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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Unabhaengigkeitserklaerung
Man ist doch erstaunt, wie aus einer schlechten Streaming-Serie ein allgemeiner Strafzoll von 15 Prozent wird. In ihrer ersten Amtsperiode wurde die Lastwagenhupe allgemein als Clown betrachtet, der nur dann ruhig schlafen konnte, wenn seine Visage auf den Titelseiten aller Zeitungen auf der ganzen Welt abgedruckt wurde.
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Darin erinnert das Trumpeltier übrigens an Silvio Berlusconi selig, der allerdings von einer medialen Reichweite wie das Trump nicht einmal zu träumen wagte, wenn er auch in absoluten Zahlen mehr Geld scheffelte als die Lastwagenhupe. Übrigens, wenn wir grad dabei sind, hat es Trumps großes Vorbild, der Wrestler Hulk Hogan, vor lauter Trump-Überdruck innerlich zerrissen, der Abgang mit Tod war zwar nicht so groß und theatralisch wie die Darbietungen zu Lebenszeiten, aber eben, das hat mit dem Trump-Überdruck zu tun. Ist dies ein Vorbote der Implosion des Trumpeltiers selber? Vermutlich nicht, denn die Lastwagenhupe tut immer nur dergleichen, während es Hulk Hogan mit dem Donald offenbar Ernst war, und das ist gefährlich. Wie auch immer: Im Moment scheint es der Tröte zu gelingen, die internationalen Handelsgleichgewichte mithilfe seiner Zölle zu verändern, und das hätte ich diesem Zirkuspferd nicht zugetraut, denn eigentlich können solche Strafmaßnahmen gar nicht in die Kompetenz eines einzelnen Mannes fallen. Aber wenn die in den Vereinigten Staaten das halt toll finden und sich bei jeder Gelegenheit um das Trump anordnen wie in einem biblischen Gemälde von der Anbetung Mariaes oder von wem und was auch immer, dann ist das halt so; die Auswirkungen auf die Realwirtschaft dürften nicht so unmittelbar spürbar sein, wie sie jetzt gerade berechnet werden, einmal abgesehen davon, dass wir uns mitten in einer weiteren produktiven Revolution befinden, wo sich alle Länder sputen müssen, um nicht gnadenlos abgehängt zu werden.
Bilanz gezogen hat jedenfalls Prashant Newnaha, Analyst beim kanadischen Bank- und Finanzdienstleister TD Securities, wie folgt: Zölle von 15% auf Waren aus Europa, erzwungene Käufe von US-Energie und -Militärausrüstungen und keinerlei Zoll-Vergeltungsmassnahmen durch die EU – das ist nicht verhandelt, das ist Trumps Art of the Deal. So sieht es aus.
Dieses Trump ist also nicht nur ein dummer Clown, sondern auch noch frech obendrauf, und das muss nicht nur in Europa zur Erkenntnis führen, dass man gut daran tut, die Vereinigten Staaten in Zukunft nach Möglichkeit zu umschiffen. Gottseidank sind alle Güter, die bei uns konsumiert werden, schon längstens chinesischer Herkunft, da muss man nicht auf so vieles verzichten, am schmerzhaftesten für die einen ist wohl der Wechsel von Coca-Cola zu Pepsi Cola, ach was, von den Cola-Getränken zur guten alten Johannisbeer-Schorle. Dass man keinen US-amerikanischen Whisky trinkt, versteht sich von selber, man kann gut auf Canadian Club ausweichen. Die Kriegsflugzeuge der US-Amerikaner kann man auch nicht kaufen, weil die nur dann fliegen und schießen, wenn es das Pentagon erlaubt und auf Ziele, die das Pentagon freigibt, das ist schlecht für ein vermeintlich eigenständiges Heer. Und was Drohnen und Flugzeugabwehr angeht, so weiß man unterdessen in den übrigen Ländern der Welt, wofür man die Rüstungsmilliarden ausgeben muss: zur Erlangung der Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Genau, das muss das Ziel sein: eine Unabhängigkeitserklärung von den USA!
Vorderhand macht sich die deutsche Industrie ein paar Sorgen; auch international geht man davon aus, dass die Strafzölle der Lastwagenhupe Deutschland am stärksten betreffen werden. Auch von der Allianz für Deutschland hört man kritische Stimmen zu den Strafzöllen, zum Beispiel von ihrem wirtschaftspolitischen Sprecher Leif-Erik Holm, der vor etwas mehr als einem Monat schrieb: «Strafzölle sind nicht der richtige Weg, um der deutschen Automobilindustrie wieder zu mehr Wachstum zu verhelfen.» Allerdings sprach er da von möglichen Strafzöllen der Europäischen Union gegenüber China und dessen Elektromotoren. Zu den Trump-Zöllen habe ich in der Schnelle noch nichts gefunden von der Allianz für Deutschland, was mich nicht besonders verwundert, sehen die doch in Trump einen Alliierten. Da ist es einfach Pech, wenn der der eigenen Argumentation den Bauch aufschlitzt und die Eingeweide raus reißt. Da kann man nichts machen.
Israel dagegen hat sich offenbar entschlossen, die Bevölkerung im Gazastreifen nicht direkt, sondern in Raten verhungern zu lassen, das macht sich PR-technisch etwas besser, es erweckt den Eindruck, als hielten sich die an der Macht befindlichen Antisemiten um Benjamin Netanjahu doch noch an gewisse Grundprinzipien der Menschlichkeit. Dabei dürfte es sich allerdings nach den bisherigen Erfahrungen um Augenwischerei handeln. Das Ziel ist klar und explizit: ein einziges Land vom Mittelmeer bis an den Jordan. Dieses Ziel würde ja auch ich unterstützen, wie ich immer wieder sage, nur unter der Voraussetzung, dass die Palästinenserinnen in diesem Land ihrerseits Bürgerinnen mit vollen Rechten und mit jeder notwendigen Sorte von Mitsprache und Gleichberechtigung wären. Dass zu diesem Zwecke die Hamas deaktiviert werden muss, versteht sich von selber, ebenso wie der islamische Dschihad, welcher nicht nur im Gazastreifen gerne an die Stelle der Hamas treten würde. Aber die Ausschaltung der Hamas durch die Ausschaltung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens ist nicht einfach falsch, sondern es verstößt gegen alles, was die Zivilisation von der Barbarei unterscheidet, und es verstößt auch gegen alle moralischen Grundlagen, auf denen der Staat Israel sein eigenes Existenzrecht aufbaut. An dieser Stelle erinnere ich daran, dass diese Grundlagen von allem Anfang an, also seit dem Ersten Weltkrieg, ziemlich wacklig waren, an den Haaren herbeigezogen und von den Kolonialmächten in Palästina durchgesetzt, unterstützt vom Terror jüdischer Extremistinnen. So etwas kann oder muss man aber verzeihen respektive man muss versuchen, eine anständige Lösung für die daraus entstandenen Konflikte zu suchen; und ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass die dauerhafte Lagerung des Konfliktes und seine Bewirtschaftung vor allem durch die arabischen Staaten, aber zum Teil auch durch das Uno-Palästinenser-Flüchtlingshilfswerk keinen konstruktiven Beitrag in diesem Sinne dargestellt haben. Heute aber präsentiert sich die Situation anders, heute sollte man sich an eine produktive Ein-Staaten-Lösung machen, und wenn sie auch auf dem Weg über eine Zweistaaten-Lösung erreicht werden muss, wie dies der französische Präsident letzte Woche durch die Anerkennung Palästinas vorgeschlagen hat.
Zölle von nicht 15%, sondern von 50% erhebt die Lastwagenhupe auf Einfuhren aus Brasilien, und zwar wegen des Prozesses gegen Trumps Waffenbruder Jair Bolsonaro, der seine Abwahl ebenso wenig ertrug wie vor fünf Jahren das Trumpeltier und versuchte, den Regierungssitz in Brasilien zu stürmen, weshalb er jetzt vor Gericht steht. Die USA erlassen Einreiseverbote für die Richterinnen des brasilianischen Obersten Gerichtshofs und planen Sanktionen gegenüber einzelnen Verantwortlichen, zum Beispiel den zuständigen Richter Alexandre de Moraes, wie man sie in der Regel nur gegen Kriegsverbrecherinnen verhängt. Das Lustige am Ganzen ist, dass Brasilien von diesen Zöllen deutlich weniger betroffen ist als andere Länder, da seine Exportpolitik die USA weiträumig zu umschiffen versucht, auch wenn sich so etwas niemals zu hundert Prozent durchziehen lässt; dafür ist der US-Markt einfach zu groß. Aber Brasilien kann auf die Unterstützung Chinas zählen und ist daneben stark im Süd-Süd-Handel, ganz abgesehen von seiner wichtigen Stellung auf dem südamerikanischen Kontinent. Der Angriff der Lastwagenhupe auf die Gerichte und auf die Regierung Lula scheint immerhin deren Lager deutlich zu stärken. Ob das nachhaltig ist, wird sich weisen, aber zweifellos sind US-Strafzölle und -Sanktionen nicht geeignet als PR-Maßnahmen für die brasilianische Rechte.
Zwischendurch blicke ich auf die Schlagzeilen des Le Monde zu Afrika, welche unter anderem von zunehmenden Drohnenangriffen in den Ländern der Sahelzone durch die Al Kaida berichten; die wichtigsten Stützpunkte sowohl der militärischen Aktivitäten als auch für die Drohnenflüge befinden sich im Mali und in Burkina Faso. Der Islamische Staat dagegen hat ein neues Schwergewicht in Puntland errichtet, was nicht irgendwo in Finnland liegt, sondern eine autonome Provinz von Somalia an der Grenze zu Äthiopien ist. Von da aus versuchen die Jungs und Mädels des Islamischen Staates, auch in Äthiopien Fuß zu fassen. Im Kongo steht der ehemalige Regierungschef Joseph Kabila unter dem Verdacht, mit der von Ruanda unterstützten Rebellenbewegung M23 im Osten des Landes zu sympathisieren; allerdings handelt es sich hier wohl eher um eine Auseinandersetzung zwischen Kabila und seinem Nachfolger Felix Tschisekedi. Die Börse in Casablanca befindet sich auf einem Höhenflug, befeuert offenbar unter anderem von den Aussichten auf die Fußball-Weltmeisterschaften im Jahr 2030, die neben Portugal und Spanien sowie Uruguay, Paraguay und Argentinien auch in Marokko ausgetragen werden. A propos Fußball: Die marokkanische Frauen-Nationalmannschaft unterlag als Gastgeberin am letzten Samstag im Final der Afrika-Meisterschaften Nigeria mit 2:3. Marokko stellte mit Chizlane Chebbak immerhin die Torschützenkönigin des Wettbewerbs. Und dann gibt es im Le Monde noch einen Artikel über die enorme Freundschaft zwischen Italien und Algerien, nämlich auf der Grundlage von Erdgaslieferungen, auch in der Form von Flüssiggas. Parallel dazu wird auch die übrige wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut, und zwar unter dem Namen Mattei-Plan, was sich auf den Gründer des italienischen Erdölunternehmens ENI bezieht. Dieser starb unter mysteriösen Umständen im Jahr 1962, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass die italienische Erdölindustrie nicht von US-amerikanischen Firmen übernommen wurde, sondern eigenständig blieb und unter anderem Verträge mit der Sowjetunion abschloß. Zehn Jahre später, im Jahr 1972, gewann der Film «Il Caso Marrei» von Regisseur Francesco Rosi den Hauptpreis beim Filmfestival von Cannes, zusammen übrigens mit einem zweiten italienischen Film, «Die Arbeiterklasse geht ins Paradies». Jetzt wurde angekündigt, dass Italien und Algerien in Algerien gemeinsam ein Mattei-Institut ins Leben rufen wollen, das hauptsächlich im Landwirtschaftsbereich aktiv sein soll.
Diese Liebschaft zwischen Italien und Algerien zeigt die jüngsten Verlagerungen: Nicht mehr Frankreich ist der Lieblingspartner von Algerien in Europa, sondern eben Georgia Meloni; und nicht mehr Libyen ist der Lieblingspartner von Italien in Nordafrika, sondern eben Algerien. Und weiter zeigt es auch die Grenzen rechtsnationaler Politik in Italien auf: Italien ist auch unter der Herrschaft einer angeblich neofaschistischen Regierung ein Mittelmeer-Land. Das bedeutet nicht, dass es ein un-europäisches Land wäre; vielmehr ist Europa selber eben unter anderem auch ein Mittelmeer-Kontinent, abgesehen davon, dass Europa ja ein eigenes Binnenmeer besitzt in der Gestalt der Ostsee und ansonsten auch noch ein Atlantik- und ein Nordsee-Land ist. Gehört halt alles zusammen, irgendwie.
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Albert Jörimann
29.07.