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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Griechenland entlassen

Als vor dreieinhalb Jahren die Syriza mit Premierminister Alexis Tsipras und Finanzminister Varoufakis Krach machte in Europa und ankündigte, dass sie die Kredite, welche die west­euro­pä­i­schen Banken den korrupten griechischen Vorgängerregierungen in den Arsch geschoben hatten, nicht zurückzahlen würde, da hielt man für einen Moment den Atem an.



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Der Kleine, der gegen den übermächtigen Großen kämpft, ist für uns zum Vornherein mal sympathisch, egal ob als David oder als Asterix. Und man begann, sich ernsthaft zu fragen, welche Voraussetzungen denn erfüllt sein müssten, damit das Unternehmen auch zu einem erfolgreichen Abschluss kommen würde. Ich selber habe an dieser Stelle oftmals von der roten Drachme gesprochen – denn dass der Beitritt Griechenlands zur Eurozone ein wirtschaftspolitischer Nonsense gewesen war, brauchte man niemandem mehr zu erklären, auch wenn sich die Finanzminister darüber eisern ausschwiegen. Sie wussten genau, dass die Rettungs­programme für Griechenland in der Substanz Rettungs­pro­gramme für die Banken waren, die in griechische Staatsanleihen investiert hatten und nun vor dem Szenario eines Defaults standen, wie er sich in Argentinien hin und wieder ereignet. Aber selbstverständlich wäre die Rote Drachme nur eines von mehreren Elementen gewesen, um das Land aus der wirt­schaftlichen und der Schuldenmisere heraus zu holen.

Bei den weiteren Elementen fehlten dann mir und offensichtlich auch der linken griechischen Regie­rung selber die erforderlichen Grundlagen, um ein zusammenhängendes Programm auf­zu­stellen. Im Nachhinein kann man spekulieren, dass eine Reihe von Verstaatlichungen hätte durch­geführt werden müssen, begleitet von einer Stärkung von Militär und Polizei zum Schutze dieser Verstaatlichungen; es hätte aber gleichzeitig einer tiefgreifenden Veränderung der Mentalität in der Verwaltung bedurft, ohne welche Verstaatlichungen in Griechenland keinen Sinn gehabt hätten und nach wie vor haben. Wenn man mal die Infrastrukturen, einschließlich der Häfen, im Griff gehabt hätte, wäre die Reihe an der Sicherung von Einkommen und Renten gewesen; dies wiederum hätte die Abschaffung von Kasten- und Verwandtschaftsprivilegien erfordert, was die Kräfte von David oder Asterix erneut stark strapaziert hätte. Die Landwirtschaft stelle ich mir zunächst als unpro­ble­ma­tisch vor; dagegen hätte eine Priorität bei der Sicherung von Investitionen im Industriesektor liegen müssen, und ebenfalls prioritär wäre die Frage der Besteuerung gewesen, welche wiederum eng an die Sicherung von Einkommen und Renten geknüpft ist zum einen, zum anderen aber an die allererste Priorität, welche ich von jeder Regierung vergebens fordere und welche die ultimative Voraussetzung ist dafür, dass ich jemals einen Fuß in dieses Land setze: die Einrichtung eines Grundbuches, in welchem der Land- und Immobilienbesitz korrekt ausgewiesen wird.

Wenn man sich das vergegenwärtigt, stellt man schnell fest, dass die Einführung der roten Drachme noch das geringste Problem gewesen wäre für die damalige Regierungsmannschaft. Zur Durch­set­zung aller Maßnahmen, welche über die Verstaatlichung hinaus gehen, hätte es einen tragbaren Kon­sens, nicht unbedingt Begeisterung, aber doch mindestens eine murrende Zustimmung zu jenen Reformen benötigt, welche auf die klientelistische Struktur des griechischen Filzes aus Staat und Gesellschaft abzielen und ein zeitgemäßes Gebilde hervorgebracht hätten. Davon habe ich in der ganzen Zeit nie etwas gesehen und gehört. Vielmehr schien der Krawall gegen die bösen inter­na­tio­nalen Institutionen genau jene Energien zu kanalisieren, die man eigentlich für die tatsächlichen inneren Reformen gebraucht hätte. Und daneben war man sich wohl einig, dass die Massen­de­mons­tra­tionen ein großes Theater war für das Publikum in den wirtschaftlichen Siegermächten, von wel­chen man sich auf die eine oder andere Art dann doch wieder die weitere Finanzierung des bishe­rigen Lebenswandels erhoffte.

Die man im übrigen während der ganzen Schuldenkrise durchaus auch erhielt; die EU-Fördertöpfe, soweit sie nicht die Staatsfinanzen direkt betrafen, blieben während der ganzen Zeit weit geöffnet und ließen eine neue Sparte an Klienten florieren, welche nun nicht mehr vom traditionellen Staats­filz, sondern eben vom neuen EU-Filz alimentiert wurde.

Dass es aber überhaupt soweit kommen konnte beziehungsweise dass die Europäische Zentralbank und die zuständigen politischen europäischen Gremien der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone überhaupt zustimmten auf der Grundlage von ganz offensichtlich gefälschten Angaben, Sta­tistiken und Dokumenten, das hatte dunnemals mit nichts anderem zu tun als mit der Türkei. Diese Grundspannung zwischen Europa und der Türkei erklärt zu großen Teilen die Gewissheit auf grie­chi­scher Seite, sich immer auf die Europäer verlassen zu können, unabhängig von Klien­te­lismus und Misswirtschaft; man musste sich gegenüber Europa hin und wieder erkenntlich zeigen, indem man deutsche Unter­see­boote kaufte, zum Beispiel, oder der deutschen Telekom den griechischen Telecom-Monopolisten OTE zuschanzte. Aber sonst konnte man wurschteln nach Belieben; ange­sichts der exponierten politischen Lage entstand nie eine Notwendigkeit, eigene Wirtschafts­posi­tio­nen jenseits des Tourismus aufzubauen, sogar die Schifffahrt, wo früher griechische Tycoons wie Niarchos und Onassis legen­där gewesen waren, wanderte ab nach Zypern, und der Rettungsschirm schwebte in der Form der türkischen Gefahr wie ein Sonnensegel jederzeit über dem Land. Bis zu dieser doofen Finanzkrise im Jahr 2008, welche die Frage nach der Bonität der griechischen Staats­anleihen erstmals zu einem Thema werden ließ.

Abgesehen davon hatte sich die Türkei unter dem aufgehenden Halbmond des AKP-Präsidenten Erdogan in den ersten Jahren drastisch verändert. Was Griechenland unterließ, wurde in der Türkei mindestens teilweise angepackt. Staat, Gesellschaft und Wirtschaft durchliefen echte Moder­ni­sie­rungskuren. Die Griechen haben echt großes Schwein gehabt, dass dem Erdogan anschließend sein Erfolg zu Kopfe gestiegen ist. Wie immer sind mit Allmachtsphantasien die Ausbildung eines Verwandt­schafts- und Klientenzirkels und die Zweckentfremdung der Wirtschaft zur Mehrung des persön­lichen Reichtums anstelle des Reichtums des Landes verbunden, und im außenpolitischen Bereich kann man dem Pascha-Darsteller auch keine weitere Kohärenz mehr bescheinigen. Er hat einige geopolitische Karten in den Händen, zum Beispiel die Flüchtlinge und im Moment noch eher die NATO-Mitgliedschaft, die er aber zunehmend willkürlich auszuspielen scheint. Den Griechen kann das nur recht sein. Möglicherweise ist die Entlassung aus dem Schuldenprogramm nichts anderes als eine direkte Folge von Erdogans offensichtlichem geistigem und moralischem Zerfall.

Trotzdem sollten sich die Griechen nicht in Sicherheit wiegen und darauf vertrauen, dass die EU ihnen nun wieder sämtlichen organisatorischen und wirtschaftlichen Sündenfälle durchgehen lassen wird. Erdogan wird irgendwann den Badge abgeben müssen, wenn er sich nicht dazu bequemt, die Türkei wieder nach modernen Kriterien zu organisieren. In beiden Fällen droht die Türkei schneller wieder zu einem Musterland zu werden, als es dem eingerosteten griechischen System genehm sein kann. Wie dieses aber unter Aufbietung von inneren Energien zu reformieren wäre, das ist mir nach wie vor unklar, das heißt, ich sehe in erster Linie keine inneren Energien, die auf eine tatsächliche Modernisierung des Landes hin wirken. Anderseits beschäftige ich mich ja auch nicht Tag und Nacht mit diesem Land und habe vielleicht das eine oder das andere übersehen.

Ist nun also der Grieche einfach ein fauler Tölpel? – Sowas kann man selbstverständlich per Defi­nition nicht sagen, denn unter den Griechinnen und Griechen gibt es ebenso viele Unterschiede wie unter den Deutschinnen und Deutschen. Aber die Struktur des Landes, die staatliche Orga­nisation und die Mentalität, welche sie trägt, die sind in der Tat außergewöhnlich anachro­nistisch – und resistent dazu.

Abgesehen davon gibt es auch anderswo in Europa Versuche, die Herrschaft über das eigene Land wieder zu gewinnen. Sie mögen angesichts der radikalen globalen Vernetzung und der Digitalisierung anachronistisch erscheinen, aber interessant wäre so etwas dennoch, und zwar auch dann, wenn es von der Seite von Rechtsnationalisten unternommen wird. Was wollen die, wie stellen sie es sich vor? Die Rechtsnationalisten brüllen am Lauf­meter nach Maßnahmen, welche das Joch der EU oder halt eben der globalisierten Wirtschaft und von was sonst noch immer abschütteln sollen. Bisher ist mir allerdings noch kein besonders brillanter konkreter Ansatz haften geblieben beziehungsweise: Bisher ist mir noch überhaupt nichts haften geblieben. Und ich räume ein, dass ich mich auch hiermit überhaupt nicht beschäftigt habe. Das einzige, was mich in diesem Zusammenhang beschäftigt, ist die Frage, ob man Volksteile überhaupt noch ernst nehmen kann, welche den Urban Orbans, den Matteo Salvinis und anderen Brüllaffen hinterher laufen. Die Arbeitshypothese lautet: eher nicht; leider lautet eine andere Arbeitshypothese, dass die Gegenseite nicht etwa nichts Besseres, sondern überhaupt nichts anzubieten hat, und die dritte Arbeitshypothese ist sowieso die grundlegende, sie besagt, dass ein erwachsener Mensch sich sowieso keine Volksteile wünschen kann, welche irgendwem hinterher laufen. Bitte immer eine vornehme Distanz wahren, geschätzte Volksteile.

Eine vornehme Distanz wahre ich übrigens auch zu Erscheinungen, die eine gewisse Verwandtschaft zu Salvini und Orban und Betrax von Storch haben, nämlich zu den Influencern. Nun bin ich aber zufälligerweise trotzdem in ein solches Ding hinein gestolpert, nämlich ein Rating von Influencer-Werbespots auf Instagram, ich nehme an, in Deutschland, und da führt eine gewisse Sarah Harrison die Rangliste im Juli an mit einem Post für I am Kamu und dem folgenden Text: «Und schon wieder ist der Tag vorbei – mir kommt es gerade so vor, als ob die Zeit an mir vorbei rennt. Es passiert einfach gerade so viel und es muss so viel erledigt werden. Mia ist zudem auch sehr sehr aktiv und braucht von uns viel Aufmerksamkeit. Eigentlich müsste unser Tag gerade mind 30 Stunden haben. Geht es euch eigentlich auch so oder nur mir? Ich versuche auch täglich eure Kommentare und einige eurer Nachrichten zu lesen (sorry dass ich nicht jedem antworten kann) und viele haben sich mal wieder einen Code von I am Kamu gewünscht – hier ganz offiziell an alle: Mit dem Code Sarah 25 bekommt ihr 25%. Dort findet ihr die Armbänder, die ich so gerne trage, und wunderschöne Uhren. Schaut unbedingt vorbei. Die Kombination auf diesem Bild gefällt mir besonders gut – das ist übrigens die Uhr Ophelia und die Armbänder Romantic und Adventure in Rose Gold.» Und sowas hat 1.5 Millionen Followerinnen.

Was wieder die Frage aufwirft: Und was macht eigentlich Hayden Panettiere? Davon bei anderer Gelegenheit mehr, für den Moment nur soviel: Ihr neuester Boyfriend heißt Brian Hickerson. Aber sie fühlt sich nach wie vor stark angezogen von Wladimir Klitschko.


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Albert Jörimann
21.08.2018

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