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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Subunternehmen

Möglicherweise ist die Tonqualität heute etwas schlechter als üblich, wofür ich um Verzeihung bitte, aber dazu später. Vor etwas mehr als 12 Jahren bezogen wir eine Wohnung in einer neu erstellten Überbauung. Vor drei Jahren purzelten im Winter Teile der Fassade von einem der Häuser.



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Die anschließende Untersuchung ergab, dass der Vorfall auf Montagefehler, schlechte Verarbeitung und zum Teil Billigware, die vom offerierten Material abwich, zurückzuführen war und die gesamte Überbauung betraf; es war unumgänglich, die vorgehängten Keramikkacheln überall zu demontieren und eine neue Fassade aufzuziehen. Die ebenfalls anschließende rechtliche Untersuchung ergab, dass die Generalunternehmung, welche die ganze Anlage erstellt und in Eigenregie verkauft hatte, nach fünf Jahren nicht mehr zu belangen war für den Schaden, da die gesetzliche Haftungsdauer nur fünf Jahre beträgt. Das beauftragte Unternehmen, welches die Fassaden montiert hatte, war unterdessen Konkurs gegangen, mehr oder weniger unmittelbar nach Abschluss der Fassadenarbeiten respektive wohl nach Eingang der letzten Zahlung. Der Besitzer hat zwar keine neue Firma gegründet, firmiert aber im Verwaltungsrat eines anderen Baugeschäfts, das einem langjährigen Kollegen gehört. Recht­lich schien die Angelegenheit somit abgeschlossen und aussichtslos, aber das General­unter­neh­men erklärte sich bereit, als Zeichen des guten Willens gut einen Zehntel der Renovationskosten zu übernehmen, wenn sich alle betroffenen Parteien in der Überbauung dazu verpflichten würden, nichts von dem Vorfall in die Öffentlichkeit zu tragen. Leider weigerte sich eine Einzelperson, und ich sage leider weniger wegen des entgangenen Betrags als deswegen, weil dann doch nichts an die Öffentlichkeit gelangte und auch keine anderweitigen Schritte von dieser Person eingeleitet wurden, die sich mit ihren immensen Rechtskenntnissen und mit ihrem umfassenden Beziehungsnetz in der Szene der internationalen Rechtsanwälte in Zürich gebrüstet hatte. Ich benutze hier gerne die Gele­genheit und bringe auch in Erfurt den Namen dieser General-, wo nicht Totalunternehmung zur Kenntnis: Es ist die allreal, jene Immobilienabteilung, welche vom ehemaligen Waffenhersteller Oerlikon-Bührle bei seiner Auflösung abgespaltet wurde und seither tüchtig Geld macht mit Liegenschaften und ihrer Erstellung und Bewirtschaftung anstatt mit Flugabwehrkanonen. Ein gelungenes Beispiel der Umstellung von Kriegs- auf Friedens-Industrie, will mir scheinen. Ich gestatte mir auch noch den Hinweis, dass mir Begriffe wie «Generalunternehmer» außerordentlich gut gefallen, denn sie wiesen darauf hin, dass einem einfachen Unternehmen doch noch viel Sub­stanz, wo nicht überhaupt die Essenz abgeht für ein richtiges Unternehmen, das eben ein General­unter­nehmen sein müsste. Aber noch das Generalunternehmen wird komplett in den Schatten gestellt vom Begriff des «Totalunternehmens», das sich seit gut zwanzig Jahren ebenfalls vor allem im Bausektor ums Geschäft kümmert. Da können mir alle globalen Konzerne gestohlen bleiben, insonderheit Giganten wie Apple, Amazon und Alphabet, deren Erbärmlichkeit ja nur schon daraus hervorgeht, dass sie alle Firmennamen aufweisen, die mit dem ersten Buchstaben des Alphabets beginnen, im Fall von Google ist es sogar das Alphabet selber, damit sie in der Internet-Recherche auch ja bloß zuoberst auf der Such-Liste aufscheinen. Dabei werden diese Suchmaschinen sowieso durch Programmeinstellungen manipuliert werden, wie doch zuvörderst, eigentlich noch vor Aaa und und bzw. plus plus, Alphabet wissen müsste, welche damit ja gerade ihre Gelder verdient. Aber da zeigt es sich gerade: Was sind schon solche milliardenschweren Internet- und Software-Giganten im Vergleich zu einem Totalunternehmen: nichts! – So einfach ist das.

Aber zurück. Eigentlich wollte ich mit dem Beispiel des Fassaden-Pfusches, der vom Schweizer Zivilrecht auch noch straf- und folgenlos akzeptiert wird, nur kurz einen weiteren Fall jenes Sub-Unternehmertums illustrieren, welches offenbar auch in deutschen Schlachtbetrieben gang und gäbe ist, hier aber vor allem der Aushebelung tarifvertraglicher Abmachungen dient, wobei es im letzten und Tönnies-Fall immerhin einem hehren Zwecke diente, nämlich der Armutsbekämpfung. Es geht darum, das deutsche Volk mit saubilligem Schweinefleisch zu mästen, was andernfalls einfach nicht möglich wäre, wenn die Tarifverträge eingehalten würden, die zweifellos auch für diese Branche gelten. Oder wenn gar ein Mindestlohn zu bezahlen wäre von Herrn Tönnies! Da müssten die Hartz-IV-Bezügerinnen derart tief ins Portemonnaie greifen, dass sie sich nur noch einmal alle zwei Wochen satt essen könnten. Noch mehr: Der Fußballclub Schalke 04 würde zweifellos wegen der entgehenden Einnahmen aus der Massen-Schweinefleisch-Verkäuferei direktemang in die dritte Bundesliga relegiert. Kann das jemand wollen? Nicht im Ernst.
Was macht übrigens Rot-Weiß Erfurt? Die Wikipedia meldet, dass euer Club Ende Januar den Spielbetrieb eingestellt hat, der Grund sei die Insolvenz des Vereins. Baut ihr vielleicht andernorts einen neuen Verein? Auf der Club-Webseite steht jedenfalls eine zuversichtliche Meldung in Bezug auf eine Zulassung zur Oberliga in der nächsten Saison. Was ist hier los? Aus neutraler Sicht geht das gar nicht, dass die Hauptstadt eines Bundeslandes und Freistaates gar keinen richtigen Fußballverein nicht hat, verstanden! Da hilft auch das schönste freie Kulturzentrum nicht drüber hinweg!

Aber zurück zum Subunternehmertum und zum Billigfleisch aus Massentierhaltung, inklusive Gratisbehandlung mit pharmakologischen Mitteln der Konsumentinnen und Konsumenten. Im Zeitalter der Überproduktion und des Überflusses ist es nicht mehr modern, sein Geld mit Kostensenkung zu machen. Während der Finanzsektor schon lange gar nicht mehr weiß, wohin er mit seinem täglich neu und größer aufgeblasenen Geld-Rucksack hin soll, macht ihr in Deutschland nach wie vor einen auf Billigpreise und Billiglöhne? Ich würde euch auch aus makroökonomischer Sicht dringend empfehlen, damit aufzuhören. Ihr solltet nicht in eurem Land ein eigenes kleines Rumänien und Bulgarien und eine eigene kleine Ukraine errichten, sondern ihr solltet vielmehr den Umweg über die EU nehmen und im Rahmen von Europa dafür sorgen, dass auch das eigene große Rumänien und Bulgarien und irgendwann in einer späteren Zukunft auch einmal die eigene große Ukraine, sofern es sie dannzumal noch gibt, einen anständigen Lebensstandard mit anständigen Mindestlöhnen und anständigen Preisen für Schweinefleisch, wenn möglich aus Bioproduktion erreichen.

Es ist schon wahr, dass Deutschland bald nach Einführung des Euro zu einem der billigsten Länder Europas wurde, eben, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Produktionskosten und auf die Exporte, und auch auf die Beziehungen zu den Nachbarländern. Hört einfach auf damit. Beginnt stattdessen, doppelt so teure Fleischwaren einzukaufen. Ihr tut damit nicht nur euch selber, sondern auch der Wirtschaft und der Landwirtschaft einen Gefallen. Billiglöhne und Billigstprodukte, das war vielleicht gestern mal geil. Jetzt kann man das nicht mehr im Ernst als Wirtschaftsmodell praktizieren. Und die Schummeleien mit den Subunternehmen, die würdet ihr vielleicht demnächst mal durch die entsprechenden Gesetzesnovellierungen abstellen, okay?

Es versteht sich von selber, dass damit auch die Regelsätze der bestehenden Sozialversicherung oder Existenzsicherung angehoben werden müssen, einmal abgesehen davon, dass diese Systeme sowieso völlig neu aufgesetzt gehören auf der Grundlage eines Existenz und Teilhabe sichernden Grundeinkommens; das wisst ihr unterdessen wohl alle, geschätzte Hörerinnen und Hörer, ebenso wie ihr wisst, dass ein solches in Deutschland problemlos einzuführen und zu finanzieren wäre. Vielleicht nicht ganz exakt nach dem Modell der Bundesarbeitsgruppe der Linkspartei, deren Versprechen, dass bei ihrer Variante die Menschen bis zu einem Einkommen von 7000 Euro brutto profitieren würden von der Einführung eines Grundeinkommens, ich mit einiger Skepsis beurteile; ich halte mich da eher an die unverdächtigen Berechnungen des ehemaligen Leiters des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts Thomas Straubhaar, welche dieser vor drei Jahren in seinem Büchlein «Radikal gerecht» angestellt hat. Aber egal, ich nehme auch das Modell der Linkspartei, wenn es denn klappt.

Nun zur Tonqualität: Ich erzähle euch dies alles nicht wie üblich aus der Stadt Zürich und aus meinem Außenstudio von Radio Frei,, sondern von einem Ort aus, der sich «der Balkon des Juras» nennt. Ja, ich befinde mich für einige Tage in den Ferien, und da die Corona-Unsicherheiten weiterhin anhalten, habe ich mich zunächst noch nicht zum Land hinaus getraut, wobei ich gleich beruhigen kann: Auch in der Schweiz brechen immer wieder Corona-Herde aus. So wurden zum Beispiel die Sekundarschülerinnen und -schüler aus Bassecourt im Kanton Jura vorzeitig in die Ferien geschickt, weil einer ihrer Lehrer positiv getestet worden war. Das gleiche kurz darauf in Les Breuleux in den Freibergen, ebenfalls im Kanton Jura, wo der gesamte Lehrkörper in Quarantäne gesetzt und die 112 Schülerinnen und Schüler ebenfalls eine Woche zu früh in die Ferien gesandt wurden. Unser Balkon des Jura befindet sich zwar nicht im Kanton Jura, aber doch im Jura, konkret im Kanton Waadt; wir blicken hinab auf zahlreiche Dörfer und Schlösser, die von den Burgundern oder den Savoyern errichtet wurden, bevor die Waadt von den Bernern erobert wurde und bis zum Einmarsch der Franzosen 1798 als Untertanengebiete für den Reichtum der Berner sorgten. Überall gibt es Überreste der gallo-römischen Besiedlung vom ersten vorchristlichen Jahrhundert an, und überall ärgern sich die Menschen darüber, dass man jetzt auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske tragen muss. Das war bis am letzten Sonntag noch nicht obligatorisch, aber seit die Ansteckungszahlen vor einer Woche massiv zu steigen begannen, hat sich die Lage geändert. Offensichtlich sind es allerdings weniger die öffentlichen Verkehrsmittel, als vielmehr die Lockerungen der Kontakt- und Ausgehvorschriften in Bars und vor allem Clubs und Diskotheken. In der Schweiz gibt es eine recht erhebliche Community von kleinen Djokovics, welche sich eher weniger um die Distanzregeln kümmern; einige der größeren Ansteckungsherde wurden recht eindeutig auf Jungs und Mädels zurückgeführt, welche sich zuvor in Belgrad an Parties vergnügt hatten. Aber selbstverständlich braucht es für die Lust auf Party keinen jugoslawischen Pass, da reicht ein milder Anfall von einfacher Jugend vollauf. Wir sind gespannt, wie die leichte Verschärfung der Maßnahmen und die erneute Sensibilisierung der Öffentlichkeit hier wirken werden. Am Wochenende jedenfalls gingen die Zahlen wieder deutlich zurück.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
08.07.2020

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