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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Unternehmen gegen Staaten
Anfang Dezember schrieb der englische Guardian über eine neue Praxis internationaler Unternehmen, und zwar anhand des Beispiels eines geplanten neuen Kohlebergwerks in Whitehaven in der Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands. Die konservative Regierung hatte das Projekt genehmigt, einschließlich der Umweltverträglichkeitsprüfung; sie stellte fest oder erklärte gerade heraus, dass weder die Förderung noch der Verbrauch, sprich die Verbrennung der Kohle einen Einfluss auf die Umwelt hätten.

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Der Aufschrei war laut; im Jahr 2024 fand ein Prozess vor dem obersten Gericht Englands statt, welches der Umweltorganisation Friends of the Earth Recht gab und die Begründung der konservativen Regierung zurückwies. Die Labor-Regierung annullierte darauf hin die Konzession. Das ließ aber die Konzessionärin nicht auf sich sitzen; sie reichte Klage ein gegen die englische Regierung, und zwar auf Erstattung jener Gewinne, welche das Unternehmen hätte erzielen können, wenn es das Bergwerk hätte in Betrieb nehmen können. Das Unternehmen hat seinen Sitz auf den Cayman-Inseln, und die Klage wurde vor einem Gericht in Washington D.C. eingereicht, und zwar im Rahmen des «Investor–State Dispute Settlement ISDS», also der Beilegung von Auseinandersetzungen zwischen Investoren und dem Staat. Dieses Verfahren bildet offenbar seit einiger Zeit einen Bestandteil von Handelsabkommen; darin wird unter anderem festgehalten, dass das ISDS Vorrang hat gegenüber dem inländischen Recht. Somit wird es jetzt zunehmend von internationalen Firmen angewendet; laut dem Guardian haben sich sogar einige Hedgefunds darauf spezialisiert, solche Prozesse zu finanzieren. Als Gegenleistung erhalten sie einen Teil der erzielten hypothetischen Gewinnherausgaben oder anderer Entschädigungen. Geschätzte Hörerinnen und Hörer in Erfurt, erkundigt euch doch mal bei Gelegenheit bei euren Bundestagsabgeordneten, zum Beispiel bei jenen der Allianz für Deutschland, in Bezug auf das Investor–State Dispute Settlement ISDS.
Ich komme nicht ganz zufällig darauf. Letzte Woche hat die EU beschlossen, die Guthaben definitiv einzufrieren, welche die russische Zentralbank bei europäischen Banken stehen hat. Ein großer Teil davon befindet sich in Belgien, weshalb bei den belgischen Politikerinnen auch die Alarmglocken geläutet haben. Weder Belgien noch die EU befinden sich offiziell im Krieg mit Russland, das heißt, zunächst ist noch kein Kriegsrecht anwendbar, von dem ich übrigens so gut wie nichts weiß; ich gehe einfach davon aus, dass auch in kriegerischen Auseinandersetzungen die Grundstrukturen des Vertragsrechts zwischen Unternehmen und sogar Staaten weiter bestehen. Wie gesagt, zwischen der EU und Russland herrscht nach wie vor kein Krieg, auch wenn mehr oder weniger jede Woche neue Sanktionen der EU gegen Russland verhängt werden; deren Stellung im internationalen Recht kenne ich ebenfalls nicht, aber offenbar gibt es hier bisher keine nennenswerten Auseinandersetzungen. Wobei – der Guardian schreibt von der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage am 18. November 2025, aus welcher hervorgeht, dass der russische Oligarch Michael Friedman eine ISDS-Klage eingereicht habe gegen England wegen der gegen ihn verhängten Sanktionen durch das Land. Zuvor hatte er bereits eine ISDS-Klage gegen Luxemburg eingereicht; er fordert darin 16 Milliarden EUR Entschädigung, was laut dem Guardian der Hälfte der jährlichen Gesamteinnahmen des luxemburgischen Staates darstellt. Der Rahmen dafür bildet ein bilaterales Investitionsabkommen zwischen Belgien und Luxemburg auf der einen, Russland auf der anderen Seite. Ja, eben Belgien; die wissen somit, was sie zu erwarten haben. Ob Michael Friedman mit seiner Klage gegen Luxemburg durchkommt, ist nicht sicher respektive es ist höchst unwahrscheinlich, aber möglicherweise erhält er einen Teil seiner Forderungen zugesprochen, so ein kleines Milliärdchen ist doch auch für einen gestandenen Milliardär nie zu verachten. Als Schmankerl kann ich noch anfügen, dass zum Anwältinnen-Team von Michael Friedman gegen Luxemburg die Frau von Tony Blair gehört, Cherie Blair. Die, wie gesagt auf den Cayman-Inseln domizilierte West Cumbria Mining Holdings, die gegen England klagt, kann dagegen auf die Dienste des ehemaligen britischen Generalstaatsanwalts und Mitglied des Parlaments Geoffrey Cox als Rechtsvertreter zählen. Und insgesamt, schreibt der Guardian, haben vor allem Erdöl- und Bergbaufirmen mit einigem Erfolg gegen staatliche Umweltschutzvorschriften geklagt und bisher 84 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz zugesprochen erhalten, im Durchschnitt 1.2 Milliarden US-Dollar pro Fall. An eine solche Variante der Klimaverschmutzung habe ich bisher noch nicht gedacht, auch wenn mir diese Volte nur folgerichtig erscheint, nachdem zwei Klimaschutzgipfel von Saudiarabien und Aserbaidschan ausgerichtet wurden und jener von Brasilien in einem Gebiet stattfand, welches die Regierung Lula zur Erdölprospektion frei gegeben hat. Da sind die hirnverbrannten Schreie von Alice Weidel nach Einreißen von Windkraftanlagen nur ein Hauch, ein kleiner Windstoß dagegen, vielmehr sie sind gerade das, was sie sind: hirnverbrannte Schreie einer Nachfahrin von Don Quichottes Eselstreiber Sancho Pancha. Eben: von der Satscha Pantscha.
Welche Wege das Recht des Stärkeren auch immer nimmt, es pflegt sich durchzusetzen. Die Zeit elementarer Rechtssicherheit in den internationalen Beziehungen ist abgelaufen. Vor einem Monat haben die Vereinigten Staaten einen chinesischen Frachter in internationalen Gewässern aufgebracht und seiner Fracht entledigt; es seien Dual Goods gewesen, Waren, die man sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwenden könne, die da auf dem Weg in den Iran waren. Auch diese Meldung hat mich leicht erschüttert nach der Beschlagnahmung einer Tankerladung venezolanischen Erdöls in der Karibik. Es ist ja nicht so, dass ich besondere Sympathien hege für die religiösen Eiferer im Iran oder für den Katastrophenwirtschaftler Maduro in Venezuela oder gar und überhaupt für die Weltmacht China, aber die Vorstellung von Rechtssicherheit hielt ich bisher immerhin für elementar, auch im internationalen Handel, auf dem der gesamte Reichtum unserer Gesellschaften beruht. Nun, auch das Recht des Stärkeren hat seine schöne Seite, da weiß man auf jeden Fall, wer am Drücker ist; und als langjähriger Praktikant der materialistischen Dialektik weiß ich natürlich auch, dass Stärke kein ewiges Phänomen ist und bei Gelegenheit die Seiten wechselt und dazu ganz verschiedene Formen annehmen kann. Im Moment wird die juristische Stärke, welche dazu führt, dass sich Privatunternehmen aufgrund der ISDS-Klauseln gegen ganze Staaten durchsetzen können, unterfuttert nicht nur von der wirtschaftlichen, sondern auch der militärischen Potenz der anderen Staaten, gegen welche diese Unternehmen kaum einmal Klage einreichen werden, also vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die zunehmende Frustration ganzer Weltteile nicht einfach zum Kuschen vor den USA führt, sondern auch zu Überlegungen, wie man diesem Land in die Parade fahren kann. Man denkt unwillkürlich an die Covid-Pandemie und kratzt sich etwas am Kopf, wenn man sich überlegt, was die in den Vereinigten Staaten gerade für einen Gesundheitsminister haben. Euren damaligen Gesundheitsminister habt ihr in Deutschland ja wenigstens diesbezüglich deaktiviert.
Die andere Frage jedoch, nämlich jene nach einem rechtlich zulässigen Zugriff auf russische Vermögenswerte, egal, ob von Einzelpersonen oder des Staates, bleibt für mich offen. Auch hier brauche ich nicht aufgrund von Sympathien oder Antipathien zu gewichten; grundsätzlich stimme ich allem zu, was dazu führt, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Immerhin finde ich jene Konzession des ukrainischen Regierungschefs Selenski bemerkenswert, der nun nicht mehr um jeden Preis auf einer Nato-Vollmitgliedschaft beharrt. Dies, also die Furcht vor einem Beitritt oder vor der vollen Unterstützung durch die Nato, war militärisch gesehen zweifellos der wichtigste Grund für Russland, die Ostukraine und die Krim zu besetzen. Wenn das vom Tisch ist, bleibt in den Verhandlungen immer noch zu regeln, wie der Status der Ukraine nicht nur aussehen soll, sondern auch kontrolliert werden kann. Selenski fordert dafür felsenfeste Sicherheitsgarantien; ich gehe davon aus, dass vor allem Russland dafür felsenfeste Sicherheitsgarantien verlangt. Bleibt die Frage der Integration der Ukraine in die EU-Wirtschaft zu klären. Auch hier sind massive russische Interessen im Spiel, welche man nicht einfach so vom Tisch wischen kann, wie die letzten vier Jahre gezeigt haben. In der Theorie gilt für die Ukraine nach wie vor, dass sie sich idealerweise als Scharnierstaat zwischen der Europäischen Union und Russland definieren sollte, und so etwas erscheint durchaus als möglich, wenn man mal die Einwände von polnischer Seite beiseite lässt. Und wenn man den Dummkopf Rütte zum Schweigen bringt, der immer wieder behauptet, Europa sei das nächste militärische Ziel Russlands. Welch ein bodenloser Blödsinn, heraustrompetet ohne jede Not von diesem politischen Überlebenskünstler, von dem niemand weiß, weshalb man ihm die Nachfolge von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär anvertraut hat. Man erinnert sich mit Grausen an seine Äußerung, dass die Lastwagenhupe nun mal so sei wie ein gestrenger Vater.
Ich weiß gar nicht, ob ich das im ZDF-Politbarometer gesehen habe, jedenfalls gab es eine Umfrage, die belegt, dass viele Menschen in Deutschland ihre persönliche Zukunft mindestens für das nächste Jahr durchaus optimistisch sehen, im Gegensatz zur verrotteten Lage der Welt und natürlich Deutschlands im Speziellen. Diese Beobachtung habe ich auch schon gemacht, nicht nur für Deutschland. Es geht den Menschen in Europa im Durchschnitt durchaus anständig, auch wenn es immer besser gehen könnte und wenn nach wie vor zahlreiche Personen unter prekären Bedingungen leben und arbeiten müssen. Dass man an der Behebung solcher Missstände arbeiten muss, scheint mir nicht nur selbstverständlich, sondern auch mehr oder weniger allgemeiner Konsens zu sein. Ich will damit nicht das ziemlich schändliche Gerangel rund ums Bürgergeld und um Sanktionen und so weiter schön reden; solche Diskussionen sind ja nicht neu, sie leben immer wieder auf und scheinen einem politischen Grundbedürfnis in den Köpfen der Wählerinnen zu entsprechen, irgendwie und entfernt im Rahmen einer vermuteten sozialen Gerechtigkeit, wo auch die Benachteiligten einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten haben. Vermutlich ist es im politischen Prozess viel wichtiger, gewisse Energien in solche Diskussionen zu kanalisieren, ebenso wie in die Ausländerfeindlichkeit, statt die bestehenden Interessengeometrien neu anzuordnen oder sogar die Superreichen auch nur ansatzweise ähnlich hoch zu besteuern wie zu Zeiten Adenauers und Erhardts. Seither ist das Kapital und sind weniger die Kapitalisten als vielmehr die Kapitalmanager viel internationaler und flüchtiger geworden, wie der Alkohol im Parfum. Das ändert nichts daran, dass Reichtum nach wie vor stinkt, respektive er stinkt in einem ungeahnten Ausmaß in einem Zeitalter, wo eine einfache Millionärin eigentlich nur noch wie eine Bettlerin angesehen werden muss angesichts von Vermögen wie der halben Billion einiger wirklich verachtenswerter Vögel in den Vereinigten Staaten. Die Maßstäbe haben sich innerhalb von zehn Jahren deutlich verschoben, vor allem im Zusammenhang mit der Digitalwirtschaft, aber im Fall von Elon Musk auch mit Elektroautos und Weltraumfahrt. Seltsam ist das, und ärgerlich ist, dass wir noch keine griffigen politischen Antworten gefunden haben bis auf jene, dass die flüchtigen Superreichen am Schluss halt mit den SpaceX-Raketen irgendwohin transportiert werden, wo sie garantiert keine Steuern mehr bezahlen müssen.
Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.
Albert Jörimann
Heute