Artikel
"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Künstliche Intelligenz
Im Feuerwerk der elektronischen Impulse, die unkontrolliert durch die Lastwagenhupe zucken und eine Unterschrift auf einem Präsidialerlass auslösen, kam es letzte Woche auch zur Verfügung, dass in Zukunft für H1B-Visa für qualifiziertes Personal eine Gebühr von 100'000 Dollar pro Kopf erhoben wird. Das schreckte die gesamte Wirtschaft aus dem Busch, denn die US-amerikanische Wirtschaft ist ebenso wie jede andere Wirtschaft vital abhängig vom Topf der internationalen Fachkräfte. Ja, auch Deutschland, wer hätte das gedacht!

> Download
Auch Deutschland kann sich nicht mehr ausschließlich auf die von Konrad Zuse entwickelte und im Zweiten Weltkrieg getestete Programmiererei verlassen! Dabei sieht man es den Kochtöpfen, welche bei den Vertreterinnen der Allianz für Deutschland oben auf dem Hals sitzen, sehr genau an, dass sie am liebsten den ganzen ausländischen Kram von C++, Microsoft Windows, Alexa und Siri verbieten und ebenso einreißen möchten wie die Windmühlen und allenfalls noch ein paar Progrämmchen von großen russischen Wissenschaftlern laufen lassen würden. Geht leider nicht. Ähnliches versuchen die Bosse der US-amerikanischen Wirtschaft der Lastwagenhupe zuzuflüstern. Die Berater, oder sollte man vielleicht besser sagen: das Pflege- und Wartungspersonal der Lastwagenhupe beeilten sich, umgehend zu versichern, dass dies nicht gelte für bestehende Visa. Die großen Internetfirmen haben trotzdem allen ausländischen Programmiererinnen, die sich momentan nicht in den USA befinden, einen Marschbefehl zugestellt, sie sollen sich sicherheitshalber umgehend in die Vereinigten Staaten verfügen, bis man etwas mehr Klarheit über diesen authentischen Furz erlangt hat, damit hier keine Sonderkosten in Millionenhöhe entstehen. Ansonsten herrscht weiterhin Konsternation weltweit nicht in erster Linie über den Pajazzo selber, sondern über die Tatsache, dass es der US-amerikanischen Wahlbevölkerung beigefallen ist, diese Anhäufung von Defekten aus dem Spektrum der Hirntätigkeit zum Präsidenten zu wählen. Offenbar kommt es schlicht und einfach nicht darauf an, was so ein Vogel sagt und tut, die Welt und die Gesellschaft werden das schon irgendwie aussitzen. In erster Linie warten sowohl die Welt als auch die Gesellschaft darauf, dass sich Trumps Vertreterinnen im Obersten Gericht der Vereinigten Staaten endlich einmal dazu aufraffen, ein Urteil zu fällen, das die Lastwagenhupe in ihre Grenzen weist; bis jetzt hat die These noch Bestand, dass es vielleicht konservative Richter sein mögen, die Trump da bestellt hat, dass sie aber trotz allem noch eine Ahnung haben von der Rechtssprechung beziehungsweise in erster Linie vom Verfassungsrecht in den Vereinigten Staaten, von dem ich selber nicht besonders viel weiß, sodass ich mich auch nicht so kompetent dazu äußern kann wie all die Kommentatorinnen, welche der Lastwagenhupe mehr oder weniger einen Verfassungsbruch nach dem anderen nachweisen. Was ich geneigt bin zu glauben; aber eben, das letzte Wort oder die letzten Worte dazu haben die Verfassungsrichterinnen. Der nächste Test besteht, soweit ich das im Auge habe, in der Bestätigung, dass die Lastwagenhupe keine Autorität über das Fed hat und dementsprechend keine Fed-Mitglieder per Präsidialdekret entlassen kann.
Sprechen wir von etwas anderem. Dass Elon Musk ein Fan und Freund der Allianz für Deutschland ist, wissen wir unterdessen alle, mit Ausnahme wohl der Anhänger dieser Allianz selber, die sich sonst doch ein paar Gedanken machen müssten darüber, was für einen ausländischen Agenten sie da angeheuert haben, der noch nicht mal Deutsch kann. Neben der Allianz für Deutschland unterstützt Musk auch die Freunde Großbritanniens, also die vereinigten Rechtsextremen im Vereinigten Königreich, welche den Austritt Englands aus der Europäischen Union fordern. Dieser ist zwar unterdessen längstens vollzogen, aber weil die hellen Köpfe um Nigel Farage das derart intus haben, fordern sie es halt immer wieder, einfach mit ein bisschen abgeändertem Wortlaut. Raus mit den ausländischen Fachkräften, zum Beispiel, ich glaube, den Slogan hat man so nicht gehört, aber gemeint war er mit Garantie so. Raus mit Elon Musk, mit anderen Worten, welcher der rechtsextremen Demonstration mit 150'000 begeisterten Teilnehmenden dazu herzlich gratuliert hat. Elon Musk ist übrigens im Moment meines Wissens nicht mehr der reichste Mensch der Erde, diese Position hat vorübergehend Larry Ellison von Oracle übernommen, wobei die Statista-Webseite Ellison am 16. September mit seinen kümmerlichen 363 Milliarden Dollar auf den zweiten Platz setzt hinter den 471 Milliarden von Elon Musk; dagegen schrieb die NZZ, dass Ellison Musk am 10. September überholt habe. Das Gleiche schreibt auch der Business Insider am 20. September und gibt für Musk ein Vermögen von nur 393 Milliarden Dollar an; eine Zahl für Ellison nennt er allerdings nicht, nur den Wert von Ellisons Beteiligung an Oracle von 395 Milliarden. Und fügt an, dass Bloomberg dieses Vermögen niedriger einschätze, da etwa ein Viertel als Sicherheit für Privatkredite verpfändet sei. Wer wird wohl diesen Wettkampf am Ende für sich entscheiden? Mir ist zudem noch aufgefallen, dass Musk für sich selber eine Prämie von einer Billion Dollar ausgesetzt hat, falls er mit seinen Unternehmen gewisse Umsatz- und vor allem Renditeziele erreicht bis in, was weiß ich, fünf oder zehn Jahren. Ja, warum denn nicht.
Das alles erscheint so fantastrillionistisch, dass ich mich lieber der künstlichen Intelligenz zuwende, welche mindestens Larry Ellison dank seinen Oracle-Aktien beziehungsweise dank der gesammelten Rechner- und Datenspeicherkapazitäten dieses Unternehmens zu seinem Vermögenszuwachs verholfen hat, während sich Musk immer noch daran abmüht, in diesem Sektor richtig Fuß zu fassen. Während man also die künstliche Intelligenz einerseits als Chance und Risiko für die menschliche Intelligenz sieht, wird sie auf der anderen Seite schon seit nunmehr drei Jahren überall dort tüchtig benutzt, wo die menschliche Intelligenz sich einen Vorteil davon erhofft, namentlich in Schulen und an Universitäten. Dazu habe ich kürzlich ein Heft gesehen, das ungefähr angibt, wie man die vorhandenen Programme für sich einsetzen kann. Im Vordergrund steht wohl die OpenAI Academy, die man über academy.openai.com erreicht und die einem zu einem effizienten Gebrauch verhelfen kann, namentlich von ChatGPT. Der Zugang dazu ist kostenlos und offen für alle, sobald man ein eigenes Konto eröffnet hat. Wir haben die Anthropic Academy, erreichbar über anthropic.com/learn, welche verschiedene Lernmodule zur Verfügung stellt. Es geht unter anderem um die Verwendung von Claude, das linguistische Arbeitsmodell von Anthropic. Hier bestehen die zwei Hauptabteilungen Claude for You und Claude for Work. Auch hier bezahlt man mindestens im Moment nichts. Dass man dank der künstlichen Intelligenz im Alltag unterdessen keine Übersetzungen mehr benötigt, ist allgemein bekannt. Sodann verweist das Heft auf die wichtigsten Programme und Instrumente, die uns bei der Arbeit oder auch im kreativen Prozess unterstützen: Neben ChatGPT sind dies Gemini von Google, wo man nicht nur Text und Bilder, sondern auch Videos erzeugen kann, zum Beispiel mit Veo 3, das die Erstellung von Videos aufgrund einfacher Textvorgaben ermöglicht. Ich hab das nicht ausprobiert, bin aber geneigt, es zu glauben. Claude von Ahtropic habe ich erwähnt; hier sind Bilder und Videos nicht Bestandteil des Angebots. Copilot von Microsoft macht Bilder, aber keine Videos. Grok von Musks xAI ermöglicht alles, aber es kommt immer nur reaktionärer Scheiß heraus, nehme ich an. Hier gibt es auch offiziell einen «Spicy»-Betriebsmodus, der zum Beispiel Pornos herstellt. Perplexity sodann arbeitet nicht mit Bild- und Videoerzeugung, sondern wertet einfach die vorhandenen Informationen auf dem Web und in den Bibliotheken aus, was übrigens selbstverständlich die Grundlage der gesamten künstlichen Intelligenz darstellt; Perplexity scheint hier besonder tauglich zu sein. Etwas Ähnliches gilt für DeepSeek, wobei hier offenbar ein Schwergewicht auf Programmierung und Mathematik liegt. Eine der wenigen europäischen Varianten ist Le Chat von Mistral AI; NotebookLM von Google kann man mit jenen Quellen beladen, die man selber verwenden will, also PDF, Webseiten, Video und so weiter. Quillbot arbeitet nur mit Text, Canva mit Text und Bildern und Feedly schließlich weder mit Text noch mit Bildern noch mit Videos; hier werden Modelle des Maschinenlernens benutzt, um Material zu bestimmten Themen zusammenzutragen.
Man kann das Ganze auch zum Erstellen von Websites benutzen, hierzu empfiehlt das Heftchen das Programm Lovable, das beim Einstieg ebenfalls kostenlos ist mit fünf Versuchen pro Tag während ein paar Monaten, anschließend muss man ein Abonnement lösen.
In diesem Heft gibt es zahlreiche weitere Hinweise, zum Beispiel darauf, wie Lehrkräfte mit der künstlichen Intelligenz im Klassenzimmer umgehen können. Dazu hat eine Gruppe italienischer Lehrkräfte ein Manifest verfasst, und zwar bereits im Februar 2024, in dem unter anderem steht, dass man die KI als didaktisches Hilfsmittel einsetzen soll, dass man sich mit Fragen der Ethik, des Verantwortungsbewusstseins, der Sicherheit und der Privatsphäre beschäftigen soll, dass man alles in den Dienst der Entwicklung des eigenen, kritischen und kreativen Denkens der Schülerinnen stellen soll, dass man die KI für die Interdisziplinarität nutzen soll, ebenso für die Weiterentwicklung der emotionalen und sozialen Kompetenzen, die Zusammenarbeit und die Kommunikation, für die Inklusion und Zugänglichkeit, für einen gesamtheitlichen Ansatz und dauerhaftes Experimentieren und Aktualisieren. Hier finden sich, das ist ganz offensichtlich, humanistische Programmteile, von denen man im wirtschaftlichen Diskurs um die künstliche Intelligenz noch nie auch nur ein Sterbenswörtchen gehört hat.
Trotzdem: Wer die Möglichkeit hat, sollte sich hier einklinken, umso mehr, als der Zugang im Moment tatsächlich völlig unkompliziert und ohne Kosten möglich ist. Was zögert ihr noch? Wenn ihr keinen Bock darauf habt, das alleine anzugehen, schließt euch doch mit den Kolleginnen vom Stammtisch zusammen, kauft einen leistungsfähigen Computer, der nicht zusammenbricht, wenn mal ein paar Schlucke Bier in die Tastatur rinnen, und los geht’s!
Inzwischen dreht sich die Welt weiter. Eine der Fragen, auf welche es nur Antworten mit ellenlangen Anhängen und Querverweisen gibt, ist jene nach der Plattwalzung des Gazastreifens durch die israelische Armee. Das ist schon seit längerer Zeit von allen Fachgremien als Völkermord eingestuft worden, wobei dazu noch gehört, dass die Menschen im Gazastreifen übler herum gehetzt werden als die Tiere. Ja, soviel steht fest, Israel verstößt gegen alle international anerkannten Regeln des Tierschutzes. Von Menschen zu sprechen, verbietet sich ja gemäß der israelischen Sprachregelung, das sind alles Terroristinnen, welche man da sekkiert und bei Gelegenheit umbringt und verhungern lässt, abgesehen von den Journalistinnen, die man als Augenzeugen ausschalten muss. Die Welt schaut zu, und ich wüsste nicht, was ihr anderes übrig bleibt. Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen wären am Platz, aber Israel und sein großer Bruder sind da nicht besonders anfällig. Auch an dieser Stelle der Hinweis darauf, dass nicht alle Vorwürfe alle Israeli betreffen; in der Hauptsache zielen sie auf die antisemitische, rechtsextreme Regierung, die das Land seit Jahren beherrscht. Auch hier der Hinweis darauf, dass es sich um eine gewählte Regierung handelt; je länger der Krieg dauert, je länger also die Aktionen der Antisemitinnen in der Regierung und im Militär hingenommen werden, desto mehr nimmt die Verantwortung auch der Minderheit in Israel für die Vorkommnisse zu. Und zu guter Letzt noch der andere Hinweis auf die ewige Feindschaft, welche dem Staat Israel von seinen Erzfeinden Hisb’Allah und Hamas, oder wer auch immer an ihre Stelle treten wird, geschworen wurde. Die Radikalität der israelischen Aktion geht auf die Unversöhnlichkeit der Gegenpartei zurück, das kann man schlicht und einfach nicht bestreiten. Trotzdem ist es unerträglich, was wir da verfolgen. Israel kann nicht mehr zu den zivilisierten Nationen gerechnet werden.
Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.
Albert Jörimann
23.09.