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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Frauengüter

Am 18. Oktober des letzten Jahres veröffentlichte die Credit Suisse einen Bericht zum Thema Ver­mögen in Frauenhand mit einer Aussage, die mich verblüffte ...



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> Download Gut 40 Prozent der weltweiten Ver­mögenswerte seien im Besitz von Frauen. Der Schätzwert sei höher als in einigen vor­her­ge­hen­den Studien, schreibt die Bank, und ich zitiere: «da wir nichtfinanzielle Vermögenswerte mit ein­be­zo­gen haben, die einerseits die Hälfte des weltweiten Haushaltsvermögens ausmachen und ander­seits gleichmäßiger zwischen Männern und Frauen verteilt sind». Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe, aber offenbar macht sich der Einfluss von Pierre Bourdieu nun auch hier bemerkbar, was ich einerseits begreife, weil Bourdieu tatsächlich eine markante Tendenz hat, Klarheiten zu verwedeln, und anderseits nicht, weil in einem Bericht über globale Vermögenswerte einfach kein Platz ist für «nichtfinanzielle Vermögenswerte», also sagen wir ruhig: soziales und kulturelles Kapital. Es gibt keine nichtfinanziellen Vermögenswerte, und wenn es der Credit Suisse beliebt, solche herbeizuschreiben, um den Anteil der weltweiten Vermögen in Frauenhand künstlich zu erhöhen, dann müssten Standard&Poor und Moody's das Rating dieses betrügerischen Institutes sofort auf Ramsch heruntersetzen.

Etwas weiter unten folgen Angaben, welche eine Ahnung von den tatsächlichen Verhältnissen vermitteln, nämlich der Anteil an Frauen unter den Milliardärinnen und Milliardären. Ich zitiere erneut: «Unter den wichtigen Ländern hat Deutschland den größten Anteil an Milliardärinnen mit 26.0 Prozent, danach folgen Schweden mit 25.0 Prozent, die Schweiz mit 23.8 Prozent sowie Australien und Indien mit jeweils 18.6 Prozent.» Soviel zum Thema 40 Prozent der weltweiten Vermögenswerte in Frauenhand.

Immerhin weist das sogenannte aggregierte Gesamtvermögen weltweit bis Mitte 2018 einen Zuwachs um 14 Billionen Dollar gegenüber dem Vorjahr aus auf 317 Billionen Dollar. Zur Verteilung steht im Credit-Suisse-Bericht eine leicht andere Version als jene, die unsereins jeweils herunterzuleiern pflegen, ich zitiere erneut: «Die frühen Jahre dieses Jahrhunderts verzeichneten die am breitesten abgestützte Vermögensbildung in der jüngeren Geschichte. Noch wichtiger ist aber, dass die Zunahme sämtliche Gesellschaftsschichten umfasste. Die Blütezeit kam mit der globalen Finanzkrise zum Stillstand. Das Muster der Vermögenszunahme änderte sich zudem erheblich. Die Wohlhabendsten profitierten am stärksten vom steigenden Finanzvermögen, was zu einer zunehmenden Vermögensungleichheit auf der ganzen Welt führte. Überall außer in China stieg das Median-Vermögen nicht weiter an, sondern sank sogar vielerorts.» Anders gesagt: Erst die Finanzkrise sorgte laut CS für eine Zunahme der Ungleichheit beim Vermögen. Und die Bank zeigt sich auch noch optimistisch, erneutes Zitat: «Die Daten deuten darauf hin, dass die Wachstumsentwicklung seit Kurzem wieder dem Muster entspricht, das vor der Krise herrschte. Den meisten Indikatoren zufolge ist die Vermögensungleichheit noch nicht deutlich gesunken, hat sich aber stabilisiert. Damit sehen die Zukunftsaussichten für ein alle Gesellschaftsschichten übergreifendes Vermögenswachstum vielversprechender aus als in den letzten Jahren.»

Nun, ob man unseren alten Klassenkämpfern bei den Banken Glauben schenken will oder ob man doch eher den Umstand für skandalös hält, dass nach wie vor das reichste Prozent der Wohl­ha­benden über 50 Prozent der globalen Vermögenswerte, also über 158.5 Billionen Dollar verfügt, das ist nicht einfach Geschmacks-, sondern das ist ganz einfach eine Sache der Klassenzugehörigkeit, auch wenn ich gleich einräume, dass die Kategorie der gesellschaftlichen Klassen bei uns unterdessen außerordentlich porös geworden ist und nur noch an einem Ende, nämlich bei Susanne Klatten und Konsorten eine richtig greifbare Form aufweist. Dass übrigens Reichtum auch mit Qualen verbunden ist, erfahren ja gerade Automobil-Milliardärinnen wie Susanne Klatten immer wieder schmerzlich, im Moment ist es zwar eher der Konkurrent VW. Die Automobilkonzerne können nicht mal mehr in Ruhe betrügen! Sie werden nicht nur mit Bezug auf ihr tatsächliches Verschulden rund um die Klimaerwärmung angeklagt, wobei sich dies, um mit der Credit Suisse zu sprechen, eher im Bereich der nichtfinanziellen Vermögenswerte abspielt und die Firma und ihre Aktionäre und indirekt auch Susanne Klatten kalt lassen kann, sondern auch sonst oder gar vor allem mit Sammelklagen eingedeckt, für welche sie in den Vereinigten Staaten Milliarden von Eigenvermögen locker machen müssen. Was für ein Verlust für den globalen Reichtum! – Und dann folgen die Klagen der US-Aktionäre auf dem Fuß, welche das Unternehmen wegen ent­gan­gener beziehungsweise vergammelter Kursgewinne verklagen, wie dies im dortigen Rechtssystem der absolute Heuler ist – dort ist tatsächlich die Gewinnoptimierung einklagbar, was mit Garantie die halluzinogenste Entwicklung im Zivilrecht der gesamten Menschheit darstellt.

Aber das reicht nicht aus, um euch, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, und mich als Klasse gegen die Automobilindustrie zu konstituieren, vor allem in Deutschland nicht, dessen Industrie und im Zusammenhang damit die Wertschöpfungsketten beziehungsweise das System, wonach Einkommen generiert oder verteilt wird, ja nach wie vor auf der Herstellung von Automobilen und der möglichst umfangreichen und restlosen Verbrennung aller Erdölreserven der ganzen Welt beruht – Deutschland hat meines Wissens keine nennenswerten eigenen Erdölvorkommen, die liegen zu schönen Teilen in den Händen der Islamererinnen und Islamer, das muss man auch den Montagsdemonstrantinnen in Dresden immer wieder vor Augen halten, wobei im Islam der Frauenanteil unter den Vermögensbesitzenden eventuell doch radikal kleiner, wo nicht gar null ist, auch wenn man Pierre Bourdieu streckt und wendet, wie man es will. Sei's drum –

Wir können uns aus dem einfachen Grund nicht mehr guten Gewissens als Klasse konstituieren, weil die realökonomischen Grundlagen dafür nicht mehr vorhanden sind. Wir sind unterdessen alle reich geworden, selbstverständlich nicht alle im selben Ausmaß, aber über einen Grund-Reichtum verfügen wir heute alle, Ernährung, Kleidung und sogar ein Dach über dem Kopf, auch wenn es nicht für alle die Karl-Marx-Allee in Berlin ist, versteht sich. Immerhin habe ich an dieser Stelle vor ein paar Jahren mal vorgetragen, dass es bei keiner Gesellschaftsschicht in Deutschland seit 1960 zu einer derartigen Zunahme der Wohnfläche pro Kopf gekommen ist wie bei den Ärmsten. Ich weiß gar nicht, ob diese Aussage heute immer noch zutrifft, aber schlimmer ist es auf jeden Fall nicht geworden. Und sogar bei den Ärmsten der Armen international hat sich deren ihre Armut in den letzten, was weiß ich: ebenfalls 50 Jahre halbiert. All das hat zwar noch nichts mit der Konstitution als Klasse zu tun, ich gebe es zu, aber doch mit dem Willen dazu beziehungsweise mit den objektiven Gründen, es zu tun. Statt als Klasse müssen wir uns in nächster Zeit wohl eher zusammenschließen mit all jenen Menschen weltweit, welche wie wir wild entschlossen sind, ihren Knochenbecher nördlich des Halses nicht nur als Auftragsfläche für Schminke und schöne Bärte zu benutzen, sondern zum Denken zu gebrauchen. Ich weiß nicht, ob dies für eine Klassentheorie reicht und zur Bildung der entsprechenden Klasse, aber es kann sich ja auch um einen simplen eingetragenen Verein handeln.

Daneben werden übrigens zur Sicherung der erwähnten 317 Billionen US-Dollar an aggregiertem Vermögen unter anderem Versicherungen abgeschlossen, versteht sich, für welche im Jahr 2018 ein geschätztes Prämienvolumen von 2400 Milliarden US-Dollar, also 2.4 Billionen ausgegeben wurde. Das ist nicht ganz ein Prozent des Gesamtvermögens, wobei ich davon ausgehe, dass in dieser von der Versicherungsindustrie ausgewiesenen Prämiensumme verschiedene Hedging-Positionen nicht enthalten sind, welche streng genommen auch Versicherungen darstellen. Lustigerweise lagen die Prämien für die Lebensversicherungen mit 2.9 Billionen um einen Fünftel über den Nichtlebens-Prämien. Ich glaube allerdings nicht, dass man daraus Schlüsse im Bereich von «Geld oder Leben!» ziehen kann, es handelt sich nach dem landläufigen Verständnis auch bei den Vermögen um Geld fürs Leben, und bei den Lebensversicherungen, die oft mit dem Ende dieses Lebens fällig werden, ist es trotzdem nicht anders. Daneben sind die Prämien für die Lebensversicherungen eine Kom­po­nente für die weltweit steigenden Lebenserwartungen. Die weltweit steigenden Lebenserwartungen wiederum sind ein deutlicher Indikator für den steigenden allgemeinen Wohlstand, das muss man all jenen, die jeweils brüllen, dass nicht nur die Reichen immer reicher, sondern die Armen immer ärmer würden, deutlich entgegen halten: Während Teil eines stimmt, ist Teil zwei falsch. Die Armen werden nicht ärmer, mindestens nicht absolut gemessen.

Immerhin stellt die steigende Lebenserwartung neue Anforderungen an die Altersversicherung, die in der Regel und am Grunde der Moldau von den Sozialversicherungen geleistet wird. Hier gilt, dass eine tendenziell sinkende Anzahl an Beschäftigten, welche Beiträge an die Sozial­ver­si­che­rungen leisten, eine tendenziell steigende Anzahl an Rentnerinnen und Rentnern finanzieren muss. Das heißt, wenn man an der Finanzierung festhält wie bisher, dass für eine ausgeglichene Rechnung entweder länger gearbeitet werden muss oder aber dass die Rentenbeiträge steigen müssen. Man kann sich selbstverständlich um alternative Finanzierungsformen bemühen, zum Beispiel um Mittel aus der allgemeinen Staatskasse. Man kann auch die staatliche Grundversorgung aushungern, also die Renten senken und darauf setzen, dass die Menschen im Allgemeinen mehr privat ansparen; hier ist der Effekt tatsächlich jener, dass die ärmeren Leute mit tieferen Renten zu rechnen haben. Für unsere Begriffe erscheint dies als ganz und gar unmoralische Angelegenheit. Wenn man anderseits die Kaufkraftentwicklung in Betracht zieht, sind höhere Rentenbeiträge nicht a priori etwas Schlechtes; wenn man die Fortschritte im Gesundheitsbereich berücksichtigt, welche ja erst zum Anstieg der Lebenserwartung geführt haben, dann ist eine Anhebung des Rentenalters nicht derart tabu, wie man es in der Regel darstellt. Bei all diesen Diskussionen kommt man eigentlich immer nur auf ein einziges sicheres Ergebnis, nämlich dass die Grundversorgung für alle eine anständig hohe sein muss, und da sind wir, ich bitte inständig um Verzeihung, aber es bleibt einfach nichts anderes übrig, schon wieder beim bedingungslosen Grundeinkommen, diesmal halt im Alter.



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Albert Jörimann
23.04.2019

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