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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Arktisrat

An den Meldungen über das jüngste Treffen des Arktis-Rates haben mich zwei Dinge recht gründlich gestört, zum einen das Gelaber über die aggressive Vorgehensweise der Russen in der Arktis, die, was weiß ich, keinen Brosamen für Andorra abgeben wollen von ihren Territorial­ansprüchen, die im Moment grad definiert werden.

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Schon wieder werden die Russen als die bösen Angreifer dargestellt im Gegensatz zum friedfertigen Rest der Welt, und die westlichen Medien übernehmen diese meist US-amerikanische Version der Sache weitgehend kritiklos. Dabei haben die Russen ganz simpel die grösste mehr oder weniger direkt an die Arktis anstossende Landmasse und damit sämtliche Argumente für territoriale Besitzansprüche für sich. Was das konkrete Ergebnis sein wird, ist mir unbekannt, aber soviel steht fest, dass, wenn überhaupt jemand einen legitimen Anspruch geltend machen kann, es die Russen sind. Aber nein, der sozialdemokratische Medienkonsens macht eine Verbeugung in Richtung nicht Mekka, sondern Washington und lässt einen Kommentar über das aggressive Vorgehen des sowieso im Kern bösen Russen fahren.

Dies also zum einen; zum anderen ist es aber der Arktisrat selber, der nicht nur den Arktis-Kuchen einigermaßen sachgerecht und ohne übermäßiges Konfliktpotenzial aufteilt, sondern auch noch den Kommentar, dass er sich sehr stark über die Klimaerwärmung sorgt, welche doch diese Kuchenverteilung und die feuchte Gier in den Augen aller Anrainerstaaten erst möglich macht. Drei Grad soll die Klimaerwärmung in der Arktis in den letzten Jahrzehnten betragen haben gegenüber einem Grad im globalen Durchschnitt, ein Festschmaus für die Ratsmitglieder, da sie jetzt endlich ungestörten Zugang zu den Ressourcen am Meeresboden erhalten, und die tun dergleichen, als würden sie sich Sorgen machen um die Klimaerwärmung. So etwas ist einfach unverschämt.

Das noch größere Problem liegt aber darin, dass mein aufrichtiger Ärger kein Objekt hat, auf welches ich ihn richten kann. Ich rege mich zwar über den Arktisrat auf, aber das ist im Grunde genommen niemand, und ich habe weder als Individuum noch zusammen mit anderen Individuen irgendeine Möglichkeit, meinen Zorn zu kanalisieren oder gar in eine Aktion umzusetzen. Ich ärgere mich ins Blaue hinein, und in Ermangelung eines Objektes wird mein Ärger so zu einer Art von Grundstimmung, ein ständiges, aussichtsloses Nörgeln, das mich gewaltig auf die Palme treibt. Es geht mir ja nicht nur mit dem Arktisrat so, es geht mir gleich mit dem Klimawandel, mit Jair Bolsonaro, mit Andi Scheuer oder mit der Kinder-Schokolade von Ferrero; ich rege mich über unzählige Dinge auf, und dieser Ärger wird auch dauernd gefüttert von den entsprechenden Medienberichten, aber tun dagegen kann ich in der Regel nichts. Die Fridays for Future sind mindestens ein ganz klein wenig eine Ausnahme mit der gesamten Klimajugend, die dahinter steht, aber was daraus längerfristig wird, das muss sich ja auch erst noch weisen. Dagegen ist das ganze Covid-Gejammer praktisch von A bis Z nur für die Füchse – hier gibt es einfach keinen Handlungs­spielraum, man kann hier nicht recht haben, und deshalb sind auch die anhaltenden, komplett objektfreien Skandali­sierun­gen aus den täglichen Nachrichten ein immer schwerer zu verdauender Brocken in dieser ganzen Nörgelei.

Das ist ein echtes Problem, mit welchem unter anderem Phänomene wie die Covid-Leugner, vor allem aber Trump-Anhänger zusammenhängen; sie haben mit ihren Verschwörungstheorien eine Möglichkeit entdeckt, in Ermangelung eines Objektes doch wenigstens einen Popanzen zu be-ärgern und be-kämpfen. Ich möchte das eigentlich auch, aber meine vernünftige Vernunft hindert mich gründlich daran. Jetzt möchte ich einfach, dass mir meine vernünftige Vernunft auch mal einen Weg aufzeigt, tatsächlich etwas zu verändern, und zwar nicht den Weg mit Kalaschnikow oder Sprengstoffgürtel.

Einige Nachrichten vermögen mich dann doch noch zu belustigen, so zum Beispiel jene vom Chef der nigerianischen Islamistenorganisation Boko Haram, was der zwar neutrale, aber auch manchmal polemische neutrale Beobachter mit «Bildung ist Sünde» übersetzen kann. Der Boko-Haram-Chef also hat sich angeblich jüngst selber umgebracht oder mindestens schwer verletzt, indem er sich mit einer Pistole fast oder ganz erschossen hat oder aber, aus meiner Sicht doch sachgerechter, mit dem Sprenggurt in die Luft gejagt, welchen so ein Islamisten-Kommandant doch immer auf und um sich trägt. Grund für diesen Suizid sei die Angst vor heranrückenden Truppen des Islamischen Staates/Westafrika gewesen, welche in Boko Harams Stammlande im Wald von Sambisa im nigerianischen Bundesstaat Borno im Nordosten des Landes eingedrungen seien. Diese Westafrika-Abteilung des Islamischen Staates war offenbar früher selber ein Teil von Boko Haram, bis sie sich vor fünf Jahren davon abspaltete. Man sieht: Auch der Islamisterer hat es nicht leicht.

Ebenfalls nicht leicht hat man es als Wahlkämpferin in Deutschland im ersten richtigen Wahlkampf seit 2009. Worüber die Kandidatinnen alle sprechen, was sie versprechen, wie sie sich versprechen, was ihnen alles an die Ferse geheftet wird und was nicht, all dem haftet ein leicht surreales Moment an, vor allem deshalb, weil alle wissen, dass sich im und am Land kaum etwas ändern wird, egal, ob die Grünen die CDU/CSU als stärkste Partei ablösen oder nicht. Im Falle ihrer Regierungs­beteili­gung in irgend einer großen Koalition müssen die Lobbyistinnen natürlich schon in die Hosen und ein paar Sonderschichten einlegen. Solche Koalitionen sind nämlich sehr sinnlos, wenn nur einer der Koalitionspartner systematisch hofiert und geschmiert wird. Vielleicht muss man dann den Grünen die Chefposten bei der Deutschen Bahn zuhalten, zum Beispiel, oder man schafft einen explizit grünen Energie-Riesen, wo man ein paar grüne Energiepolitikerinnen abstellen kann. Der Fall Stuttgart mit der idealen Verschmelzung von grüner Politik und Mercedes-Verbrennungsmotor dürfte sich wohl kaum auf Bundesebene wiederholen, wobei man natürlich schon sehr viele Wunder gesehen hat; Philipp Morris bekämpft die Folgen des Tabakkonsums, VW und BMW produzieren grünen Individualverkehr, auch wenn das rein begrifflich unmöglich ist. Egal. Die Sache ist vorderhand so seltsam, weil kaum jemand weiß, wer wen bekämpfen soll und wie; erst nachdem sich der Dunst verzogen hat und die Zahlen feststehen, kann man sich so richtig Gedanken machen über die heranrückende Zukunft.

Dafür kann man die Covid-Akte demnächst bis zum Herbst in der Schublade versorgen, denke ich; dann wird sich weisen, wie es im Winter weitergeht, ob man nach-impfen muss und so weiter. Aber insgesamt sind wir aus dem Gröbsten raus – in Europa; dagegen macht Indien Anstalten, die Vereinigten Staaten bei den Fallzahlen zu überholen. Am Montag meldete die Johns-Hopkins-Universität fast 27 Millionen Ansteckungsfälle gegenüber den 33 Millionen in den USA, zu denen wohl nicht mehr besonders viele kommen werden, im Gegensatz zu Indien. Immerhin ist die indische Bevölkerung auch vier Mal so groß wie diejenige der USA. Relativ gesehen beeindrucken uns da die 16 Millionen von Brasilien mit seinen 210 Millionen Einwohnerinnen doch wieder stärker als Indien. Es liegt also ein Trio vorn mit Ländern mit einer ultranationalistischen Führung, auch wenn die USA dies in der Zwischenzeit geändert haben. Interessant ist das trotzdem.

Gestern hat die Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation begonnen, welche unter anderem der Aufarbeitung der bisherigen Covid-Entwicklung zum Thema hat. Zu reden gibt offenbar vor allem der Johnson-Clark-Bericht, welcher die Politik der WHO untersucht hat und zu Ergebnissen kommt, welche den ChinesInnen und den RussInnen nicht zu gefallen scheinen. Unter anderem geht es um die sehr späte Pandemie-Warnung der WHO beziehungsweise des Generaldirektors Gebrejesus und an die Hindernisse, welche China der Expertenmission zur Untersuchung des Ursprungs der Pandemie in den Weg gelegt hat.

Was haben wir noch? Zwischen Israel und der Hamas herrscht wieder der gleiche Burgfrieden wie vor Ausbruch der Auseinandersetzungen, nichts Neues also; die Chinesinnen haben ebenfalls einen Roboter auf dem Mars abgesetzt; der Erdölpreis steht für die Qualität Brent wieder bei knapp 70 Dollar pro Fass, nachdem wir uns irgendwann in jüngster Vergangenheit mal kurzfristig die Augen aus dem Kopf gestarrt hatten, als der Erdölpreis kurzfristig unter null sank, so wie die Bankzinsen, sich dann allerdings wieder recht schnell erholte, wie man sieht. In den letzten drei Jahren ging es von fast 90 Dollar im Herbst 2018 runter auf 50 Dollar anfangs 2019, dann für eine längere Periode auf 60 bis 70 Dollar, um dann anfangs 2020 abzutauchen, naja, eigentlich nicht im großen Umfang auf null Dollar, sondern eher auf 20 Dollar, aber immerhin, worauf dann bis im Herbst wieder die Erholung auf etwa 40 Dollar folgte, und ab Dezember 2020 kletterten die Preise wieder regelmäßig.

Ebenfalls markante Ausschläge sieht man auf der Bitcoin-Kurve. Vor einem Jahr stand der Preis bei 9000 Dollar, im Dezember 2020 bei 10'700 Dollar, zu Weihnachten 2020 waren es dann bereits 24'000 Dollar. Am 9. Januar 2021 notierte die Cyberwährung bei 40'000 Dollar, am 12. bei 34'000 Dollar, am 14. bei 39'000 Dollar und am 27. bei 30'400 Dollar, worauf ein schöner Anstieg einsetzte auf 57'500 Dollar am 21. Februar. Nach einem Zwischentief gings weiter nach oben auf 61'200 Dollar am 13. März, und am 13. April war der Höhepunkt erreicht mit 63'558 Dollar. Seither war die Bewegung negativ, nicht ganz linear; am 8. Mai erreichte man nochmals 59'000 Dollar, aber dann tauchte der Bitcoin wieder bis auf 34'716 Dollar am 23. Mai. Was soll man dazu sagen: Glückwunsch all jenen, die damit reich geworden sind, aber eines steht fest, nämlich dass der Bitcoin von allem Anfang an keine Währung war und in absehbarer Zeit auch keine sein wird, denn eine Währung, die ihren Wert innerhalb eines Dreivierteljahres versechsfacht, so etwas kann man einfach nicht gebrauchen, ganz abgesehen davon, dass sie offenbar Strom verbraucht wie Sau.

Diesen Energieverbrauch hat offenbar auch Papst Franziskus kritisiert, aber ich denke, ihm ging es im Grunde genommen eher um den Kult ums Geld als um den Umweltschutz. Wer wollte es ihm verdenken.


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Albert Jörimann
25.05.2021

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