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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ägypten
Dass Israel Zeit und Ressourcen hat, neben der Vertreibung der Palästinenserinnen aus dem Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer auch noch den Iran anzugreifen, erstaunt mich nicht wenig und bringt mich zur Vermutung, dass wir hier Zeuge werden einer neuen Epoche der Kriegsführung.
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Die Grundzüge davon hat man gesehen mit der Ausschaltung der Führungsspitzen von Hisb’Allah und Hamas; die Zerstörung jedes einzelnen Hauses im Gazastreifen dagegen wurde bereits mit den Flächenbombardementen im Zweiten Weltkrieg erfunden, begonnen mit den Angriffen von Deutschland auf London und kulminiert mit der Auslöschung von Dresden und anderen Städten oder Stadtteilen. Nun aber wird die satellitengestützte Angriffstechnik auf ein ganzes Land angewendet, das man natürlich nicht flächendeckend zerstören kann, dafür reichen die Sprengstoffreserven nicht aus, aber die gezielten Angriffe werden ihre Wirkung auf jeden Fall entfalten. Das ist vergleichbar mit der Einführung des Schießpulvers gegen Ende des Mittelalters oder dem Auftreten verschiedener neuen Waffensysteme neben organisatorischen und taktisch-strategischen Entdeckungen, die in den letzten zweihundert Jahren auf den Markt gekommen sind. Heute hat man den Eindruck, der ganze Iran liege auf dem Präsentierteller des israelischen Generalstabs. Unter anderen Umständen hätte man vermutet, dass die gewaltige Entfaltung der israelischen Kriegsmacht bei Gelegenheit zu Gegenreaktionen führen müsse, welche ihrerseits den israelischen Staat in seiner Existenz bedrohen; aber offenbar hält sich mindestens das israelische Militär selber für praktisch unverwundbar. Daraus können wir Querschlüsse ziehen zum US-amerikanischen Militärapparat, welcher eins zu eins gekoppelt ist mit dem israelischen. Kriegstechnisch ist diesem Gespann im Moment wohl niemand ebenbürtig; das bedeutet, dass man vom Iran per Saldo, also nach Versand der letzten Mittelstreckenrakete, nur noch Kamikaze-Aktionen zu erwarten hat, während Gegenreaktionen in der Breite unwahrscheinlich erscheinen. Kamikaze kann bedeuten, dass die Damen und Herren den persischen Golf blockieren; je nachdem ist mit Terroranschlägen zu rechnen. Und selbstverständlich bleibt der Sturz der schiitischen Regierung immer eine Option; dass der Iran durchseucht ist mit Spioninnen im Dienste Israels, wissen wir seit langem, was wir nicht wissen, ist, wie weit die Agentinnen innerhalb der Revolutionsgarden vorgedrungen sind, denn dort muss man das faktische Machtzentrum vermuten. Selbstverständlich überlegt man sich in Tel Aviv auch die Elimination der religiösen Führung; dass es noch nicht dazu gekommen ist, hängt weniger mit moralischen Skrupeln zusammen als mit der Unberechenbarkeit der Entwicklung im Lande selber, am Rande vielleicht noch damit, dass sich Israel damit komplett in einen Paria-Staat verwandeln täte, was es mit Netanyahu allerdings schon länger zu großen Teilen geworden ist. Darüber hinaus reicht meine Fantasie im Moment nicht.
Daneben fragt man sich, ob die sunnitische Welt die vernichtende Machtdemonstration des amerikanisch-israelischen Gespanns nicht auch mit einem Stirnrunzeln beobachtet. Die ohnehin schon gewaltige Empörung in der Bevölkerung dürfte kaum gemildert werden von der Einsicht in die Übermacht des imperialistischen Gespanns. Was für Berechnungen stellt der israelische Generalstab für diese politische Kraft an? Im benachbarten Ägypten wohnen über 100 Millionen Menschen, und wenn auch nur ein Viertel davon findet, es sei jetzt genug mit der toleranten Haltung ihrer Regierung gegenüber der Regierung in Israel, dann kann das die Temperatur deutlich hoch fahren. Die Saudis und die Golfstaaten fallen bevölkerungstechnisch weniger ins Gewicht. Sie wissen sowieso, dass sie vor allem anderen eine leistungsfähige digitale Infrastruktur aufbauen müssen, bevor sie auch nur einen Gedanken an die militärische Dimension verschwenden können. Die etwas weiter entfernt wohnenden Pakistani werden immer wieder mit Auseinandersetzungen mit Indien bei Laune gehalten, abgesehen davon, dass sich die schiitische Regierung in Teheran wohl auch dort keiner besonderen Beliebtheit erfreut.
Eins steht fest: Der früheren Situation mit den regelmäßigen Raketenangriffen, verbunden mit kindischen Drohungen und Weltuntergangs-Rhetorik, von Seiten von Hisb’Allah und Hamas braucht man auch nicht nachzutrauern. Dass die Hoffnung auf eine ebenso vernünftige wie friedliche und menschenwürdige Lösung meterdick unter dem Schutt der Trümmer in Gaza begraben liegt, ist ein weiteres Drama der Menschheit, über das man noch lange sprechen wird.
Eine andere Geschichte müsste sich jetzt langsam ihrem Ende zuneigen beziehungsweise einen vernünftigen Abschluss finden, wenn sie als halbwegs vernünftiger Ansatz gelten soll, nämlich die Geschichte von Ruhe und Ordnung in El Salvador. Nachdem es zuvor keiner politischen Kraft oder sonstwelchen Interessengruppen gelungen ist, in diesem Land einigermaßen friedliche Lebensbedingungen herzustellen, was ich für einen zentralen Wert für die normalen Menschen halte, hat sich Nayib Bukele mit brachialen Mitteln durchgesetzt und die Straßengangs aufgelöst, die zuvor den Alltag mit Gewalt durchsetzt hatten. Dass seine Methoden nicht durchwegs kompatibel waren mit den Vorstellungen eines zivilisierten Staats- und Polizeiwesens, ist ziemlich logisch. Umso wichtiger wäre es jetzt, die Sondergefängnisse möglichst speditiv aufzulösen, und zwar selbstverständlich zunächst durch die Freilassung von zu Unrecht eingesperrten Bürgerinnen und Bürgern, dann aber auch durch eine Art von Resozialisierung der Bandenmitglieder, während man die Anführerinnen in normale Häftlinge umwandeln sollte mit normaler Haftdauer und zu normalen Haftbedingungen. Für die Mitglieder kann die Resozialisierung durch so etwas wie Arbeitsintegrations- und Bildungsprogramme erfolgen. Das wäre ein echter Knaller und würde den gegenwärtig eher blechernen Heiligenschein um Bukeles Kopf recht stark vergolden. Ob er auf eine solche Idee kommt, ist mir allerdings völlig unbekannt. Unbekannt ist mir auch, wie weit man Bukeles Programm auf andere Länder übertragen könnte. In Mexiko zum Beispiel funktioniert so etwas nicht, weil die Kriminalität und die Legalität stark miteinander verflochten sind. Auf vertrackte Art und Weise sorgt die Kombination von Drogenhandel mit Zulieferindustrien für die Vereinigten Staaten für einen recht ansehnlichen Wohlstand, und den Preis der Rechtsunsicherheit mit einer stattlichen Anzahl von Personen, die immer wieder verschwinden, bezahlen nicht die wohlhabenden Bürger und die Touristinnen, sondern einfache Menschen. Seit einer Serie von Morden an Frauen im Norden des Landes ist die Weltöffentlichkeit besonders sensibel auf Femizide. Amnesty International schreibt im Jahr 2021, dass zwischen 2018 und 2020 mehr als 11'000 Frauen und Mädchen getötet wurden, also über 10 Personen pro Tag, während über 23'500 Frauen offiziell als verschwunden gälten; dazu seien über 150'000 Sexualstraftaten gekommen. Die Webseite statista gibt an, dass im Jahr 2023 in Mexiko 31'000 Menschen ermordet worden seien, wovon 3570 Frauen; die Zahlen sind nach den Höchstständen in den Jahren 2018 bis 2020 von 36'000 Morden leicht zurückgegangen. Die Gesamtbevölkerung beträgt 130 Mio. Einwohnerinnen, und damit steht die Mordrate bei ungefähr 25 auf 100'000 Menschen im Vergleich zu den benachbarten Vereinigten Staaten, wo sie bei 5 steht, also fünf Mal tiefer. Die Wikipedia gibt für die USA übrigens eine Mordrate von 6.4 an im Jahr 2022 und für Mexiko 26.1; Deutschland liegt mit 0.8 deutlich zurück, obwohl hier die Ausländerkriminalität den Ureinwohnerinnen kaum mehr Luft zum Atmen lässt. Jedenfalls wenn man die Radaubrüder und -schwestern von der Allianz für Deutschland reden hört. Was heißt da reden, zum normalen Reden sind die ja gar nicht in der Lage.
Das erinnert mich an den Amoklauf an einer Schule in Graz, bei dem zehn Menschen erschossen und elf verletzt wurden. Unterdessen fragt man sich bei solchen Ereignissen reflexhaft, ob da wieder ein ausländischer Täter am Werk gewesen sei, und zwar fragt man sich dies aus dem einfachen Grund, weil man sich das Geschrei, das Wüten und das Geifern der Ausländerfresserinnen spontan vor die Augen ruft, das in solchen Fällen jeweils zum Ausbruch kommt. In dieser Beziehung ist man zunächst erleichtert, wenn es sich herausstellt, dass der Amokläufer ein unbescholtener Steirer Schüler war. Gleichzeitig ruft man sich selber zur Ordnung, nur schon wegen der Formulierung «ob da wieder ein ausländischer Täter am Werk gewesen war», denn das «wieder» ist in keiner Art und Weise gerechtfertigt, vielmehr widerspiegelt es bereits die rechtsextreme Propaganda, welche die öffentliche Meinung schon so tief infiziert hat, dass man sie auch in sich selber entdecken muss. Ich hoffe, mit dieser Feststellung nicht pietätlos zu sein, vor allem, weil vor 23 Jahren ein ähnliches Ereignis am Gutenberg-Gymnasium die Stadt Erfurt in Angst und Schrecken versetzte. Ich möchte also nicht meinerseits diese Ängste instrumentalisieren, wenn ich darauf hinweise, dass für die rechtsnationalistischen Demagogen alles recht ist, um Stimmung gegen Ausländerinnen zu machen, während sie sich bei Vergehen, die von Landsleuten begangen wurden, immer aufs Maul setzen. Es wäre aber auch absurd, die AfD sagen zu hören, dass sie das Verbrechen verurteilt, obwohl es von einem Österreicher begangen worden ist.
Egal. Wir freuen uns auf den aktuellen G7-Gipfel in Kanada und in erster Linie darauf, womit es der Lastwagenhupe diesmal gelingen wird, die internationale Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es wird jedenfalls das erste Gruppentreffen der Weltelite, an welchem Eurer neuer Kanzler teilnimmt, und er wird wohl hoffen, dass er für den Moment nicht ins Zentrum des Interesses rückt, ungefähr so, wie er beim Treffen mit Donald Trump glimpflich davon gekommen ist. Vielleicht findet der G7-Gipfel auch eine Lösung für den Massentourismus, gegen den gegenwärtig vor allem in Spanien protestiert wird, während sich andere Orte wie zum Beispiel Paris eigentlich ganz prächtig von diesem Massentourismus ernähren. Nochmals andere Orte wie zum Beispiel Eixleben, Herbsleben, Walschleben, Tuttleben, Bischleben, Bindersleben, Bosleben-Wüllersleben, Witzleben, Gispersleben und vor allem Haßleben würden sich gerne ein Stückchen von diesem Massentourismus abschneiden, stelle ich mir vor; der Tourismus bringt bekanntlich nicht nur Probleme, sondern auch Einnahmen mit sich. Was sollten denn die erwähnten Orte tun, damit die internationale Gemeinschaft auf sie aufmerksam wird? Ich habe keine sicheren Rezepte, aber manchmal hilft es zum Beispiel, eine Milliardärin zu angeln. In meinem Umfeld kenne ich grad nur August François von Finck, den Sohn des AfD-Spenders August von Finck; August François hat seinen offiziellen Wohnsitz im steuergünstigen Pfäffikon, am Zürichsee gelegen, aber zum Kanton Schwyz gehörig, zum selben Kanton Schwyz, in welchem auch eure Santscha Pantscha ihren effektiven Wohnsitz hat, jene Alice Weidel, von welcher ihre Vorgängerin Frauke Petry sagt, dass sie völlig beliebig sei und, ich zitiere aus einem Interview im Zürcher Tages-Anzeiger: «Ich kenne sie persönlich, sie ist definitiv keine Extremistin. Aber sie hat sich dem Netzwerk von Sven Höcke und Götz Kubitschek, dem einflussreichen Vordenker aus Schnellroda, völlig ergeben. Sonst wäre sie gar nicht mehr da.» Naja.
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Albert Jörimann
17.06.