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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Untertanenmentalität

Möglicherweise liegt Kratzbuckeln und Arschlecken doch in der Natur des Menschen. Darauf verweisen jedenfalls die Weltmeisterschaften in diesen Disziplinen, die im Moment in den Ver­einigten Staaten am Laufen sind. Unser Mit-Weltbürger und FIFA-Präsident Gianni Infantino belegt dabei zuverlässig Spitzenplätze, man möchte ihn fast schon als Arschwurm bezeichnen oder als Arsch-Aal, der es sich im Dickdarm von Donald Trump bequem gemacht hat.

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Servilität kann man aber auch außerhalb des Darmtraktes beobachten. Eine Frage, die selten öffentlich diskutiert wird, aber immer in der öffentlichen Diskussion mitschwingt, ist jene nach der Autoritätsgläubigkeit des russischen Publikums. In der Regel geht man davon aus, dass die Untertanenmentalität in der Tiefe des Landes seit den Zeiten des Zarentums ununterbrochen fort besteht, dass sich auch die kom­mu­nis­tische Befreiungsbewegung in Russland nur deswegen an der Macht halten konnte, weil sie relativ schnell autoritäre und unterdrückerische Strukturen annahm und zur Grundlage der staat­li­chen Organisation machte, nachdem sie für kurze Zeit in den Städten und in den industriellen und intellektuellen Ballungsgebieten für frischen Wind gesorgt hatte. Danach und nicht zuletzt unter dem Druck der westlichen Geldgeber im Bürgerkrieg, aber auch der misslichen Erfahrungen im wirtschaftlichen Bereich militarisierte sich die Organisation zunehmend und nahm bald jene Form staatlichen Zwangs an, welche als Stalinismus bezeichnet wird, auf deren Gegenseite aber eben eine Bevölkerung steht, welche so etwas überhaupt schluckt, die also eine Untertanen- und Unter­ta­nin­nen-Dis­po­sition beinhaltet. Dies ist nicht einfach Propaganda, sondern eine elementare Frage der Staatskunde, die man eben im Moment auch in den Vereinigten Staaten zu diskutieren hat, aller­dings in anderer Form und unter anderen historischen Umständen. In Russland dagegen kann es sein, dass die Regierung Putin deshalb so nachhaltig ist, weil sie darauf zählen kann, dass im russischen Volkskörper kein antiautoritäres oder gar demokratisches Lüftchen zu spüren ist; allenfalls regen sich da und dort regionale oder nationalistische Gelüste, die aber sich auf eine ähnlich autoritäre Grundlage abstützen wie im russischen Volkskörper. Wie immer übrigens mit Ausnahme der selbst denkenden Köpfe und klandestinen Organisationen in den städtischen und industriellen Ballungsgebieten, wo die Selbstdenkerei mehr oder weniger aus der gesellschaftlichen Organisationsform hervorgeht.

Also, Klartext: Sind die Russinnen und Russen von Natur aus geborene Untertaninnen? – Ge­schätzte Hörerinnen und Hörer in Erfurt, ich habe keine Ahnung. Die Vernunft sagt mir, dass so etwas unmöglich ist. Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, soviel lässt sich sagen, aber ser­vil sind sie mit Sicherheit nicht von Natur aus, nur schon deswegen, weil sich der Mensch eben gerade dadurch als Mensch auszeichnet, dass er jenes Verhalten überwindet, das an ihm natürlich sein könnte. Seine Natur ist unnatürlich oder übernatürlich. Was dagegen bereits beobachtet wurde, ist die Tatsache, dass man sich an sein Umfeld gewöhnt und sich sein Leben darin einzurichten beginnt. Wenn ich mir hier übrigens einen Abstecher erlauben darf: Einen Nachhall solcher Gewöh­nung an die Lebens­umstände finde ich immer wieder in den neuen Bundesländern, zuletzt sehr stark spürbar bei unse­ren Ferien auf der Ostseeinsel Hiddensee, welche mir wie ein Bade- und Pflegekur­ort erschien, wo die familiäre Atmosphäre der früheren DDR am Leben und in Ehren gehalten wird. Es hat dort auch kaum Menschen, die nicht aus dem Osten oder mindestens aus dem Ostseeraum stammen. Nun habe ich überhaupt nichts gegen das Familiäre und insgesamt gegen freundliche Menschen ein­zu­wenden; für mein Teil möchte ich nur dazu auffordern, dieses Familienverständnis auszudehnen und auch mal etwas weiter entfernte Verwandte hereinzulassen. Das kann ganz schöne Ergebnisse bringen. Es ist nur konsequent, wenn ich jene Umstände zitiere, in denen ich mein eigenes Leben eingerichtet habe, nämlich jene in der kleinen Großstadt Zürich; hier wohnen Menschen aus mehr Ländern, als es auf der Welt überhaupt hat, ziemlich friedlich zusammen und kommen im Kleinen wie im Großen recht gut miteinander aus, wenn ich mal in unserem Haus zusammenrechne, sind das Leute mit Ursprüngen in Kuba, in Finnland, in Serbien, in der Türkei, im Irak, in Somalia, in den Niederlanden, in der Mongolei, in England und natürlich viele aus Deutschland und nicht zuletzt in der Schweiz. Wenn Ihr also bei Gelegenheit Hiddensee ähnlich einrichten möchtet wie unser Wohnhaus, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.

Das hat noch nicht so viel mit dem berühmten autoritären Charakter, also der Neigung der Individuen, sich im Kollektiv unterzuordnen, zu tun, sondern nur mit der Tatsache, dass es sich der Mensch mehr oder weniger aus Überlebenswillen in der vorgegebenen Umgebung bequem machen will, und wenn die vorgegebene Umgebung halt irgendeine Form von Diktatur ist, egal, ob sie sich Demokratie nennt oder nicht, dann richtet man es sich halt dort ein und hat deswegen noch nicht zwangsläufig alle möglichen Ärsche geleckt. So, stelle ich es mir vor, so ergeht es den durchschnittlichen Menschen im großen Russland und vor allem außerhalb der Ballungsgebiete; darin findet sich keinerlei Beleg für den oft zitierten Untertaninnenencharakter des russischen Volkes, welcher Erscheinungen wie den Wladimir Putin erst möglich machen würde. Dann stellt sich aber die Frage, wie man denn solche Umgebungen und Umstände verändern könnte zugunsten einer Befreiung der Individuen, welche sich dann mehr oder weniger demokratisch von der Basis her organisieren könnten und sollten, und hier muss ich in absoluter Ermangelung jeglicher Kenntnisse der Verhältnisse vor Ort die Fahnen streichen. Ich kapituliere!

Immerhin und im Zusammenhang mit den Mutmaßungen über die russische Bevölkerung und über den russischen Staat und insonderheit über den Krieg gegen die Ukraine möchte ich doch noch folgende Randbemerkung platzieren: Seit einiger Zeit ist bei mir der Freitagabend nicht mehr der Abend zum Über-die-Stränge-Hauen, also weder mit Alkohol noch kulturell, sondern habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Heute-Show und das Magazin Royale im Zweiten Deutschen Fernsehen anzuschauen und finde dort oft lustige Dinge, übrigens häufig dort am besten, wo sich Oliver Welke über sich selber lustig macht, aber auch sonst. Die beiden Formate greifen oft die gleichen Themen auf, was für Satiresendungen nicht ganz abwegig ist. Am letzten Freitag gab es zwei Mal ein großes Jammertal zum hybriden Krieg, den Russland gegen das Abendland führt. Der Höhepunkt der Beweisführung betraf Wegwerf-Agentinnen, welche für fuffzig Euro Aufträge im Dienste des russischen Ausland-Geheimdienstes ausführen, namentlich und bei den letzten Bundestagswahlen verstopften solche Wegwerfagenten die Auspuffsrohre von Verbrenner-Automobilen und hinterließen Umweltschutz-Propagandamaterial und insonderheit Fotos des grünen Ministers Robert Habeck. Damit sollte offensichtlich die politische Stimmung gegen die Grünen aufgeheizt werden. Mein lieber Schwan! Dafür braucht es doch nicht den russischen Geheimdienst! Das besorgt Markus Söder ganz von alleine! Für eine solche Sorte von hybrider Kriegsführung möchte ich mich also bedanken beziehungsweise sie ohne Dank ablehnen. Solcher Kinderkram kommt bei mir nicht mal an der Nasenscheidewand vorbei, während er in der Heute-Show und im Magazin Royale für vollmundige Satire sorgte. Dass die Russinnen und Russen Daten abgreifen beziehungsweise abzugreifen versuchen, kann nur ein kompletter Hohlkopf als Skandal ablegen. Was tun denn die deutschen, polnischen, schwedischen, französischen Geheimdienstes anderes als möglichst alle Daten abzugreifen, deren sie habhaft werden können? Sollen wir vielleicht noch ein Wort über die US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste äußern? Mit dem Abgreifen von Daten beziehungsweise dem Versuch dazu ist immer der Zugriff auf die Steue­rung von Infrastrukturen verbunden beziehungsweise der Versuch dazu, aber das versteht sich nun mal einfach von selber. Was wollen die Damen und Herren auf den Redaktionen dieser Satire­for­ma­te damit beweisen? Nun, beim Magazin Royale war es klar: Jan Böhmermann versucht halt seit Jahr und Tag, die Abgeordneten der Allianz für Deutschland als Putins Vertrauensleute in Deutschland darzustellen. So ganz unrecht wird er damit nicht haben, aber besonders sicherheitsrelevant ist das nicht. Man kann sich allenfalls fragen, was es mit der Häufung von Drohnensichtungen über militärischen oder eben Infrastruktur-Einrichtungen auf sich hat; aber von jenem Punkt an, da man die Drohnenabwehr einigermaßen stabil eingerichtet hat, kräht kein Hahn mehr danach und auch kein Huhn. Insofern müsste man solche Drohnensichtungen als PR-Veranstaltung der Drohnen­abwehr produzierenden Industrie einstufen; davon wiederum abgesehen handelt es sich beim Drohnenkrieg tatsächlich um eine neue Kriegsvariante, auf welche man tatsächlich reagieren muss, daran führt kein Weg vorbei. Nur hat das alles nichts mit Russlands Cyberkrieg zu tun.

In ein ähnliches Kapitel geht das Geschrei über eine angebliche Kriegserklärung Russlands an Europa. Putin hat gesagt, dass Russland nicht vor Krieg zurückschrecke, wenn Europa denn Krieg gegen Russland führen wolle. Die interessierten Kreise drehen diese Aussage nun so, als ob Russ­land damit eine Kriegsdrohung gegen Europa ausgestoßen habe. Dass dies völliger Schwach­sinn ist, wissen auch jene Leute, die am lautesten schreien. Russland will tatsächlich keinen Krieg gegen Europa, hierin haben die Leute von der Allianz für Deutschland absolut recht, und es ist schön zu wissen, dass sie wenigstens in einem Punkt recht haben. Russland macht seinen Anspruch auf die Ukraine geltend, weil es die Ukraine als Teil seines Einflussbereiches ansieht zum einen, zum anderen noch nicht so schwach ist, dass es sich diesen Einflussbereich einfach so zertümmern lässt, wie es die Europäische Union unter der Brühwurst Barroso und unter dem Einfluss der russophoben Polinnen und Polen seit bald zwanzig Jahren versuchen. Das Ergebnis ist bekannt und alles andere als lustig, versteht sich; aber eine wirkliche Bedrohung für Europa entsteht erst dann, wenn es sich Europa oder die Nato einfallen lassen, an der Seite beziehungsweise auf dem Territorium der Ukraine aktiv in den Krieg gegen Russland einzutreten. Solange dies nicht der Fall ist, ist das Geheul von Cyberkrieg und Kriegsdrohungen Schwachsinn.

Was selbstverständlich nicht heißt, dass man den Krieg in Europa weiterhin gleich und neben­säch­lich behandeln kann, wie dies in den letzten dreißig Jahren der Fall ist. Die Entwicklung der Kriegstechnik zwingt alle Länder dazu, sich anzupassen und in diesem Sinne aufzurüsten. Der Drohnenkrieg ist eine Komponente davon, er ist eng verbunden mit der epochalen Umwälzung durch die Digitaltechnik mit unendlich viel stärkeren Möglichkeiten der Erfassung nicht nur geografischer Daten in Echtzeit, sondern eben auch der Infrastrukturnetze. Dies, verbunden mit digital gesteuerten Waffen, hat komplett neue Voraussetzungen geschaffen, unter welchen auch die Streitkräfte ganz neu aufgestellt werden müssen. Damit ist nicht zwingend eine klassische Remilitarisierung erforderlich, welche auch die Militarisierung der Köpfe umfasst, vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall. Die Organisation findet zunehmend im Hinterland statt, für die Nato zum Beispiel in Rammstein, und die Operateure sind eher Call Boys oder Playboys mit ihren Joysticks als die Soldatinnen an der Front. Ich kenne mich da bei weitem nicht aus und kapituliere auch insofern, aber dass der moderne Staat hier aufrüsten muss, das leuchtet unmittelbar ein.



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Albert Jörimann
09.12.

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