem gewissen Bildungsniveau und mit einer Mindestportion an Selbstironie fähig, was eigentlich die gesamte rechtsnationale und rechtsextreme Szene zum Vornherein ausschließt.

Davon einmal abgesehen möchte ich die gleichen Leute von rechtsaußen bittschön noch darauf hinweisen, dass sie ihre eigenen politischen Vertreterinnen und Vertreter, namentlich vom legalen oder legalistischen Arm in der NPD oder der AfD, akut in Gefahr bringen. Es scheint mir absolut ausgeschlossen, dass die politische extreme Linke es tatenlos hinnimmt, wenn die extremen Rechtsnationalisten beginnen, unter dem höhnischen Applaus eines rechtsextremen Publikums bis hinein in die AfD irgendwelche normale Politikerinnen niederzumähen. Es wird nicht lange dauern, bis auch Figuren wie Sven Höcke oder Frau von Storch Personenschutz beantragen müssen, weil sie sonst plötzlich ein Loch im Kopf haben. Das mag ja eine Absicht sein, die in der Bezeichnung Staatsstreich mitschwingt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die führenden Rechts­extre­men den Staatsstreich so vorstellen, dass sie dabei als erste ins Gras beißen. Leitet meine Warnung an sie weiter, vielen Dank.

Sprechen wir von etwas anderem. Vor zehn Jahren oder so hatte ich der Facebook-Aktie nach dem Börsengang des Unternehmens eine düstere Zukunft prophezeit. Ich konnte mir damals schlicht nicht vorstellen, was aus diesem Teil werden sollte, ähnlich wie weitere zehn Jahre früher die Erfindung des iPhone meine Phantasie schlicht überfordert hatte. So ist das halt, wenn man sich für durchschnittlich kreativ hält und die reale Welt einem einen Streich spielt, beziehungsweise in dem Fall gleich mehrere, und es geht munter weiter damit. Vom Prinzip der Blockchain-Währung hatte ich soviel verstanden, dass sie fälschungssicher sei, transparent und fortlaufend neu geschöpft werde durch irgendwelche beliebigen PC, aber dass ein netter Teil des Publikums so etwas in der Praxis anwendet, und zwar nicht als Währung, sondern als Spekulationsgut, das überstieg meine Gehirnkapazitäten erneut, na, überstieg vielleicht nicht gerade, da wurden sie wohl eher seitwärts umgangen, aber immerhin. Mein Grundsatz lautete bis dahin und lautet eigentlich weiter, dass eine Währung der Zirkulation von Gütern dient, zum Teil der Projektfinanzierung und seit Ronald Reagan auch als zertifizierte Spekulationsblase für die Finanzindustrie; aber kann ich eine Krypto-Einheit wirklich als Währung verwenden, die alle paar Wochen ihren Kurs verdoppelt oder halbiert? Das ist ja dann nicht einfach Geld, sondern gleichzeitig ein Spekulationspapier, und deren ihr Nutzen hält sich in gewissen Grenzen, nach meinem Verständnis, aber auf dieses ist auch nicht immer Verlass, wie man sieht.

Und nun schickt sich Facebook an, eine eigene Währung für die Transaktionen im eigenen Netz zu schaffen. Eine eigene Bank, das hatten schon verschiedene Großunternehmen, zum Beispiel General Electric oder in der Automobilindustrie. Aber geradewegs eine eigene Währung –? Kryptisch soll sie sein, also auf Blockchain-Technologie beruhen, und gleichzeitig durch konventionelle Währungen gedeckt sein, jedenfalls wird sie nicht von den Facebook-Benutzerinnen geschöpft. Trotzdem plant unser aller Gesichtsbuch, nicht nur die Geldflüsse in seine eigenen Gefässe zu leiten – und anschließend auch wieder daraus hinaus, versteht sich –, sondern sie während der Dauer ihres Aufenthaltes in eine eigene Währung umzuwandeln. Und das wird ja schon eine gewisse Bedeutung haben. Das ist so, wie wenn die Postbank die bei ihr lagernden Kundinnengelder als Postonzos ausweisen würde. Allerdings könnte sich für Facebook der Nutzen ergeben, dass sie keine Devisenumwandlung vornehmen muss, da das Libra zum Vornherein ein Devisenkalkulat darstellt.

Daneben denkt der Laie aber vor allem daran, dass Facebook mit der Übernahme der Geldtransaktionen zu kurzfristigen, immer wieder erneuerten Darlehen kommt, von denen ein Sockel bei Facebook bleibt, was will man annehmen: vielleicht 100 Milliarden Euro kommt nach fünf Jahren, 1 Billiarde nach zehn Jahren? Das wäre dann ja nicht so besonders wenig und würde dem Libra als Weltwährung tatsächlich auf Anhieb eine eigene kritische Masse verleihen. Und wie reagieren die offiziellen Währungs-Herausgeberinnen auf so etwas? Die EZB und das Fed in erster Linie? Was tut Facebook mit seiner Billiarde Anlagevermögen? Kauft es sich vielleicht die Niederlande? Oder Irland?

In den Kommentaren zum Projekt war oft von Hybris oder Hype die Rede. Davon mal abgesehen leistet das Libra durchaus irgendeinen Beitrag zur Auflösung des Nationalstaates, Grenzen fallen, der Welthandel für die kleinen Leute wird gebührenfreie Realität und so weiter und so fort. Auf der anderen Seite wird der Nationalstaat ersetzt durch Facebook. Das ist natürlich groß gedacht und mutet schon fast perfekt an – Facebook überholt die Kommunistische Partei Chinas mit ihrer Totalüberwachung dank der freiwilligen Beteiligung seiner Mitglieder. Übrigens funktioniert die Totalüberwachung in China selbstverständlich ebenfalls nur dank dem Einverständnis einer breiten Mehrheit von sich brav verhaltenden Bürgerinnen und Bürger.

Was kann daraus werden? – Vielleicht ist Facebook in fünf Jahren kapitaltechnisch einfach drei Mal so groß wie die anderen Player im Digitalgeschäft, also Google, Apple und Amazon; es gibt aber mit Sicherheit eine Grenze, wo das Unternehmen so viel Einfluss in der Politik gewinnt, egal, ob direkt oder indirekt, dass diese versuchen wird, das Unternehmen klein zu machen. Das haben die G20 mit Sicherheit so verstanden, und wenn auch nicht mit unmittelbaren Reaktionen zu rechnen ist, eine Antwort werden sie sich schon ausmalen, die guten Teilnehmenden an der Weltregierung. Vielleicht, und das wäre dann der definitive letzte Dreh, kommt der Nationalismus auf dem Weg der Zerschlagung von Weltmonopolen wie eben Facebook und Konsorten wieder aufs Tapet und hat auf dieser Ebene dann sogar noch eine freiheitliche Dimension, wie man schon jetzt bestätigen muss, wenn auch ungern.

Ein Detail aber brachte mich ziemlich furchtbar zum Lachen. Wo wird diese neue Währung angesiedelt, und welche Rechtsform steht zur Debatte? Es handelt sich um eine Organisation mit Sitz in Genf, und wenn ich auch schon von einer Stiftung munkeln gehört habe, so sprachen doch die meisten Quellen zunächst von einem Verein nach Schweizer Recht. Vermutlich inklusive komplette Steuerbefreiung, denn eine Währung zu betreiben ist ja nicht an und für sich gewinnorientiert, nicht wahr. Ihr kennt die beiden berühmten Vorbilder sicher: In Nyon beheimatet ist die als Verein organisierte und steuerbefreite UEFA, und in Zürich hat die als Verein organisierte und steuerbefreite FIFA ihren Sitz. Wirklich, eine ausgezeichnete Nase in dieser Beziehung muss man dem Zuckerberg schon attestieren.

A propos Zucker: Vor der Sommerpause haben sich die deutschen Spaßmacher in den öffentlichen Medien einmal mehr über die deutsche Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner lustig gemacht, weil die sich tatsächlich nicht entblödet hat, einen Werbespot für Nestlé zu drehen, in dem sie deren Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch in aller Öffentlichkeit dafür lobte, dass Nestlé in Zukunft den Zucker-Anteil in seinen wichtigsten Produkten reduzieren will. Dass man so etwas einfach nicht macht als amtierende Ministerin, sollte ihr die Kommunikationsabteilung ihres Ministeriums oder überhaupt der Bundesregierung eigentlich früher mal beigebracht haben, aber wenn sie's halt nicht halten oder behalten kann, was will man machen. Dann halt auch von dieser Stelle her noch einmal: So etwas kannst du nachher machen, Julia, nimm dir die Brühwurst Barroso als Beispiel, die versucht bei Goldman Sachs jetzt Knete zu machen, darf aber, wenn es mir recht ist, nicht mal mehr mit einem Lobbyistenpass ins EU-Ratsgebäude, sondern muss ihre Kontakte außerhalb des Gebäudes spielen lassen. Auf jeden Fall: Nachher, Julia! Du kannst bei Nestlé Deutschland stellvertretende Kommunikationsverantwortliche werden oder vielleicht Beraterin oder so etwas, falls dir die Bundesregierung nicht die Nachfolge von Pofalla im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn anbietet, aber wie auch immer und auf jeden Fall und vor allem: NACHHER! Während deiner aktiven Zeit im Ministerium solltest du dich vor solchen Dingen hüten. – Mit großem Genuss zog logischerweise über Frau Klöckner her, was dazu eine Lizenz hatte. Nur etwas habe ich bei dieser ganzen Geschichte vermisst. Nämlich mag alles stimmen, was man Nestlé vorwirft, vielleicht sogar noch etwas mehr, ich weiß es nicht, aber ich bin zum Vornherein geneigt, es zu glauben, und dann gehe ich persönlich in den nächsten Laden und kaufe eine Stalden-Caramelcrème von Nestlé, weil ich die nämlich sehr gerne mag, aber das tut ja nichts zur Sache. Was ich vermisst habe, ist etwas anderes. Nämlich werfen sich die deutschen Spaßmacher zu Richtern auf darüber, wie Nestlé die deutsche und überhaupt die europäische und die globale Jugend mit zu viel Fett, Salz und eben Zucker vollstopft auch nach dieser großartig angekündigten PR-Offensive, welche am Fett-, Salz- und Zuckergehalt praktisch überhaupt nichts ändert. Das ist in Ordnung, der Spaßmacher ist eine moralische Instanz und hat insofern nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich als Richter aufzuspielen. Aber, ahaber: Wenn ich so vor meinem Fernseher sitze, was sehe ich da immer omnipräsenter: Es sind nicht Werbespots für Nestlé, sondern es sind Werbespots einer Marke, die sich gerade heraus «Kinder» nennt. Kinder-Schokolade, Kinder-Überraschung, Kinder-Pingu, also wenn jemand direktemang ins Fadenkreuz der Ziel-Konsumentengruppe Kinder zielt mit Werbung für Fett, Salz und insonderheit Zucker, dann ist das die Firma Ferrero. Ferrero, der nebenbei auch noch ein beliebtes gesundes Frühstücksprodukt mit dem Namen Nutella gehört, das sie auch mit der ganzen Kraft ihrer Werbeabteilung vermarktet. Nutella – wenn etwas Zucker hat und Fett, dann ist es Nutella.

Hier waren die Kollegen von den Witz- und Spaßabteilungen in ZDF und ARD ungenau, und im Prinzip möchte man sich anschicken, über sie zu lachen anstelle von Julia Klöckner. Aber jetzt ist sowieso Sommerpause, und zudem braucht Nestlé vermutlich keinen Geleitschutz aus unabhängiger und neutraler Sicht.



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Albert Jörimann
25.06.2019

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